Quelle: HBS
Böckler ImpulsStandort: Dienstleistungen drücken Arbeitskosten
Deutschlands Arbeitskosten liegen weiterhin im europäischen Mittelfeld. Das ist gut für die Exportindustrie - aber schlecht für die Erholung Europas nach der Krise.
Angesichts der massiven Probleme vieler Euroländer könnte Deutschland die Rolle der Konjunkturlokomotive übernehmen. Schließlich hat sich hierzulande das Wachstum bereits recht kräftig erholt. Von der Stärke der deutschen Wirtschaft profitiert die Eurozone jedoch nicht. Denn die Deutschen sind bei ihrem vermeintlichen Erfolgsmodell aus der Zeit vor der Krise geblieben, so eine neue Studie des IMK. Zum fünften Mal haben die Forscher die Arbeitskosten in Deutschland mit denen anderer europäischer Länder verglichen. Das Ergebnis gilt - zusammen mit den Lohnstückkosten - als wichtiger Indikator zur Beurteilung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit eines Landes.
Die hiesige Privatwirtschaft verharrt bei den Arbeitskosten mit 29 Euro pro Arbeitsstunde im Mittelfeld der EU-Staaten, zeigt die Auswertung auf Basis der neuesten verfügbaren Daten. Damit sind auch 2009 die deutschen Arbeitskosten mit einem Plus von 2,3 Prozent langsamer gestiegen als im Eurozonen-Durchschnitt. Die Folge: Die wirtschaftliche Erholung der Bundesrepublik speist sich hauptsächlich aus dem Export, warnt das IMK. Eine kräftige - und nachhaltige - Belebung der Binnennachfrage blieb bislang aus. Doch nur von dieser könnte "dann auch das Ausland mit deutlichen Steigerungen seiner Exporte nach Deutschland profitieren".
Industrie: Im Verarbeitenden Gewerbe nahmen die Arbeitskosten Deutschlands erneut schwächer zu als in den europäischen Nachbarländern. Mit 33,10 Euro pro geleistete Arbeitsstunde steht die Bundesrepublik damit zwar im EU-Vergleich an dritter Stelle - aber als Teil einer größeren Gruppe von Staaten mit nur geringen Unterschieden. Insgesamt liegen die Arbeitskosten für die Herstellung von Industriegütern zudem noch unter diesem Wert, erläutert das IMK: Wird der Einsatz von produktionsnahen Dienstleistungen berücksichtigt - die so genannte Vorleistungsverflechtung - ergeben sich niedrigere Zahlen. Denn die Arbeitskosten für Dienstleistungen liegen in Deutschland deutlich unter denen des Verarbeitenden Gewerbes.
Dienstleistungen: Die Spreizung zwischen den Arbeitskosten in der Industrie und denen im Dienstleistungssektor ist in Deutschland mit rund 20 Prozent größer als in jedem anderen EU-Land. Mit 26,50 Euro rangiert die Bundesrepublik sogar unter dem Durchschnitt der zwölf Euro-Kernländer. Wie stark die Vorleistungsverflechtung wirkt, zeigen Berechnungen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle. Die Kosteneinsparung für die Industrie lag danach im Jahr 2006 bei rund 13 Prozent der Arbeitskosten je Beschäftigtem. Selbst bereinigt um den höheren Teilzeitanteil im Dienstleistungssektor bleibt für das Verarbeitende Gewerbe eine Kostenentlastung um 8 Prozent. Das entspricht rund 2,50 Euro.
Für 2011 prognostizieren die Forscher einen Anstieg der deutschen Arbeitskosten um rund zwei Prozent - zu wenig, um die Binnennachfrage zu beleben. Daher empfiehlt das IMK politische Reformen, die ein weiteres Wachstum des Niedriglohnsektors verhindern. Denn insbesondere die Ausbreitung so genannter atypischer und oft schlecht bezahlter Beschäftigungsverhältnisse hat der Analyse der Wissenschaftler zufolge die Lohnentwicklung geschwächt. Der Ausweg: flächendeckende, gesetzliche Mindestlöhne und ein Ende der Subventionierung von Mini- und Midijobs. Zudem sollte die Leiharbeit so reguliert werden, dass sie nicht zum Lohndumping missbraucht werden kann, so das IMK.
Torsten Niechoj, Ulrike Stein, Sabine Stephan, Rudolf Zwiener: Deutsche Arbeitskosten und Lohnstückkosten im europäischen Vergleich - Auswirkungen der Krise (pdf), IMK Report Nr. 60 März 2011