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Erwerbsminderung statt Frührente Böckler Impuls

Alterssicherung: Erwerbsminderung statt Frührente

Ausgabe 04/2025

Das Durchschnittsalter der Beschäftigten, die in die Erwerbsminderungsrente wechseln, ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.

Wenn die Gesundheit dauerhaft streikt, können Beschäftigte Erwerbsminderungsrente beantragen. Die Voraussetzung: Sie sind gesundheitlich außerstande, mindestens drei Stunden – bei teilweiser Erwerbsminderung sechs Stunden – täglich zu arbeiten. Und sie haben in Summe mindestens fünf Jahre sowie in den vergangenen fünf Jahren mindestens 36 Monate in die Rentenkasse eingezahlt. Wie sich die Nutzung dieser Möglichkeit über die Jahre entwickelt hat, hat Martin Brussig vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Das Ergebnis: Die Altersstruktur hat sich merklich gewandelt, mittlerweile ist rund die Hälfte derjenigen, denen eine Erwerbsminderungsrente bewilligt wird, mindestens 58 Jahre alt – ein deutlich größerer Anteil als vor 20 Jahren. Wichtige Ursachen dafür dürften die steigende Altersgrenze für den regulären Ruhestand und der eingeschränkte Zugang zur Frühverrentung sein.

Brussigs Analyse zufolge, die auf Daten der gesetzlichen Rentenversicherung beruht, sind im Zeitraum von 2004 bis 2021 jährlich zwischen 160 000 und 180 000 Menschen in die Erwerbsminderungsrente gewechselt. Während sich an dieser Zahl über die Jahre vergleichsweise wenig geändert hat, ist es im Hinblick auf das Alter der Neuzugänge zu markanten Verschiebungen gekommen: 2004 waren zum Zeitpunkt des Renteneintritts etwa 26 Prozent 58 Jahre oder älter, 2021 waren es 53 Prozent. Das Durchschnittsalter bei der Bewilligung betrug 2021 bei den Männern 55,5 Jahre, bei den Frauen 54,5 Jahre und war damit rund vier Jahre höher als 2004.

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Infografik: Das Durchschnittsalter bei der Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente betrug 2021 bei den Männern 55,5 Jahre, bei den Frauen 54,5 Jahre und war damit rund vier Jahre höher als 2004.
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Ein analoges Bild ergibt sich, wenn man die Daten nach Alterskohorten auswertet. Von den 1945 Geborenen sind knapp 30 000 mit 58 Jahren oder älter in Erwerbsminderungsrente gegangen, von den 1954 Geborenen knapp 50 000. Der Anteil an allen Rentenzugängen ab 58 Jahren beläuft sich beim Jahrgang 1945 auf 4,7 Prozent, beim Jahrgang 1954 auf 5,4 Prozent. Besonders auffällig war diese Entwicklung bei den Frauen, wo der Anteil von 2,9 auf 4,8 Prozent gestiegen ist, und bei den Ostdeutschen, wo er sich von 3,9 auf 5,5 Prozent vergrößert hat. Beide Gruppen waren laut dem Forscher von Einschnitten in Sachen Frühverrentung überproportional betroffen: Frauen von der Abschaffung der Altersrente für Frauen, Ostdeutsche von der Streichung der Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

Für „bemerkenswert“ hält Brussig, dass bei der Altersrente für Schwerbehinderte keine Zunahme, sondern sogar ein Rückgang zu verzeichnen ist: Der Anteil an sämtlichen Altersübergängen beträgt 10,6 Prozent beim Jahrgang 1945 und 6,7 Prozent beim Jahrgang 1954. Als wesentlichen Grund vermutet der Experte versicherungsrechtliche Voraussetzungen für die Altersrente für Schwerbehinderte. Die Wartezeit ist mit 35 Beitragsjahren dort genauso lang wie bei der Altersrente für langjährig Versicherte.

„Inzwischen ist die Erwerbsminderungsrente ein integraler Bestandteil des Altersübergangs geworden – als Brücke zwischen Arbeitsleben und Rentenleben“, erklärt der Autor. In jüngster Zeit hätten viele Beschäftigte dieses Instrument in einem Alter in Anspruch genommen, in dem sie früher bei gesundheitlichen Problemen leicht eine vorgezogene Altersrente hätten antreten können. Da die medizinischen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente ziemlich streng sind, sei zu vermuten, dass noch deutlich mehr Menschen mit der Anhebung der Regelaltersgrenze nicht Schritt halten können als nur diejenigen, die eine solche Rente bewilligt bekommen. Insofern bedürfe es neuer Formen der Absicherung gesundheitlicher Einschränkungen im Alter. Brussig empfiehlt, bei älteren Beschäftigten statt der Erwerbsfähigkeit auf dem „allgemeinen Arbeitsmarkt“ diejenige im langjährig ausgeübten Beruf als Maßstab für Erwerbsminderung heranzuziehen. Alternativ wäre denkbar, die Wartezeit bei der Altersrente für Schwerbehinderte an diejenige der Erwerbsminderungsrente anzugleichen.

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Wie sicher die Rente ist, erläutert Sebastian Dullien im Podcast. 

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