Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitsmarkt: EU-Nachbarn sichern Arbeitslose besser
Das einkommensabhängige Arbeitslosengeld wird in Deutschland nur relativ kurze Zeit gezahlt. Deshalb sind Arbeitslose hierzulande stärker von Armut bedroht als in anderen europäischen Staaten.
In der Bundesrepublik liegt das Einkommen von 70 Prozent der Menschen ohne Job unterhalb der Armutsgrenze. Im EU-Durchschnitt beträgt die Quote dagegen lediglich 45 Prozent. Das zeigen die aktuellsten vorliegenden Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat aus dem Jahr 2010, die WSI-Sozialexperte Eric Seils aufbereitet hat. Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens hat. In Deutschland verläuft diese Schwelle bei 940 Euro im Monat für einen Alleinstehenden.
Sozialstaatsforscher Seils nennt drei Gründe für die hohe Armutsgefährdung in Deutschland:
Viele Menschen, die ihren Job verloren haben, können die Anspruchsvoraussetzungen für das einkommensbezogene Arbeitslosengeld I (ALG I) nicht erfüllen. ALG I erhält zumeist nur, wer in den zwei Jahren zuvor mindestens zwölf Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Das schaffen vor allem Menschen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen und mit unterbrochenen Erwerbskarrieren oft nicht. Sie sind also bereits bei Beginn der Arbeitslosigkeit von der Versicherungsleistung ausgeschlossen, so Seils.
Zudem fällt die Höhe des ALG I im internationalen Vergleich nicht übermäßig aus. Bei alleinstehenden Arbeitnehmern ersetzt das Arbeitslosengeld hierzulande nur etwa 60 Prozent des letzten Nettolohns. OECD-Daten zufolge sind es bei Arbeitnehmern mit niedrigem Arbeitseinkommen in Dänemark 83 Prozent, in der Schweiz 82 Prozent und in den Niederlanden 76 Prozent.
Den wichtigsten Grund sieht der Forscher aber in der vergleichsweise kurzen Anspruchsdauer auf ALG I. So erhält etwa ein 40-Jähriger, der seit seinem 18. Lebensjahr durchgängig gearbeitet hat, nur maximal 52 Wochen Arbeitslosengeld. In den Niederlanden sind es hingegen 96 Wochen, in Frankreich oder Norwegen 104 und in Dänemark 208 Wochen. Die Folge ist, dass nur etwa ein Drittel aller Arbeitslosen in Deutschland ALG I erhält. Nach der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe im Jahre 2004 sind somit viele Arbeitslose auf ALG II angewiesen. Das reicht oftmals nicht, um das Haushaltseinkommen über der Armutsgrenze zu halten.
Der Wissenschaftler hält es daher für sinnvoll, die Anspruchsdauer für das Arbeitslosengeld I zu verlängern. Länder wie Dänemark, die Niederlande oder die Schweiz zeigten, dass sich niedrige Arbeitslosigkeit und bessere Armutsprävention für Arbeitslose gleichzeitig erreichen lassen.
Eric Seils forscht im WSI-Projekt "Sozialversicherung: Wandel, Wirkung, Weiterentwicklung"