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HBS Böckler Impuls

Lohnentwicklung: Euro-Zone mittelfristig in Deflations-Gefahr

Ausgabe 01/2006

Helfen niedrige Lohnzuwächse aus der Beschäftigungskrise, wie Arbeitgebervertreter sagen? Eine aktuelle Analyse warnt vor einer ganz anderen Wirkung: Die schwache Lohnentwicklung in Deutschland stellt zunehmend die Funktionsfähigkeit der Europäischen Währungsunion in Frage.

In Deutschland schlummert ein "enormer Sprengsatz" für die Euro-Union, warnt Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt der UN-Welthandelskonferenz (UNCTAD). Grund dafür: Die Deutschen verletzten seit Jahren die "lohnpolitische Spielregel". Diese volkswirtschaftliche Regel besagt, dass sich das Wachstum der Nominallöhne an der Summe aus dem mittelfristigen gesamtwirtschafltichen Produktivitätswachstum und der von der Zentralbank festgelegten Zielinflationsrate orientieren sollte. Aus diesen Komponenten errechnet sich der so genannte inflationsfreie "Verteilungsspielraum".

Da diese Marke in Deutschland seit Jahren unterschritten wird, sind hier die Arbeits- und die Lohnstückkosten seit Beginn der Europäischen Währungsunion 1999 deutlich langsamer gestiegen als in den anderen Euro-Ländern, zeigt Flassbeck. Bei den Arbeitskosten liegt die deutsche Abweichung nach unten nach Daten der Europäischen Zentralbank bei jährlich einem Prozentpunkt vom Durchschnitt der Eurozone. Bei den Lohnstückkosten ist der Abstand noch etwas größer. Deshalb habe die "flexible deutsche Volkswirtschaft, die mehr als alle anderen mit den Löhnen nach unten abgewichen ist" gegenüber den Partnerländern zusätzliche Wettbewerbsfähigkeit gewonnen, analysiert der Ökonom. Im Vergleich etwa
zu Spanien betrug dieser Zugewinn zwischen 1999 und 2003 sogar zehn Prozentpunkte.

Früher hätten die wettbewerbsmäßig zurückfallenden Länder in dieser Situation nach einiger Zeit mit einer nominalen Abwertung ihrer Währung reagiert. Doch als Mitglied der EWU haben sie dazu keine Möglichkeit. Deshalb steige in den Euro-Partnerländern der Druck, bei den Lohnabschlüssen ebenfalls in einen "Preissenkungswettlauf" einzusteigen. Damit wachse aber im gesamten Währungsraum das Risiko einer Deflation, "deren einmal begonnenem Teufelskreis zu entkommen nur schwer möglich ist", so Flassbeck.

Diese Entwicklung würde nicht zuletzt der exportorientierten deutschen Wirtschaft sehr schaden. Doch auch jetzt schon nütze es den Deutschen nichts, dass sie lohnpolitisch "unter den eigenen Verhältnissen" leben, analysiert der Experte. Die Binnenwirtschaft lahmt: "Der private Verbrauch muss sich auf langsamer wachsende reale Arbeitseinkommen stützen, was die von der inländischen Nachfrage abhängigen Branchen in Bedrängnis bringt." Zum Abbau der Arbeitslosigkeit habe die schwache Lohnentwicklung "gerade nicht beigetragen".

  • In der gesamten Eurozone erhöhten sich die Lohnkosten stärker als in Deutschland. Zur Grafik

Heiner Flassbeck/Friederike Spiecker: Die deutsche Lohnpolitik sprengt die Europäische Währungsunion, in: WSI-Mitteilungen Nr. 12/2005.

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