Quelle: HBS
Böckler ImpulsSteuerhinterziehung: „Es bleiben zu viele Schlupflöcher“
Die internationale Kooperation gegen Steuerflucht kommt voran. Aber es gibt weiterhin Lücken, erklärt WSI-Direktorin Brigitte Unger.
Vor einem Jahr machten zuerst die Enthüllungen um Offshore-Leaks Furore, dann flog das Schweizer Konto von Uli Hoeneß auf. Jetzt sind wieder spektakuläre Steuerfälle öffentlich geworden – und die Debatte um Konsequenzen scheint von vorne loszugehen...
Brigitte Unger: Zumindest wird sie verengt geführt. Ich bin auch dafür, die Sanktionen bei Selbstanzeigen zu verschärfen. Aber die entscheidenden Fragen sind grundsätzlicher.
Nämlich?
Unger: Warum wird es Steuerhinterziehern so leicht gemacht, Geld im Ausland zu verstecken? Und: Wie hängen fehlende Steuermoral und die wachsende soziale Ungleichheit zusammen?
Dann zunächst zur ersten Frage: Innerhalb der EU sollen Daten zu Kapitaleinkünften von Ausländern ausgetauscht werden, die OECD hat sich sogar auf weltweite Standards zum automatischen Datenaustausch geeinigt. Problem gelöst?
Unger: Ich rechne mit Fortschritten, aber erstens sind sie langsam und zweitens gehen sie oft nicht weit genug. In der EU haben Luxemburg und Österreich lange taktiert, weil ihre Banken nicht gegenüber der Schweiz und anderen Steueroasen ins Hintertreffen geraten sollten. Jetzt sieht es so aus, als würden sie ihre Blockade beim Datenaustausch aufgeben, und auch die Schweiz steht unter Druck. Aber es bleiben zu viele Schlupflöcher. Beispiel Österreich: Dort gibt es für Inländer weiterhin anonyme Sparbücher. Ausländische Steuerhinterzieher können das missbrauchen, indem sie sich einen Strohmann nehmen oder eine Stiftung mit einheimischem Treuhänder einrichten. Gerade bei den Stiftungen hat auch die OECD-Richtlinie Schwächen. Wenn der Datenaustausch kommt, wird Steuerhinterziehung via Ausland schwieriger, aber das Problem ist noch nicht gelöst. Auch,weil Staaten mit einer großen Finanzindustrie weiterhin versuchen werden, deren Geschäfte zu schützen.
Geschäfte werden auch mit der gerade noch legalen Steuervermeidung von Konzernen gemacht. Eine beliebte Methode ist es, Gewinne über Tochtergesellschaften in Irland oder den Niederlanden laufen zu lassen, weil dort keine Steuern anfallen. Was haben diese Länder eigentlich von solchen Deals?
Unger: Nehmen wir die Niederlande: Der Staat dort hat durch diese Finanzströme tatsächlich keine nennenswerten Einnahmen. Dafür aber regelmäßig einen Riesenärger mit dem amerikanischen Fiskus, dem Milliarden entgehen. Offensichtlich geht es darum, den eigenen Finanzplatz zu unterstützen. Die Finanztransaktionen bescheren Banken, Steuerexperten und spezialisierten Anwälten Arbeit und Umsätze.
Zahlen denn wenigstens die dann kräftig Steuern?
Unger: Da sind Zweifel angebracht, schließlich haben sie das geballte Know-how zur Steuervermeidung. Das Beispiel zeigt im Übrigen, wie irrational es ist, wenn Staaten per Steuerwettbewerb Standortpolitik machen wollen. Es ist doch klar: Wenn einer anfängt, müssen die anderen früher oder später nachziehen. Am Ende hat keiner einen Wettbewerbsvorteil, aber alle haben geringere Einnahmen. Dann müssen sie womöglich Sparprogramme auflegen, die das Wirtschaftswachstum schädigen und die soziale Ungleichheit weiter hochtreiben.
Soziale Ungleichheit, das war Ihr zweites Stichwort. Warum soll sie die Neigung zu Steuervergehen erhöhen?
Unger: Wie wir wissen, ist die Verteilung der Einkommen auch in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren spürbar ungleicher geworden. Dabei ist der Anteil der Gewinn- und Vermögenseinkommen gewachsen. Und diese Einkommensarten sind für den Staat intransparenter als Arbeitseinkommen, von denen bereits der Arbeitgeber Abgaben abführt. Auf der Ebene der Vermögen ist die Verteilung sogar stark polarisiert. Die Wohlhabenden besitzen einen großen Anteil am gesamten Kuchen, und sie haben Freiräume, davon möglichst wenig abzugeben. Dazu kommt ein psychologischer Faktor: Wer richtig reich ist, braucht die öffentliche Infrastruktur nicht mehr so dringend. Wenn meine Kinder eine Privatschule besuchen und ich auf einen Sicherheitsdienst statt auf die Polizei vertraue, wozu soll ich dann für öffentliche Einrichtungen zahlen? Solche Leute fühlen sich mit der Gesellschaft nicht mehr verbunden.
Was kann man dagegen tun?
Unger: Die Ungleichheit begrenzen, etwa durch höhere Steuern auf Vermögen. Das WSI hat dazu kürzlich verschiedene Möglichkeiten untersuchen lassen.
Das klingt paradox. Mit höheren Steuern steigt doch der Anreiz zur Hinterziehung.
Unger: Deshalb ist es so wichtig, dass es eine weltweite Kooperation gegen Steuerhinterziehung über das Ausland gibt. Ohne solche Schlupflöcher müsste man schon auswandern, um sich der Steuerpflicht im Heimatland zu entziehen. Und das würden sich viele reiche Deutsche zweimal überlegen. Man lebt doch ganz gut hier. Sozialer Frieden, Sicherheit, Umweltschutz, eine funktionierende Infrastruktur, das gibt es eben nicht zum Nulltarif. Und im OECD-Vergleich sind die Vermögensteuern in Deutschland niedrig.
Brigitte Unger ist Wissenschaftliche Direktorin des WSI und Professorin an der Universität Utrecht. Zu ihren Forschungsfeldern gehören Geldwäsche und Steuerhinterziehung.
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