Quelle: HBS
Böckler ImpulsVerteilung: Die ungleichen Staaten von Amerika
Die normalen Beschäftigten haben von den gestiegenen Erträgen der US-Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten kaum etwas abbekommen. Das hat vor allem mit geschwächten Gewerkschaften und dem Einzug der Computertechnik zu tun.
Die Lohnsteigerungen der Nachkriegszeit sorgten dafür, dass sich die Kaufkraft einer US-amerikanischen Familie in der Mitte der Einkommensverteilung von 1947 bis 1973 mehr als verdoppelte. Bis 2007 stieg ihr Realeinkommen dann aber nur noch um 22 Prozent – und fiel infolge der Wirtschaftskrise nach dem Finanzmarkt-Crash anschließend um 8 Prozent zurück. 2012 lag das mittlere Realeinkommen gerade einmal auf dem Niveau von 1996. Auch die Armutsquote, die sich zwischen 1959 und 1973 halbiert hatte, stieg in jüngster Zeit wieder an.
Das lasse sich nicht damit erklären, dass die Ertragskraft der Wirtschaft insgesamt nachgelassen habe, schreibt Edward N. Wolff von der New York University. Vielmehr entwickelten sich Produktivität und Löhne auseinander. Beide Größen waren bis 1973 im Einklang gestiegen, so der Ökonom. Fortan blieben die Reallöhne zurück. In der Phase von 1979 bis 2001 stiegen sie beispielsweise nur um durchschnittlich ein halbes Prozent pro Jahr. Die Produktivität nahm hingegen um 1,1 Prozent zu. Entsprechend wuchsen Profitrate und Gewinne. 2012 belief sich der Anteil der Kapitaleinkommen an allen Einkommen auf ein Drittel – der höchste Stand der Nachkriegsgeschichte.
Aber welche Kräfte ließen die Produktivitätsgewinne in größere Ungleichheit statt wachsenden Massenwohlstand umschlagen? Wolffs Analyse zeigt: Die beiden wichtigsten Erklärungsfaktoren sind der gewerkschaftliche Organisationsgrad und der Einsatz von Informationstechnologie. Ohne hinreichenden gewerkschaftlichen Rückhalt kam den Arbeitnehmern die nötige Verhandlungsmacht abhanden: Der Organisationsgrad sank zwischen 1954 und 2012 von 25 auf 11 Prozent. Und mit dem verstärkten Computereinsatz war offenbar eine rasante Abwertung vieler einfacher Tätigkeiten verbunden.
Ein besonders enger Zusammenhang besteht Wolff zufolge zwischen der Profitabilität der Firmen und den Zuwächsen in der höchsten Einkommensklasse. Verbessern sich die Erfolgskennzahlen der Unternehmen, schlage sich dies im amerikanischen Shareholder-Value-Modell in erster Linie in den Einkommen einer kleinen Gruppe nieder. Sie besteht aus Topmanagern und anderen Berufsgruppen, deren Einkünfte unmittelbar mit der Börse verknüpft sind.
Das Argument lasse sich aber durchaus auch umgekehrt formulieren, schreibt Wolff: Der Druck der Finanzmärkte – etwa von ungeduldigen Fondsmanagern, die vierteljährlich Erfolgsmeldungen vorlegen müssen – treibe die Manager an, „Shareholder Value zu schaffen, zum Nachteil von Beschäftigten und anderen Stakeholdern“.
Der Aufstieg dieses Wirtschaftsmodells, so Wolff, habe in den frühen 1970er-Jahren begonnen. Damals habe die Kapitalseite den sozialen Konsens der Nachkriegszeit beerdigt. Sie habe einseitig den „Vertrag von Detroit“ gekündigt. Dieser 1950 zwischen General Motors und der United Auto Workers Union ausgehandelte Vertrag gilt als Symbol für Prosperität und sozialen Fortschritt der damaligen Zeit.
Dass sich die Verteilung von Einkommen und Vermögen polarisiert hat, liegt Wolffs Analyse zufolge aber auch an der Politik: „Alles in allem profitierten von den Steuersenkungen der Nachkriegszeit vor allem die Reichen, besonders die Superreichen“, urteilt der Wissenschaftler. Beispielsweise betrug der Spitzensteuersatz 1960 noch 91 Prozent. Heute liegt er bei knapp 40 Prozent. In der Regierungszeit Ronald Reagans war er allerdings auch schon einmal unter 30 Prozent gesunken.
Edward N. Wolff: Inequality and rising profitability in the United States, 1947–2012, in: International Review of Applied Economics 6/2015