Quelle: HBS
Böckler ImpulsWährungsunion: Eine Pleite für den Euro
Die Euro-Finanzminister wünschen sich eine Insolvenzordnung für Staaten. Doch damit würden sie die Währungsunion nicht stabilisieren, sondern das Gegenteil erreichen.
Wie lässt sich verhindern, dass sich die Eurokrise wiederholt? Sollte Staaten, denen Investoren die Finanzierung verweigern, ein Insolvenzverfahren drohen so wie Unternehmen? Das wäre nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch „hoch gefährlich“, argumentiert Fabian Lindner vom IMK. Ein Insolvenzregime für Staaten würde keineswegs für Stabilität sorgen, wie seine Befürworter behaupten, sondern das Gegenteil bewirken. Die Euroländer würden sich „ohne Not auf das Niveau von Entwicklungsländern begeben“, die sich in Währungen verschulden, die sie nicht kontrollieren können.
Die Finanzminister der Eurozone haben vorgeschlagen, dass der „European Stability Mechanism“ nur dann finanzielle Hilfen für Mitgliedstaaten bereitstellt, wenn deren „Schuldentragfähigkeit“ sichergestellt ist – wenn ihre Schuldenstandquoten also nicht zu schnell zunehmen. Sonst soll es einen Schuldenschnitt geben. „Ohne es explizit auszusprechen, bringen die Minister damit ein Insolvenzrecht für Staaten ins Spiel“, so Lindner.
Der Forscher sieht mehrere Probleme: Staaten könnten zwar akut zahlungsunfähig werden, also illiquide. Eine Insolvenz aber könne es für Staaten schon deshalb nicht geben, weil sie kein Eigenkapital im buchhalterischen oder unternehmerischen Sinne haben, schreibt der IMK-Forscher. Kein Staat könne sich dazu verpflichten, im Falle negativen Eigenkapitals die öffentliche Infrastruktur zu verkaufen, um ausstehende Schulden zu tilgen, oder sich im Notfall selbst zu liquidieren, um die Gläubiger auszuzahlen. „Ein souveräner Staat kann nicht wie ein Unternehmen insolvent gehen – so lange er ein souveräner Staat ist“, so Lindner.
Dass Eigenkapital kein geeigneter Maßstab sein kann, um die Solvenz von Staaten zu bewerten, wissen die Euro-Finanzminister. Sie weichen daher auf das Konzept der „Schuldentragfähigkeit“ aus. Demnach gilt ein Staat als insolvent, wenn seine Schulden als nicht mehr tragfähig eingestuft werden. Diese Einstufung erfolge jedoch nach „äußerst schwammigen“ Kriterien, kritisiert der IMK-Wissenschaftler. Die Analyse hänge von vielen Unwägbarkeiten ab, etwa von Prognosen über die Zinsentwicklung oder das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Sie sei vollkommen ungeeignet, um damit eine so weitreichende Entscheidung wie einen staatlichen Schuldenschnitt zu begründen. Hinzu kommt: Jede konjunkturelle Krise senkt das BIP und erhöht die Schulden automatisch, so dass formal die „Schuldentragfähigkeit“ sinkt. Wenn dann der Schuldenschnitt droht, können Investoren in einer Krise ganz schnell höhere Zinsen für Staatsanleihen verlangen. Da die privaten Zinsen wesentlich von den staatlichen Zinsen abhängen, sinkt die Wirtschaftsleistung in einer Krise noch mehr und die Schulden werden noch weniger „tragfähig“. Ein Teufelskreis.
Euroraum droht zu zerreißen
Wie in anderen großen Währungsräumen müsse die Zentralbank dafür sorgen, dass die Eurostaaten faktisch niemals zahlungsunfähig werden können, erklärt Lindner. Das heißt, die Europäische Zentralbank (EZB) muss in letzter Instanz – wie sie es 2012 auch angekündigt hat – Staatsanleihen kaufen können. Es heißt allerdings nicht, dass Länder direkt von der EZB finanziert werden.
„Regeln zur Begrenzung der Schulden sind sinnvoll, um einen gemeinsamen Rahmen des Wirtschaftens in der europäischen Währungsunion abzustecken“, schreibt Lindner. Die bestehenden Regeln könnten deutlich verbessert werden, etwa indem man die Kreditaufnahme für öffentliche Investitionen explizit erlaubt. Allerdings sollten diese Regeln „nicht mit dauernder Drohung der Staatsinsolvenz durchgesetzt werden“. Wenn die Eurofinanzminister lieber darauf setzen, einzelne Mitglieder pleitegehen zu lassen, könnte das den Euroraum „auch politisch zerreißen“.
Fabian Lindner: Insolvenzregime für Staaten: Ein gefährlicher Irrweg für den Euroraum, Wirtschaftsdienst 2/2019