Quelle: HBS
Böckler ImpulsRente: Die Versorgungslücke
Viele Erwerbstätige, die kurz vor der Rente stehen, werden sich im Ruhestand einschränken müssen. Eine Absenkung des Rentenniveaus würde das Problem verschärfen.
Bei mehr als der Hälfte der erwerbstätigen 55- bis 64-Jährigen reichen die Ansprüche an die gesetzliche, betriebliche und private Altersversorgung nicht, um das aktuelle Konsumniveau aufrecht zu erhalten. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die gesetzliche Rente ist nach wie vor das Fundament der Altersversorgung, wie die Untersuchung zeigt. Sie allein reicht jedoch heute oft nicht aus, um das gewohnte Niveau zu halten. Die betriebliche Alterssicherung leistet ebenfalls einen wichtigen Beitrag – doch gerade Geringverdiener oder prekär Beschäftigte kommen oft nicht in den Genuss einer Betriebsrente. Im Vergleich zu gesetzlicher und betrieblicher Rente bringt die private Altersversorgung wenig.
Die Wissenschaftler haben anhand von repräsentativen Daten des Sozio-oekonomischen Panels aus dem Jahr 2012 untersucht, wie hoch die Rente ausfällt, die Erwerbstätigen aus rentennahen Jahrgängen zusteht, wenn sie sofort in Rente gingen. In einem zweiten Schritt haben die Forscher berechnet, ob die bisher erworbenen Rentenanwartschaften den derzeitigen Konsum decken können. Arbeitslose, frühverrentete oder anderweitig nicht erwerbstätige Personen sind nicht in die Berechnung einbezogen.
Gesetzliche Rente bleibt Fundament
Bei 58 Prozent der Erwerbstätigen im Alter von 55 bis 64 Jahren fällt der aktuelle Konsum höher aus als die bisher erworbenen Rentenanwartschaften aus der verpflichtenden ersten und zweiten Säule der Altersversorgung. Rechnet man private Versicherungen mit ein, sinkt der Anteil lediglich von 58 auf 56 Prozent. „Die Ergebnisse zeigen, dass private Versicherungen als dritte Säule der Alterssicherung insgesamt nur wenig dazu beitragen, die Versorgungslücke zu schließen“, schreiben die Forscher. Insbesondere bei Riester- und Rürup-Renten seien die eingezahlten Beiträge gering, das erreichte Sparguthaben falle auch aufgrund geringer Verzinsung eher klein aus.
Wenn man annimmt, dass die untersuchten Erwerbstätigen durchgängig bis zum durchschnittlichen Renteneintrittsalter in ihrer bisherigen Position weiterarbeiten können, sinkt der Anteil der Betroffenen. Doch auch dann müssen von den Ruheständlern, die Geld aus gesetzlicher und betrieblicher Rente bekommen, 50 Prozent ihren Konsum einschränken. Rechnet man Leistungen aus privaten Versicherungen hinzu, sind es 48 Prozent.
Bei denjenigen, die eine Versorgungslücke hätten, wenn sie sofort in Rente gingen, beträgt die Differenz zwischen aktuellem Konsumniveau und Rentenanspruch im Durchschnitt rund 700 Euro. Die Versorgungslücke ist bei Erwerbstätigen, die nur Anspruch auf eine gesetzliche Rente haben, mit 740 Euro am größten. Liegen auch Anwartschaften an Betriebsrenten vor, reduziert sich die Lücke auf 620 Euro. Der Einfluss privater Versicherungen ist erneut relativ gering. „Ein nennenswerter Anteil der aktiven Personen aus rentennahen Jahrgängen hat eine potenzielle Versorgungslücke“, schreiben die Wissenschaftler. Am schwierigsten sei die Lage für Geringverdiener, Frauen und Alleinlebende, aber auch für Selbstständige ohne Angestellte.
Diese grundsätzlichen Zusammenhänge bestehen auch in einem weiteren Szenario, das die Forscher berechnet haben. Es berücksichtigt die Annahme, dass Menschen im Ruhestand weniger ausgeben als Berufstätige. Wenn man beispielsweise davon ausgeht, dass Rentner mit 70 Prozent ihres vorherigen Konsums auskommen, beträgt die potenzielle Versorgungslücke bei Betroffenen insgesamt im Schnitt rund 320 Euro. Bei Betroffenen mit ausschließlich gesetzlicher Rente sind es knapp 370 Euro. Werden zusätzlich private Versicherungen herangezogen, reduziert sich die Lücke nur um knapp 30 Euro.
Rentenniveau nicht weiter senken
„Die gesetzliche Rente ist und bleibt der Anker der Altersversorgung“, sagt Dorothea Voss, die die Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung leitet. „Jedes weitere Absinken des Rentenniveaus muss verhindert werden – nicht nur bis 2025, sondern dauerhaft.“ Auch die DIW-Wissenschaftler raten dazu, die gesetzliche Rente zu stärken. Die Politik solle sich „am österreichischen Modell orientieren“, das mehr auf die erste Säule der Alterssicherung setzt, so die Studienautoren.
Markus M. Grabka, Timm Bönke, Konstantin Göbler, Anita Tiefensee: Große Lücke in der Sicherung des Lebensstandards bei rentennahen Jahrgängen (pdf), DIW-Wochenbericht 37, September 2018