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HBS Böckler Impuls

Spanien: Erholung dank stärkerer Binnennachfrage

Ausgabe 16/2015

Spanien gilt bei Verfechtern eines strengen Sparkurses als Erfolgsmodell. Doch tatsächlich begann die wirtschaftliche Erholung erst, nachdem die Sparpolitik gelockert worden war.

Rund drei Prozent Wachstum prognostizieren Konjunkturforscher der spanischen Wirtschaft 2015. Damit liegt das langjährige Krisenland in der EU erstmals wieder vorn, auch wenn die Arbeitslosigkeit mit gut 22 Prozent extrem hoch bleibt. Konservative Ökonomen und Politiker werten die konjunkturelle Entwicklung als Beleg dafür, dass die Krise im Euroraum mit einer Kombination aus Sparkurs und angebotsorientierten Arbeitsmarktreformen bewältigt werden kann. Niedrigere Arbeitskosten und die Stärkung des Exports sind nach dieser Lesart wesentliche Gründe für die Rückkehr auf einen Wachstumspfad.

Doch trifft das wirklich zu? Ein genauer Blick auf die Wirtschaftsdaten und die konkrete Politik der spanischen Regierung offenbart nach Analyse des Wirtschaftswissenschaftlers Georg Feigl ein anderes Muster: Seit etwa zwei Jahren habe Madrid die Sparpolitik stillschweigend abgeschwächt – mit Billigung der europäischen Institutionen und mit positiven Folgen: „Während weiterhin export­orientierte Strukturreformen propagiert wurden, war es vor allem die anziehende Inlandsnachfrage, die zur ökonomischen Trendwende führte“, schreibt der Forscher der Arbeiterkammer Wien.

Bis 2013 habe die konservative spanische Regierung einen ausgeprägten Austeritätskurs verfolgt, so Feigl. Der Staat reduzierte seine Ausgaben und die Beschäftigung im öffentlichen Dienst. Zugleich setzten Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Gesetzesänderungen die Löhne in der Privatwirtschaft unter Druck: Neue Regeln schwächten das System der Flächentarifverträge zugunsten von Lohnverhandlungen im einzelnen Unternehmen. Dabei hätten die Arbeitgeber überraschenderweise den Spielraum, den ihnen die Politik verschaffte, nur zum Teil genutzt, merkt Feigl an. In Befragungen spreche sich eine Mehrheit weiterhin für branchenweite Standards aus. Stark zurückgegangen sei allerdings die Zahl der Beschäftigten, die nach Tarif bezahlt werden: seit 2011 von 9,7 auf 5,5 Millionen. Die Lohnsumme sank ebenso wie die Binnennachfrage: 2013 lag Letztere nominal um 14 Prozent niedriger als 2008.

Ab dem Sommer 2013 lockerte die Regierung die Sparpolitik. Abzulesen sei das beispielsweise an der öffentlichen Nachfrage, die im Winter 2013 erstmalig nach dreieinhalb Jahren wieder zunahm. Auch der Abwärtstrend bei der Lohnsumme kam zum Stehen. „Ab 2014 war im öffentlichen Bereich auch bei der Beschäftigung wieder ein Zuwachs zu verzeichnen“, analysiert der Forscher. Erst nach diesem Kurswechsel sei die Wirtschaft wieder gewachsen. Für Feigl nur folgerichtig: Privater und öffentlicher Konsum sowie die Investitionen erzeugten drei Viertel der Gesamtnachfrage, Ausfuhren nur ein Viertel. Es sei also kaum möglich, durch eine einseitig exportorientierte Wirtschaftspolitik, unter der die Binnennachfrage leide, aus einer Rezession zu kommen. Ein weiteres Indiz für diesen Zusammenhang: Just im ersten Quartal, in dem das Bruttoinlandsprodukt wieder zulegte, fielen die Exporte erstmals seit längerem hinter die Importe zurück.

Die europäischen Institutionen hätten den unausgesprochenen Politikwechsel in Madrid toleriert und sogar unterstützt, schreibt der Wissenschaftler. Die Europäische Zentralbank sorgte mit ihrem Bekenntnis zum Erhalt des Euros dafür, dass die Zinsen für öffentliche und private Kredite erheblich sanken. Europäische Kommission und Europäischer Rat hätten bisher „nur sehr leise Kritik an der fehlenden Umsetzung der strukturellen Budgetziele“ geübt.

Ob die Bereitschaft zu einer pragmatischeren Krisenpolitik in Madrid und Brüssel anhält, ist nach Einschätzung des Ökonomen aber offen. Feigl hält es für möglich, dass die Euro-Institutionen ihren Konsolidierungsdruck wieder erhöhen, wenn nach den spanischen Parlamentswahlen im Dezember eine neue Regierung offensiv für eine Abkehr von der Sparpolitik eintreten sollte. Zudem sei die soziale Lage weiter extrem angespannt. Zwar sank die Arbeitslosenquote seit Anfang 2013 um gut drei Prozentpunkte. Doch das, so Feigl, liege nur zum Teil an steigender Beschäftigung. Zeitgleich sei die Erwerbsbevölkerung um 600.000 Menschen geschrumpft – unter anderem, weil viele junge Spanier ausgewandert sind.

  • Die wirtschaftliche Erholung in Spanien ist keine Folge der exportorientierten Sparpolitik. Erst, nachdem die Binnennachfrage wieder ansprang, wuchs die Wirtschaft wieder. Grafik als CSV herunterladen Zur Grafik

Georg Feigl: Spanien: Ökonomische Trendwende durch stillen wirtschaftspolitischen Kurswechsel, in: Wirtschaftspolitik – Standpunkte 02/2015

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