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Ehrenamtler als Lückenbüßer Böckler Impuls

Sozialstaat: Ehrenamtler als Lückenbüßer

Ausgabe 17/2021

Freiwilliges soziales Engagement trägt oft dazu bei, die Folgen staatlicher Sparpolitik ­auszubügeln. Dabei entstehen Grauzonen zwischen Engagement und Erwerbsarbeit.

Menschen, die sich ehrenamtlich einsetzen, sind für das Gemeinwesen in vielerlei Hinsicht unentbehrlich. „Engagement und Freiwilligenarbeit können wichtige Freiräume schaffen, um Formen der alltäglichen Solidarität und Unterstützung jenseits von Privathaushalt, Markt und Staat zu erproben und Alternativen zu stärken“, schreibt Silke van Dyk. Es gebe allerdings auch Schattenseiten. Mit ihnen hat sich die Soziologin von der Universität Jena in einer Studie beschäftigt, die auf einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekt beruht, das sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen Laura Boemke, Emma Dowling und Tine Haubner bearbeitet hat. Ihrer Analyse zufolge, die auf Interviews mit Engagierten und Experten sowie einer umfangreichen Auswertung von Dokumenten beruht, verschwimmen zum Teil die Grenzen zwischen freiwilligem Engagement und Erwerbstätigkeit. Freiwillige würden zu preiswerten Konkurrenten in den Grauzonen des Wohlfahrtsmarktes, der Bundesfreiwilligendienst in den neuen Bundesländern zum zweiten Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose. Die Politik habe diese Entwicklung gefördert.

In wie vielen Bereichen mittlerweile auf informelle Unterstützung gesetzt wird, veranschaulicht die Anzeige einer Freiwilligenagentur, die van Dyk zitiert: Gesucht werden unter anderem Freiwillige, die Heimkinder betreuen, Sprachkurse für Migranten geben, Frühstück in einem BackpackerHostel zubereiten oder Grünanlagen in einem Sportverein pflegen. Für die Zweckentfremdung des Ehrenamts macht die Forscherin auch den Staat verantwortlich. Dieser habe in den vergangenen Jahren vermehrt Förderprogramme aufgelegt sowie 2011 den Bundesfreiwilligendienst ins Leben gerufen. Das Ehrenamtsstärkungsgesetz von 2013 habe die Auszahlung von höheren Aufwandsentschädigungen ermöglicht. Zugleich habe man versucht, Engagement durch Kampagnen und Preise moralisch aufzuwerten. 

Auf der anderen Seite sei es zu einer „Politik des Unterlassens“ durch Kürzungen und Schließungen gekommen: Freiwillige müssten einspringen, wenn Freibäder oder Bibliotheken aus Kostengründen zumachen, oder kümmerten sich in den Tafeln um Menschen, die durchs soziale Netz fallen. Die Not vieler Kommunen habe sich dadurch verschärft, dass sie Rechtsansprüche – etwa auf einen Kitaplatz oder schulische Ganztagsbetreuung – umsetzen müssen, die auf höherer Ebene beschlossen worden sind. 

Vor diesem Hintergrund bestehe die Gefahr, dass Erwerbsarbeit in der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge durch freiwilliges Engagement ersetzt wird, so van Dyk. Die Arbeitsmarktpolitik habe dieser Gefahr zusätzlich Vorschub geleistet, unter anderem durch den Abbau von Förderinstrumenten. Das habe dazu geführt, dass insbesondere in strukturschwachen Gebieten stattdessen ehrenamtliches Engagement dafür genutzt wird, die „Employability“ von jungen Menschen oder Langzeitarbeitslosen zu stärken. In Ostdeutschland etwa seien überproportional viele Ältere im Bundesfreiwilligendienst tätig.

Symptomatisch sei auch die zunehmende „Monetarisierung“ von freiwilligem Engagement. Aufwandsentschädigungen spielten eine immer größere Rolle, der Bundesfreiwilligendienst werde Rentnern mit wenig Einkommen in einer Broschüre ausdrücklich als Zuverdienstmöglichkeit empfohlen, die Ehrenamtspauschale Hartz-IV-Empfängern. Zudem komme es nicht selten vor, dass reguläre und freiwillige Arbeit kombiniert würden, zum Beispiel in Form von Minijob und Aufwandsentschädigung, um so Steuern und Abgaben zu sparen. 
„Man kann von einer doppelten Erosion tradierter Grenzziehungen zwischen regulärer Erwerbsarbeit und Engagement sprechen, die sich durch die Diffusion des Engagements in den Erwerbsbereich hinein einerseits sowie die zunehmende Prekarisierung von Erwerbsarbeit andererseits auszeichnet“, stellt die Wissenschaftlerin fest. Dem politisch entgegenzuwirken, werde dadurch erschwert, dass es keine klare juristische Definition von bürgerschaftlichem Engagement gibt. Die für eine Abgrenzung von der Erwerbsarbeit gängigen Kriterien der Arbeitsmarktneutralität und Zusätzlichkeit seien in der Praxis flexibel auslegbar und daher wenig hilfreich. Denn dass reguläre Stellen direkt in Ehrenämter umgewandelt werden, komme eher selten vor. Den abstrakten Begriff der Arbeitsmarktneutralität zu präzisieren, wie es auch der DGB fordert, wäre ein erster wichtiger Schritt zu einer wirksamen Regulierung.

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