Quelle: HBS
Böckler ImpulsGleichstellung: Eltern in der Traditionalisierungsfalle
Immer mehr Frauen gehen in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nach. Allerdings arbeiten viele in Teilzeit - mit negativen Folgen für ihr berufliches Fortkommen und eine auskömmliche Rente.
Sobald das erste Kind kommt, tappen Männer und Frauen in die Traditionalisierungsfalle: Dann fährt der Mann in die Firma und verdient das Geld, die Frau bleibt die meiste Zeit daheim und versorgt Haushalt und Kinder. Für Mütter bedeutet dies oft Nachteile für ihre persönliche Erwerbsbiografie und Alterssicherung. So einer der Befunde der Sachverständigenkommission unter dem Vorsitz von Ute Klammer, Professorin an der Universität Duisburg-Essen.
Ihr Gutachten über den aktuellen Erkenntnisstand der Forschung zur Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern soll die Grundlage bilden für den Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung. Ein wichtiger Aspekt ist, wofür Frauen und Männer ihre Zeit verwenden: Bei den Männern dominiert nach wie vor die Erwerbsarbeit außer Haus, bei den Frauen die Haus- und Sorgearbeit.
Traditionalisierungsfalle Elternschaft. Partner- und kinderlose Frauen gehören zu den mobilsten Erwerbstätigen in Deutschland. Sobald ein Paar Kinder hat, sind erwerbstätige Mütter jedoch beruflich viel weniger unterwegs, während die Väter weiterhin lange Wege zur Arbeit oder Dienstreisen in Kauf nehmen. Auch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sind Frauen in Paarhaushalten mit Kindern in Deutschland überdurchschnittlich intensiv durch Arbeit für Haus und Familie gebunden, zeigen Zahlen der EU-Kommission. Das trifft selbst auf gut qualifizierte Mütter zu, die damit entlang ihres gesamten Lebenslaufs weit unter ihren beruflichen Möglichkeiten bleiben.
Obwohl die Probleme der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hinlänglich bekannt sind, beeinflussen Ehe, Partnerschaft und Kinder die Erwerbsarbeit von Frauen weiterhin stark. Verheiratete Frauen und Frauen mit Kindern sind zwar heute häufiger erwerbstätig als noch vor zehn Jahren, sie investieren aber deutlich weniger Stunden pro Woche in eine Erwerbsarbeit, ermittelte das Institut Arbeit und Qualifika-tion. Im Schnitt lag die Arbeitszeit von Frauen 2001 noch bei wöchentlich 30,2 Stunden. 2006 war es mehr als eine Stunde weniger. Mit durchschnittlich 18,2 Wochenstunden haben in Teilzeit arbeitende Frauen in Westdeutschland so kurze Arbeitszeiten wie in keinem anderen europäischen Land.
Tendenziell wünschen sich in Teilzeit arbeitende Frauen laut Befragungen eher längere Arbeitszeiten. Männer hingegen würden gern weniger arbeiten; ihre tatsächliche Arbeitzeit liegt häufig aufgrund von Überstunden über der tariflichen Vollzeitarbeit. Hätten Frauen und Männer die Wahl, würde ihr Arbeitszeitvolumen also deutlich näher beieinander liegen. Gleichwohl zeigen Untersuchungen, dass die Wunscharbeitszeiten der Geschlechter nicht identisch sind: Frauen wünschen sich 30, Männer 39 Wochenstunden. Bei Müttern sind es knapp 26, bei Vätern 37.
Neue Väter? Dennoch beklagen auch Männer inzwischen die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Allerdings sind die "neuen Väter" ein Idealbild, das in der Realität selten anzutreffen ist, wie verschiedene Studien ergeben haben. So erklärten kinderlose Männer beispielsweise in einer Befragung, für den eigenen Nachwuchs nicht ihren Job aufgeben zu wollen. Nur sehr wenige würden auf Einkommen verzichten. Selbst Männer mit Kindern sind in der Regel nicht bereit zum Verzicht auf die Karriere.
"Männerforscher konstatieren einen Rollenkonflikt", schreibt die Sachverständigenkommission, "da männliche Identität fest mit beruflichem Erfolg in der Erwerbswelt verknüpft ist." Väter, die am Arbeitsplatz auf ihre familiären Verpflichtungen hinweisen, träfen bei Vorgesetzten und Kollegen oft auf Unverständnis und Ablehnung. Hinzu kommt, dass Frauen in der Regel immer noch schlechter verdienen. So liegt nach der Geburt eines Kindes ein stärkeres berufliches Engagement des Mannes nah. Mütter steigen eher aus dem Berufsleben aus - oft länger, als ursprünglich geplant.
Der Geschlechtervergleich für das Jahr 2007 belegt das traditionelle Muster: Die Arbeitszeiten von Vätern bleiben hoch - egal, wie alt ihre Kinder sind. Mütter dagegen steigen erst mit zunehmendem Alter der Kinder peu à peu wieder ins Erwerbsleben ein. In Westdeutschland kommen selbst Mütter mit 15- bis 17-jährigen Kindern durchschnittlich nur auf die Hälfte des Vollzeit-Arbeitsvolumens.
Berufsrückkehr als Prozess. Wenn junge Mütter zunächst in Teilzeit wieder in die Erwerbsarbeit zurückkehren, wollen viele ihr Kind weiterhin möglichst weitgehend selbst betreuen, zeigen Befragungen. Allerdings spielt dabei die mangelnde Verfügbarkeit von Kinderbetreuung eine wichtige Rolle. Jede fünfte Mutter wäre bei passgenauerem Betreuungsangebot früher wieder in den Job eingestiegen, jede achte mit größerem Stundenumfang.
Eine repräsentative Untersuchung des Bundesfamilienministeriums macht deutlich, dass bei der Berufsrückkehr der Mutter die gesamte Familie gefordert ist. Gegen den Partner und ohne seine Unterstützung sei der Wiedereinstieg kaum zu schaffen. Ein hoher Anteil der befragten Männer gehe jedoch davon aus, dass die Berufsrückkehr ihrer Frau mit ihnen "nichts zu tun" habe. Selbst Männer mit moderner Wertorientierung und Rollenvorstellung sahen darin eine Frage der professionellen Organisation, die ihre Partnerin leisten müsse.
Die Hauptlast der täglich anfallenden Hausarbeit, der Kindererziehung und der Versorgung von pflegebedürftigen Angehörigen tragen über den gesamten Lebenslauf immer noch Frauen. Berufstätige Akademikerinnen mit Kindern wenden allerdings weniger Zeit für die Hausarbeit auf als der Durchschnitt berufstätiger Mütter. Die Forscher erklären das damit, dass Haushalte mit hohem Einkommen vermehrt Dienstleistungen in Anspruch nehmen.
Der Ausbau solcher haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen stehe in den nächsten Jahren dringend an, schreiben die Sachverständigen in ihrem Gutachten. So könnten auch neue, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen. Aufgrund schattenwirtschaftlicher Konkurrenz benötigten haushalts- und personenbezogene Dienstleistungsagenturen allerdings Starthilfen vom Staat.
Wer pflegt künftig? Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels gehen die Experten auch auf das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ein. Bis 2050 wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen von derzeit 2,13 Millionen auf 4 Millionen zunehmen - eine Aufgabe, die Familien in Zukunft nicht mehr allein bewältigen können. Denn die Zahl der (potenziell) Pflegenden wird sich im gleichen Zeitraum um etwa 30 Prozent verringern. Noch wird ein Großteil der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt, viele ausschließlich von Familienangehörigen. Drei Viertel der pflegenden Angehörigen sind weiblich. Sie haben nach dem Ende der Pflegephase oft Schwierigkeiten, im Erwerbsleben wieder Fuß zu fassen.
Mit zunehmendem Alter steigen Männer verstärkt in die Pflege ein, so die Ergebnisse des Alterssurveys. Die meisten Männer pflegen, wenn sie selbst bereits Rentner sind - und dann vorrangig ihre Partnerin. Pflegende Kinder sind in der Regel immer noch die (Schwieger-)Töchter. Angesichts der stärkeren Erwerbsbeteiligung von Frauen, veränderter Lebensformen und vermehrter Single-Haushalte engagieren sich in den vergangenen Jahren allerdings auch die (Schwieger-)Söhne zunehmend bei der Pflege. Ebenfalls steigt die Zahl der Personen, die ihre Freunde, Bekannten oder Nachbarn pflegen.
Zeitbörse der Generationen. Berufstätige mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen stehen oft unter Stress und Zeitdruck. Im starken Kontrast dazu stehen die hohen Zeitressourcen bei älteren Menschen in den ersten Jahren ihres Rentenalters. Die "jungen Alten" zwischen 60 und 70 erfreuen sich häufig noch guter Gesundheit. Viele intensivieren nun, da sie die Zeit dazu haben, die Beziehung zu ihren Kindern und Enkelkindern, zeigen Untersuchungen. Auch das freiwillige Engagement nimmt zu.
Die Sachverständigenkommission regt daher ein stärkeres Miteinander der Generationen vor Ort an, auch jenseits der unmittelbaren Verwandtschaft. Wer sich um andere Menschen kümmert, könnte diese Zeit auf einem Konto ansparen. Bei einer späteren Hilfebedürftigkeit käme dieses Guthaben zum Einsatz, indem eine andere Person die erforderliche Unterstützung übernimmt.
Insgesamt müsse beiden Geschlechtern ermöglicht werden, neben der Erwerbsarbeit Zeit für die Familie, den Haushalt und auch freiwilliges Engagement zu haben - und Übergänge zwischen den Lebensphasen flexibler zu gestalten.
Ute Klammer u.a.: Neue Wege - gleiche Chancen, Gleichstellung von Frauen und Männern im Lebensverlauf, Gutachten der Sachverständigenkommission an das BMFSFJ für den Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, Januar 2011