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HBS Böckler Impuls

Investitionen: Die Lücke ist offensichtlich

Ausgabe 09/2019

Die öffentliche Infrastruktur ist in schlechtem Zustand. Das Ausmaß des Verfalls ist unter Ökonomen zwar umstritten. Sicher ist jedoch: Es fehlen Investitionen.

  • Zieht man von den staatlichen Bauinvestitionen die Abschreibungen an öffentlichen Gebäuden ab, steht unter dem Strich seit vielen Jahren ein buchhalterischer Wertverlust. Zur Grafik

Die einen sagen, Deutschland verzehre seinen Kapitalstock. Gemeint ist damit, dass die getätigten Investitionen nicht mit dem Tempo des Verfalls mithalten. Das lasse sich daran ablesen, dass die Abschreibungen auf Gebäude und Anlagen die Bruttoinvestitionen übersteigen, die Nettoinvestitionen mithin negativ sind. 

Andere, eher konservative, Ökonomen meinen, ganz so dramatisch sei es nicht. Denn die buchhalterischen Abschreibungen würden den Wertverlust von Gebäuden oder Straßen überzeichnen. Sofern Einrichtungen der Infrastruktur vernünftig gewartet würden, sinke zwar der Zeitwert, ihre produktive Aufgabe könnten sie aber weiterhin erfüllen. Daher sollte man lieber auf den öffentlichen Brutto- statt Nettokapitalstock schauen – und dieser schrumpfe nicht, sondern wachse zumindest nominell. IMK-Direktor Sebastian Dullien und IMK-Finanzexpertin Katja Rietzler haben sich mit dieser Argumentation auseinandergesetzt. Ihr Fazit: „Der Nettokapitalstock mag den produktiv verfügbaren Kapitalstock unterschätzen, der Bruttokapitalstock aber überschätzt ihn eindeutig.“

Man könne schließlich nicht davon ausgehen, so Dullien und Rietzler, dass die Infrastruktur tatsächlich so intensiv gewartet werde, dass sie ihre Funktion stets uneingeschränkt erfüllen kann. Die Ökonomen verweisen auf den Zustand der Autobahnbrücken, von denen jede siebte in einer Prüfung der Bundesanstalt für Straßenwesen mit der Schulnote fünf abschneidet. Je älter die Infrastruktur, etwa Straßen, sei, desto häufiger fielen Reparaturen mit volkswirtschaftlichen Folgen wie Staus an. Ein anderes Beispiel sei die in Studien nachgewiesene Tatsache, dass marode Schulgebäude das Lernklima beeinträchtigen. 

Aber ob der öffentliche Kapitalstock nun, je nach Indikator, sinkt, stagniert oder langsam wächst: Die Investitionslücke sei offensichtlich, sobald man die allgemeine Wirtschaftsentwicklung einbeziehe, schreiben die IMK-Forscher. Selbst wenn der Bestand an öffentlicher Infrastruktur – wie immer er erfasst wird – nicht schrumpft, bleibt er doch weit hinter den gesellschaftlichen Anforderungen zurück. So nehmen in einer wachsenden Wirtschaft Personenverkehr und Gütertransport zu. Ein reines Aufrechterhalten des Status quo bei der Verkehrsinfrastruktur führe hier absehbar zu Engpässen. Ähnliches gilt für den Wohnungsbau: Mit zunehmenden Einkommen steigt üblicherweise die Nachfrage nach Wohnfläche pro Person; außerdem gelten immer höhere Energiestandards. Wenn der Bestand an öffentlichen Wohnbauten aber lediglich stagniert, verliere der Staat damit „relativ zum Wohnungsmarkt insgesamt“ an Bedeutung. 

Daher seien, insbesondere auf der Ebene der Gemeinden, dringend mehr Investitionen notwendig, folgern Dullien und Rietzler. Allerdings halten die IMK-Forscher wenig davon, dieses Ziel durch pauschale Verpflichtungen à la „die Investitionen müssen in jedem Haushaltsjahr die Abschreibungen überschreiten“ zu erreichen. Vielmehr müssten die Gemeindefinanzen nachhaltig verbessert und dann dort investiert werden, „wo der Nutzen einer öffentlichen Investition deren Kosten übersteigt“.

Sebastian Dullien, Katja Rietzler: Verzehrt Deutschland seinen staatlichen Kapitalstock? – Replik, Wirtschaftsdienst 4/2019

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