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HBS Böckler Impuls

Europa: EU-Freizügigkeit bringt Tarifkonkurrenz

Ausgabe 10/2010

Ab Mai 2011 enden auch in Deutschland die Beschränkungen für Arbeitnehmer aus Osteuropa. Das dürfte die Lohnkonkurrenz gerade in der Leiharbeit verschärfen. Denn ausländische Unternehmen müssen sich nicht an die vor Ort gültigen Arbeitsbedingungen halten, urteilte der Europäische Gerichtshof.

Seit Dezember 2007 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Reihe von Urteilen gefällt, die nach Einschätzung namhafter Juristen die Rechte von Arbeitnehmern einschränken. Dazu gehört auch die Entscheidung im Fall Laval: Hier hatten die Luxemburger Richter entschieden, dass ein Streik für gleiche Arbeitsbedingungen schwedischer und lettischer Arbeiter auf schwedischen Baustellen unzulässig war. In diesem Zusammenhang legte der EuGH fest, EU-ausländische Tarifverträge müssten in ihren rechtlichen Wirkungen grundsätzlich den inländischen gleichgestellt werden. Dieser bisher weniger beachtete Aspekt des Urteils schlägt auf das deutsche Arbeitsrecht durch, wie ein Gutachten von Florian Rödl und Felix Stumpf zeigt. Mit Beginn der Arbeitnehmerfreizügigkeit für die EU-Mitgliedstaaten Osteuropas werden sich seine Auswirkungen nochmals verstärken.

Im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung prüften die beiden Frankfurter Juristen, welche Rechtsfelder betroffen sind. Ihr Ergebnis: Dort, wo bereits eine Unterschreitung gesetzlicher oder tariflich-allgemeinverbindlicher Mindestarbeitsbedingungen durch inländische Tarifverträge erlaubt ist, können nun auch Tarifverträge aus anderen EU-Ländern diese zusätzlich aushebeln. Dazu gehören:

Leiharbeitsrecht. Für Zeitarbeitnehmer gilt zwar das Prinzip des "equal pay" - in einem Betrieb müssen sie so gestellt werden wie die Beschäftigten, die dort fest angestellt sind. Dies gilt jedoch nicht, wenn für Leiharbeiter ein eigener Tarifvertrag existiert. Somit können nun EU-ausländische Leiharbeitstarifverträge ebenfalls das gesetzliche Gleichbehandlungsgebot außer Kraft setzen. Das hat ab dem 30. April 2011 erhebliche Bedeutung. Denn wenn die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für die Staaten Osteuropas gilt, werden auch die Beschränkungen für grenzüberschreitende Leih­arbeit fallen.

Arbeitszeitrecht. Das deutsche Arbeitszeitgesetz setzt aus Gründen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes Höchstgrenzen für Arbeitszeiten: maximal zehn Stunden pro Arbeitstag, in einem Vergleichszeitraum von 24 Wochen durchschnittlich acht Stunden. Inländische Tarifverträge dürfen davon jedoch abweichen. Damit können Tarifverträge aus dem EU-Ausland ebenfalls die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten überschreiten. Und in den Ländern Osteuropas liegen die tariflichen Arbeitszeiten über denen Deutschlands, wie der europäische Tarifbericht des WSI zeigt.

Allgemeinverbindliche Tarifverträge. Nach geltender Rechtslage können Tarifnormen nicht die allgemeinverbindlichen Tarifverträge der Branchen unterlaufen, die unter das Arbeitnehmer-Entsendegesetz fallen. Dazu gehören die Baubranche, die Abfallwirtschaft oder die Sicherheitsdienstleistungen. Gleiches gilt für Rechtsverordnungen nach dem Entsendegesetz oder dem Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen. Andere allgemeinverbindliche Tarifnormen nach dem Tarifvertragsgesetz können jedoch durch den Abschluss von spezielleren Tarifverträgen, insbesondere von Firmentarifverträgen, unterlaufen werden. Sofern Lohntarifnormen in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen auch auf Entsendearbeit Anwendung finden - diese Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht abschließend geklärt - könnten diese Normen auch mittels eines EU-ausländischen Tarifvertrags unterlaufen werden.

Angesichts des starken Einkommensgefälles insbesondere zwischen alten und neuen EU-Mitgliedstaaten dürften die Unterschreitungen durch EU-ausländische Tarifverträge deutlich größer sein als die durch inländische Tarifverträge, erwarten Rödl und Stumpf. Sowohl der deutsche Gesetzgeber als auch die tariflichen Akteure könnten jedoch die Auswirkungen des Laval-Urteils auf die Beschäftigten begrenzen:

  • Der Gesetzgeber sollte ein Abweichen über Tarifverträge nicht zulassen, wenn er Mindestarbeitsbedingungen festsetzt, die auch auf Entsendearbeit anzuwenden sind, empfehlen die Juristen. Das gilt insbesondere für die Einführung eines Mindestlohns für die Leiharbeitsbranche.
  • Eine Änderung des Tarifvertragsgesetzes könnte dafür ­sorgen, dass bei Konkurrenz von allgemeinverbindlichen und anderen Tarifverträgen der allgemeinverbindliche Vorrang erhält. Für die Beschäftigten günstigere Abreden könnten weiterhin getroffen werden.
  • Die Gewerkschaften sollten sich dafür einsetzen, dass allgemeinverbindliche Tarifverträge über die Verankerung des so genannten Arbeitsortsprinzips für alle Arbeitnehmer gelten, auch für die aus dem Ausland entsandten - selbst wenn sie nicht dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz unterliegen.
  • Zusätzlich können deutsche Gewerkschaften bei ihren europäischen Partnergewerkschaften aus den Entsendestaaten dafür werben, auch in deren Tarifverträgen das Arbeitsortsprinzip zu verankern, sodass diese Tarifverträge Entsendearbeitsverhältnisse gar nicht erfassen.


Der Fall Laval

Im Jahr 2007 hatte der EuGH über einen schwedischen Arbeitsrechtsstreit zu entscheiden: Das lettische Unternehmen Laval hatte Arbeiter nach Schweden entsandt, um sie dort auf Baustellen einzusetzen. Die Arbeitsbedingungen laut lettischem Tarifvertrag - besonders die Löhne der Arbeitnehmer - lagen deutlich unterhalb des schwedischen Niveaus. Die schwedische Bauarbeitergewerkschaft Byggettan forderte Laval dazu auf, für die lettischen Arbeitnehmer während der Zeit ihres Aufenthalts in Schweden einen Tarifvertrag auf dem vor Ort üblichen Niveau abzuschließen. Als Laval dem nicht nachkam, sorgte Byggettan mit Hilfe der schwedischen Elektrikergewerkschaft für Blockaden und Boykotte der Baustellen. Die Gewerkschaft stützte sich dafür auf eine Vorschrift des schwedischen Arbeitskampfrechts, wonach ausländische Tarifverträge in Schweden keine Friedenspflicht auslösen. Der EuGH hatte darum unter anderem die Frage zu klären: Durften die schwedischen Gewerkschaften trotz des auf die entsandten Beschäftigten anwendbaren lettischen Tarifvertrages Laval mittels Arbeitskampf dazu zwingen, einen schwedischen Tarifvertrag auf schwedischem Niveau abzuschließen? Nein, entschieden die Europa-Richter: Die Dienstleistungsfreiheit nach dem EG-Vertrag verbiete die Ungleichbehandlung inländischer und EU-ausländischer ­Tarifverträge. Ein EU-ausländischer Tarifvertrag müsse darum in gleicher Weise eine Friedenspflicht auslösen wie ein schwedischer Tarifvertrag.

Florian Rödl, Felix Stumpf: Einfallstore transnationaler Lohnkonkurrenz - Zu den Auswirkungen des in der Laval-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes aufgestellten Verbots der "Diskriminierung EU-ausländischer Tarifverträge" im deutschen Arbeitsrecht, Gutachten im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, im Erscheinen

mehr Infos zum Projekt: Rechtsprechung zum Verbot der "Diskriminierung" EU-ausländischer Tarifverträge

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