Quelle: HBS
Böckler ImpulsGender: Einzelkämpferinnen unter Beobachtung
Frauen in Männerberufen weisen ein erhöhtes Depressionsrisiko auf. Für Männer in Frauenberufen gilt das nicht.
Traditionell gibt es klare Ansichten darüber, welche Profession zu welchem Geschlecht passt: Richtige Männer, so das Stereotyp, werden KFZ-Mechaniker, Feuerwehrmann oder Maschinenbauer, Frauen Erzieherin, Bibliothekarin oder Krankenschwester. Männer im Kindergarten und Frauen in der Werkstatt gelten als ungewöhnlich. Wie es sich gesundheitlich auswirkt, wenn Beschäftigte einem „untypischen“ Beruf nachgehen, haben Silke Tophoven vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Jean-Baptist du Prel und Richard Peter von der Universität Ulm und Veronika Kretschmer von der Universität Wuppertal untersucht. Sie können nachweisen, dass Frauen stärker zu Depressionen neigen, wenn sie in einem von Männern dominierten Beruf tätig sind. Für Männer in Frauenberufen besteht kein vergleichbarer Zusammenhang.
Dass es einen Zusammenhang zwischen der ungleichen Verteilung der Geschlechter über die Berufe und Depressivität geben könnte, leiten die Autoren aus soziologischen und sozialpsychologischen Erkenntnissen ab. Angehörige von Minderheiten – wie Frauen in Männerberufen – sind demnach am Arbeitsplatz erhöhten Belastungen ausgesetzt: Sie stehen unter besonderer Beobachtung, müssen sich permanent beweisen, um Vorurteile zu entkräften. Zudem seien sie oft von Mobbing oder sozialer Isolation betroffen. All das beeinträchtige das Wohlbefinden und führe zu Stress, worunter die psychische Gesundheit leiden dürfte.
Für ihre empirische Analyse haben die Forscher die Ergebnisse einer Befragung von mehr als 5.200 abhängig Beschäftigten der Jahrgänge 1959 und 1965 aus dem Jahr 2011 ausgewertet. Zudem haben sie anhand der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit den Grad der Geschlechtersegregation in den verschiedenen Berufen bestimmt. Als Männer- beziehungsweise Frauenberuf betrachten sie Professionen, wenn der Anteil der männlichen oder weiblichen Beschäftigten mindestens 80 Prozent beträgt.
Von den weiblichen Vollzeitbeschäftigten, die an der Befragung teilgenommen haben, arbeiten 6 Prozent in Männer- und 29 Prozent in Frauenberufen, bei den Teilzeit-Arbeitnehmerinnen sind es 3 und 36 Prozent. Die männlichen Teilnehmer sind zur Hälfte in einem Männerberuf tätig, 4 Prozent haben Jobs, in denen Frauen dominieren.
Es zeigt sich, dass Arbeitnehmerinnen in Männerberufen im Vergleich zu denen in Frauenberufen signifikant mehr depressive Symptome aufweisen. Bei den Männern ist das nicht der Fall. Auch wenn Faktoren wie das Alter, der sozio-ökonomische Status oder der Umfang der Erwerbstätigkeit herausgerechnet werden, ändert sich daran nichts. Stress und Konflikte zwischen Beruf und Familie könnten die erhöhte Neigung zu Depressionen von Frauen in Männerberufen zum Teil statistisch erklären, schreiben die Wissenschaftler. Dass für Männer kein analoger Zusammenhang nachweisbar ist, erscheine durchaus plausibel, wenn man die Ergebnisse anderer Studien berücksichtige. Demnach profitieren Männer in Frauenberufen oft sogar von ihrem Minderheitenstatus, weil ihnen – infolge der vorherrschenden Geschlechterklischees – im Vergleich zu den Kolleginnen mehr Autorität und Führungsstärke zugetraut wird.