Quelle: HBS
Böckler ImpulsEntsendegesetz: Ein Mindestlohn für das Marktgleichgewicht
Erstmals haben Wissenschaftler die Effekte des Mindestlohns im Bauhauptgewerbe empirisch untersucht. Geringverdiener bekommen dank des Entsendegesetzes mehr Geld, und im Westen könnte die Lohnuntergrenze sogar für zusätzliche Jobs gesorgt haben.
Einen Mindestlohn gibt es im Bauhauptgewerbe seit 1997. Weil die Bundesregierung die Tarifverträge der Branche seitdem für allgemeinverbindlich erklärt hat, dürfen Bauunternehmen im Westen ihren Beschäftigten nicht weniger als 10,40 Euro je Stunde im zahlen, im Osten 9 Euro. Wissenschaftler der Universität Regensburg haben nun erstmals empirisch untersucht, welche Effekte die dort eingeführte Lohngrenze hatte. Marion König und Joachim Möller, der neue Direktor des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), betrachten im Zeitraum von 1994 bis 1999 das Wachstum der Löhne sowie die Wahrscheinlichkeit der Weiterbeschäftigung. Für ihre Studie werteten sie Mikrodaten aus der Beschäftigtenstatistik des IAB aus. Ihre Forschung belegt: Die Mindestlöhne auf Basis des Entsendegesetzes haben das Arbeitsentgelt von Geringverdienern spürbar angehoben. Und im Westen könnten sie sogar dazu beigetragen haben, zusätzliche Jobs am Bau zu schaffen.
Der Mindestlohn hilft Geringverdienern. Die zehn Prozent der Beschäftigten mit den niedrigsten Löhnen haben im Zeitraum 1994 bis 1999 am stärksten zugelegt. Daran hatte der Mindestlohn wesentlichen Anteil. Die mittleren Arbeitsentgelte am Bau sind in diesem Zeitraum in Westdeutschland um 6 Prozent gestiegen, die des unteren Zehntels jedoch um 9 Prozent, stellen König und Möller nach einer Entgelt-Analyse von 20- bis 60-Jährigen männlichen Arbeitern fest. Deutliche Lohnzuwächse zeigten sich vor allem in Ostdeutschland, aber auch im Westen war die positive Wirkung des Mindestlohns nachweisbar. Und seine Wirkung ist nicht nur auf den unteren Rand beschränkt. Arbeiter, die schon vor der Einführung in etwa so viel verdienten wie den neuen Mindestlohn, hatten anschließend ebenfalls mehr in der Tasche. Die Ökonomen halten einen indirekten Effekt für möglich: Die Beschäftigten in diesem Bereich wurden hochgestuft, weil sie etwas mehr verdienen sollten als die Kollegen mit den einfacheren Tätigkeiten.
Die Auswirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigung fielen in West- und Ostdeutschland eher gering aus. Im Osten identifizierten die Regensburger Forscher einen leicht negativen Effekt auf die Zahl der Arbeitsplätze. Anders sah es in den alten Bundesländern aus. "Für Westdeutschland haben wir in jedem Fall positive Beschäftigungseffekte festgestellt", schreiben Marion König und Joachim Möller. Der Mindestlohn hat also dazu beigetragen, dass neue Stellen entstehen. "Eine beschäftigungsfeindliche Wirkung der Mindestlohnregelung im Bauhauptgewerbe der alten Bundesländer kann unseren Ergebnissen zufolge somit nicht nachgewiesen werden." Claus Schäfer, Verteilungsexperte des WSI, weist zudem auf die besondere Situation der Baubranche im untersuchten Zeitraum von 1994 bis 1999 hin. In jenen Jahren ebbte der auf die deutsche Einheit folgende Bauboom ab, zahlreiche Arbeitsplätze gingen in beiden Landesteilen verloren. "Dass selbst in dieser schwierigen Phase der Mindestlohn so wenig negative und teilweise sogar positive Beschäftigungseffekte hatte, ist bemerkenswert."
Mehr Stellen mit Mindestlohn. Eine Lohnuntergrenze kann die Zahl der Arbeitsplätze erhöhen, wie die Ökonomen im westdeutschen Baugewerbe beobachteten. Als möglichen Erklärungsansatz ziehen sie die von angelsächsischen Arbeitsmarktforschern vertretene Monopsontheorie heran. Die Theorie geht von einem Mangel an Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt aus: Manche Arbeitgeber haben so viel Marktmacht, dass sie die Löhne unter das Wettbewerbsniveau drücken können. In einzelnen Segmenten des Arbeitsmarktes können selbst kleine Unternehmen über Marktmacht verfügen. In solchen Situationen kann ein Mindestlohn das Lohnniveau wieder ans Gleichgewicht heranführen.
Marion König, Joachim Möller: Mindestlohneffekte des Entsendegesetzes? Eine Mikrodatenanalyse für die deutsche Bauwirtschaft, IAB Diskussionspapier 30/2007 (Oktober 2007).