Quelle: HBS
Böckler ImpulsMitbestimmung: „Die neuen Regeln sind nur ein Anfang“
Der Schutz der Mitbestimmung in transnationalen Konzernen verbessert sich mit dem Inkrafttreten neuer Gesetze, bleibt aber unzureichend.
Einer EU-Richtlinie folgend hat die Bundesregierung neue Bestimmungen zu grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen von Unternehmen beschlossen. Die Gesetze zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie (UmRUG und MgFSG) regeln, was in solchen Fällen mit der Mitbestimmung auf Unternehmensebene geschieht. I.M.U.-Experte Sebastian Sick bewertet die neue Rechtslage.
Sind die Beschäftigten nun besser vor Versuchen geschützt, die Mitbestimmung durch grenzüberschreitende Umwandlungen auszuhebeln?
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit konnten sich Unternehmen grenzüberschreitend umwandeln, den Sitz über die Grenze verlegen und eine Rechtsform eines anderen Landes annehmen. Angesichts der damit verbundenen Gefahren war eine EU-Richtlinie zum Schutz von Beschäftigten, Gläubigern und Minderheitsgesellschaftern sowie für die nötige Rechtssicherheit erforderlich. Die Umwandlungsrichtlinie – oder Mobilitätsrichtlinie – regelt die grenzüberschreitende Umwandlung, Spaltung und Verschmelzung. Gerade gegenüber der bestehenden Regelung zur Europäischen Aktiengesellschaft, der SE, sind deutliche Verbesserungen und ein gestärkter Missbrauchsschutz enthalten.
Was verbessert sich konkret?
Insbesondere ist erstmals ein – allerdings ausbaufähiges – dynamisches Element enthalten, das ein späteres Anwachsen der Belegschaft bei der Mitbestimmung berücksichtigt. Das gilt jedenfalls für den Zuzug von Unternehmen nach Deutschland. Beim Wegzug von Unternehmen aus Deutschland gilt nun ein verschärfter Missbrauchsschutz, der gegenüber dem Regierungsentwurf noch gestärkt wurde: So wurden den Registergerichten konkrete Kriterien für die Missbrauchsprüfung an die Hand gegeben, die Möglichkeit, Gewerkschaften anzuhören, ist ausdrücklich vorgesehen und die Missbrauchsprüfung wurde aufgrund ihrer Komplexität den Richtern anstelle von Rechtspflegern übertragen. Der im Koalitionsvertrag versprochene Schutz vor dem „Einfrieren" eines mitbestimmungsfreien Zustands ist damit allerdings noch nicht gewährleistet. Die neuen gesetzlichen Regelungen bringen Fortschritte beim Schutz der Mitbestimmung, können diesen aber nicht absolut garantieren. Sie sind nur ein Anfang. Das habe ich als Sachverständiger im Bundestagsausschuss hervorgehoben.
Auf welche Weise könnten Unternehmen sich weiterhin der Mitbestimmung entziehen?
Durch eine grenzüberschreitende Umwandlung aus Deutschland heraus können junge, noch relativ kleine Unternehmen bewirken, dass ein Zustand ohne Mitbestimmung oder ein niedriges Niveau der Mitbestimmung auf Dauer festgeschrieben werden. Das gilt auch, wenn nach deutschem Recht mit einem späteren Wachstum der Beschäftigtenzahl mehr Mitbestimmung gelten würde – das ist das Einfrieren. Auch gilt der Bestandsschutz für eine bereits bestehende Mitbestimmung nicht unbegrenzt, sondern in der Regel nur für vier Jahre. Danach kann sie durch Folgeumstrukturierungen wieder ausgehebelt werden. Darüber hinaus hilft der Missbrauchsschutz lediglich gegen extreme Fälle, nicht aber gegen die Anwendung der neuen Möglichkeiten als solche. Bei der sogenannten Hereinumwandlung, dem Zuzug von Unternehmen, ist das dynamische Element, das unter bestimmten Umständen Neuverhandlungen bei Überschreiten eines Arbeitnehmerschwellenwerts bewirkt, ebenfalls auf vier Jahre begrenzt und auch nicht so wasserdicht, dass ein Einfrieren von Mitbestimmungsfreiheit zweifelsfrei ausgeschlossen wäre.
Wie könnte der Gesetzgeber Mitbestimmungsflucht wirkungsvoll verhindern?
Sowohl der nationale wie der europäische Gesetzgeber sind in der Pflicht. Auf nationaler Ebene müssen Schlupflöcher geschlossen werden. Das gilt unter anderem im Bereich der SE und der grenzüberschreitenden Verschmelzung. Die Mitbestimmung müsste mit dem Anwachsen von Belegschaften angepasst werden. Das neue dynamische Element aus der grenzüberschreitenden Umwandlung sollte weiterentwickelt und verfeinert werden, sodass bei steigenden Beschäftigtenzahlen Neuverhandlungen zweifelsfrei nötig werden. Ausländische Rechtsformen müssten von der Mitbestimmung erfasst werden. Darüber hinaus sollten Beschäftigte für die Drittelbeteiligung wie bei der paritätischen Mitbestimmung stets konzernweit gezählt werden. Und es bedarf effektiver Sanktionen, wenn Unternehmen rechtswidrig die Mitbestimmungspflicht ignorieren. Darüber hinaus ist auf europäischer Ebene, so wie die europäischen Gewerkschaften und das EU-Parlament es fordern, eine Rahmenrichtlinie mit europaweiten Mindeststandards für die Mitbestimmung sinnvoll.
Sebastian Sick ist Experte für Unternehmensrecht und Corporate Governance im I.M.U.