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HBS Böckler Impuls

Hartz IV: Ein Zuschlag für arme Kinder

Ausgabe 01/2008

Ein reformierter Kinderzuschlag könnte gut drei Millionen Kinder über die Armutsschwelle heben. Gerade Familien in verdeckter Armut, die trotz Bedürftigkeit kein Hartz IV beantragen, würde eine Neuregelung zugute kommen.

Wer von seinem Arbeitseinkommen zwar sich selbst, aber nicht mehr seine Kinder ernähren kann, soll nicht in den Hartz-IV-Bezug rutschen. Dafür gibt es den Kinderzuschlag von maximal 140 Euro pro Monat. Praktisch hat diese Sozialleistung jedoch kaum eine Bedeutung. Sie ist auf einen sehr kleinen Personenkreis zugeschnitten. Antrags- und Prüfungsverfahren sind kompliziert. So haben die Familienkassen nur zwölf Prozent der 2005 und 2006 bearbeiteten Anträge positiv beschieden. Im Ergebnis bekommen gerade einmal 90.000 Kinder den Zuschlag - ein Prozent aller Kindergeldberechtigten. Die Verteilungsforscher Irene Becker und Richard Hauser haben im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung untersucht, wo die Schwachstellen des 2005 eingeführten Instruments liegen. Ihre Verbesserungsvorschläge:

Wer den Kinderzuschlag bekommen kann, scheint auf den ersten Blick klar zu sein: Eltern, die gerade so viel verdienen, dass sie ohne Kinder keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen hätten. Was simpel klingt, erfordert tatsächlich komplexe Berechnungen: Zunächst muss bestimmt werden, ob ein Hartz-IV-Anspruch bestünde, wenn der betroffene Elternteil kinderlos wäre - und deshalb zum Beispiel auch mit einer kleineren Wohnung auskommen könnte. Erst dann lassen sich Einkommensober- und Untergrenzen für den Kinderzuschlag ermitteln. Die Forscher sehen in diesem Verfahren einen "unverhältnismäßig hohen Aufwand" und attestieren dem Kinderzuschlag "mangelnde Effizienz" infolge einer ungünstigen Kosten-Nutzen-Relation.

Die meisten abgelehnten Anträge werden nicht von Eltern mit zu hohen, sondern von solchen mit zu niedrigen Einkommen gestellt. Sie können nach geltender Gesetzeslage Arbeitslosengeld II und Sozialgeld statt Kinderzuschlag beantragen. Im Jahr 2006 machte jedoch nur die Hälfte dieser Hartz-IV-berechtigten Familien von der Möglichkeit Gebrauch. Becker und Hauser zufolge "ein Indikator für eine hohe Dunkelziffer der Armut bei Kindern beziehungsweise Familien".

Die Forscher haben ein Alternativkonzept entwickelt. Es soll die wesentlichen Konstruktionsfehler beheben und den Kinderzuschlag zum "Kindergeldzuschlag" weiterentwickeln. Aus einer arbeitsmarktpolitischen Spezialregelung würde dann ein Bestandteil des allgemeinen Familienlastenausgleichs. Die Kernpunkte ihres Vorschlags:

=> Erhöhung des maximalen Kinderzuschlags auf 150 Euro, so dass Kindergeld und Kindergeldzuschlag zusammen das sozialrechtliche Existenzminimum abdecken. Wegen ihres besonderen Bedarfs sollen Alleinerziehende darüber hinaus bis zu 100 Euro zusätzlich bekommen.

=> Die Berechnung soll einfacher werden. Und wer Hartz IV beantragen könnte, aber aus Scham oder anderen Gründen nicht will, soll in Zukunft nicht mehr leer ausgehen. Deshalb sollen alle Eltern unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze, die sich ohne Hartz-IV-Leistungen durchschlagen, den vollen Zuschlag bekommen. Für Alleinerziehende schlagen die Autoren eine Einkommensgrenze von 860 und für Paare von 1.238 Euro vor.
 
=> Wegfallen sollen außerdem die bislang existierende Höchstbezugsdauer von drei Jahren und die Vermögensanrechnung.

Mit Hilfe des Sozio-oekonomischen Panels 2006, einer repräsentativen Haushaltsstichprobe, haben die Verteilungsforscher die konkreten Auswirkungen ihres Reformvorschlags durchgerechnet. Ergebnis: Rund drei Millionen Kinder würden profitieren, darunter gut ein Drittel der Sprösslinge von Alleinerziehenden. Die Kinderarmutsquote könnte von 18 auf 14 Prozent sinken. Gleichzeitig würde die Zahl der arbeitenden Armen zurückgehen. Die Wissenschaftler taxieren die entstehenden Kosten auf etwa vier Milliarden Euro jährlich.

Becker und Hauser schreiben, ihr Reformvorschlag sei "lediglich als erster Schritt zu einer allgemeinen Grundsicherung für Kinder zu verstehen". Sie hätten ihre Vorschläge so konzipiert, dass sie schnell umsetzbar seien. Langfristig sei eine systematische Weiterentwicklung des Familienlastenausgleichs nötig, die auch Widersprüche zwischen Steuer- und Sozialrecht durch ein einheitliches, der Einkommensteuer unterworfenes Kindergeld beseitigt.

  • Gerade Alleinerziehenden und ihren Kindern käme ein reformierter Kinderzuschlag zugute. Zur Grafik

Irene Becker, Richard Hauser: Vom Kinderzuschlag zum Kindergeldzuschlag: Ein Reformvorschlag zur Bekämpfung von Kinderarmut (pdf), Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung, Dezember 2007

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