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Die Lehren aus Corona Böckler Impuls

Arbeit und Gesellschaft: Die Lehren aus Corona

Ausgabe 03/2025

Die Coronakrise hat Stärken, aber auch Schwächen des Sozialstaats aufgezeigt. Welche Lehren daraus zu ziehen sind, zeigt eine aktuelle Analyse.

Corona hat Deutschland in vielerlei Hinsicht verändert – und wirkt bis heute nach. Einerseits wurde die Gesundheitskrise bewältigt, staatliche Hilfen bewahrten viele Menschen vor großen wirtschaftlichen Notlagen und neue, flexiblere Arbeitsmodelle etablierten sich. Andererseits haben sich Ungleichheiten verfestigt, die beruflichen Perspektiven junger Menschen verschlechtert und die politische Stimmung im Land eingetrübt. Dies zeigt eine umfassende Analyse von Expertinnen und Experten des WSI, die in dem Sammelband „Was von Corona übrig bleibt. Erwerbsarbeit, Sozialstruktur, gesellschaftliche Folgen“ eine wissenschaftliche Bilanz der Coronakrise ziehen.

„Eine der zentralen Lehren ist, dass der Sozialstaat immer noch stark auf den Schutz des sogenannten Normalarbeitsverhältnisses ausgerichtet ist. So waren Menschen, die Vollzeit in abhängiger Beschäftigung gearbeitet haben, mit dem Kurzarbeitsgeld meist recht gut geschützt. Andere waren deutlich schlechter abgesichert“, sagt Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI und Mitherausgeberin des Buches. „Das galt vor allem für unbezahlte Sorgearbeit, die in erster Linie von Frauen geleistet wird und, so scheint es, gar nicht richtig als Arbeit anerkannt wurde. Es galt aber auch für geringfügige Beschäftigung und Selbstständige.“

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Infografik: Im November 2023 gaben 57 Prozent der befragten Erwerbspersonen mit einem Haushaltseinkommen unter 1500 Euro an, große finanzielle Sorgen zu haben. Bei den Befragten mit einem Einkommen zwischen 2.000 und 2.500 Euro waren es 27 Prozent und bei einem Einkommen über 3000 Euro nur 14 Prozent.
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Grundlage für die Analysen im Buch sind Daten der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung, die in insgesamt zwölf Wellen zwischen April 2020, dem Zeitpunkt des ersten Lockdowns, und November 2023 durchgeführt wurde. In diesem Zeitraum wurden zwischen 7677 Erwerbspersonen in der ersten Welle und 4405 in der zwölften Welle befragt. Da immer wieder dieselben Menschen interviewt wurden, lässt sich gut nachzeichnen, welche Erfahrungen sie während der Pandemie gemacht haben und welche Spuren diese in ihren Erwerbsbiografien, aber auch in ihren politischen Einstellungen hinterlassen hat. Weitere Analysen im Buch stützen sich auf die WSI-Betriebsrätebefragung.

Arbeitszeit und Einkommen verringern sich

Mit Beginn der Pandemie kam es zu ungeahnten Einschnitten. Unternehmen mussten von einem Tag auf den anderen ihren Betrieb stark einschränken oder gar schließen. Für viele Menschen bedeutete das, dass sie weniger arbeiten konnten und weniger Geld verdienten. Die durchschnittliche tatsächlich geleistete Wochenarbeitszeit ging deutlich zurück, bei den Männern von 39,4 Stunden auf 37,2 Stunden im März 2020, bei den Frauen von 33,5 Stunden auf gut 31,5 Stunden. Damit haben Frauen und Männer ihre Arbeitszeit prozentual in etwa gleich stark reduziert. Mütter hatten mit 10 Prozent den stärksten Rückgang zu verzeichnen. 

Das wichtigste Instrument, um die Beschäftigten vor Einkommensverlusten zu schützen, war die Kurzarbeit. Im Verlauf der Pandemie wurde das Kurzarbeitsgeld schrittweise von 60 Prozent auf bis zu 80 Prozent des letzten Nettolohns – für Beschäftigte mit Kindern von 67 Prozent auf 87 Prozent – erhöht und die maximale Bezugsdauer auf bis zu 28 Monate verlängert. Kurzarbeit sicherte jedoch nur abhängig Beschäftigte ab und war vor allem dann existenzsichernd, wenn der Ausgangslohn entsprechend hoch war oder das Kurzarbeitsgeld durch den Arbeitgeber aufgestockt wurde. 

Selbstständige erhielten im Vergleich dazu seltener staatliche Unterstützung. Sie gaben doppelt so häufig wie abhängig Beschäftigte an, dass sich die Pandemie negativ auf ihr Einkommen ausgewirkt habe. „Corona hat verdeutlicht, wie wichtig die Absicherung durch soziale Versicherungssysteme ist und dass die entsprechenden sozialpolitischen Schutzlücken für Selbstständige geschlossen werden müssen. Das Ziel sollte dabei sein, möglichst universelle Regelungen zu schaffen“, sagt WSI-Arbeitsmarktexpertin und Mitherausgeberin Karin Schulze-Buschoff. So sollten die bestehende Arbeitslosenversicherung für Selbstständige reformiert und alle nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden.

Armut verfestigt sich

Die Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung konnten zahlreiche Erwerbstätige vor schlimmeren finanziellen Einbußen bewahren, andere fielen jedoch durch das Raster. Am härtesten traf es ohnehin schon marginalisierte Gruppen, zum Beispiel Menschen mit wenig Einkommen, geringer Bildung und niedriger beruflicher Stellung, aber auch viele Alleinerziehende oder Rentnerinnen und Rentner. Das Risiko, in Armut zu geraten, war für Gruppen, die bereits vorher mit materiellen Einschränkungen zu kämpfen hatten, besonders hoch. In der jüngsten Welle der Erwerbstätigenbefragung gaben 63 Prozent der dauerhaft Armen an, von den Krisen der letzten Jahre stark oder sehr stark betroffen gewesen zu sein, gegenüber 23 Prozent der Menschen mit mittleren Einkommen und 10 Prozent derjenigen mit hohen Einkommen. Ungleichheiten, die bereits vor der Pandemie bestanden, haben sich tendenziell verschärft, so die Forschenden.

Frauen übernehmen mehr Sorgearbeit 

Die Menschen hatten nicht nur mit Einkommensverlusten zu kämpfen, sondern mussten auch erheblich mehr Betreuungsarbeit leisten, weil Schulen und Kitas geschlossen wurden. Eltern waren dadurch deutlich stärker belastet als Kinderlose. Zwar engagierten sich Väter während des ersten Lockdowns stärker in der Kinderbetreuung als zuvor, doch handelte es sich dabei um einen kurzlebigen Trend, der sich im Verlauf der Pandemie nicht fortsetzte. Insgesamt übernahmen Mütter einen größeren Anteil der Kinderbetreuung und der damit verbundenen Mehrarbeit als die Väter. „Diese Entwicklungen verdeutlichen, dass die Pandemie – trotz anfänglicher Hoffnungen auf eine gerechtere Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit – bestehende Geschlechterrollen und strukturelle Ungleichheiten nicht nachhaltig aufbrechen konnte“, sagt Eileen Peters, die ebenfalls Mitherausgeberin ist. Hinzu kommt, dass unbezahlte Sorgearbeit in der sozialstaatlichen Absicherung so gut wie keine Rolle spielte. Es sei „eine große Leerstelle der Krisenpolitik“,dass die Bedeutung von Sorgearbeit – als gesellschaftliche Aufgabe und als Faktor, der die Erwerbsfähigkeit bestimmt – nicht erkannt wurde.

Homeoffice: Gekommen, um zu bleiben

Bemerkenswert ist die Entwicklung beim Homeoffice, das sich als neue Form orts- und zeitflexibler Arbeit dauerhaft etabliert hat. Während der Pandemie arbeitete gut ein Drittel der befragten Erwerbstätigen überwiegend oder zumindest regelmäßig zu Hause. Das waren deutlich mehr als zuvor. Auch wenn der Umfang des mobilen Arbeitens mit dem Auslaufen der Schutzmaßnahmen in einigen Fällen wieder zurückgefahren wurde, ist bis heute eine deutlich erhöhte Quote zu verzeichnen. Auch nach der Pandemie arbeitet etwa ein Drittel der Beschäftigten regelmäßig zu Hause, wenn auch vermutlich etwas seltener als während der Lockdowns. Viele empfinden dies als Gewinn. Allerdings zeichnet sich hier möglicherweise ein neues Muster der Ungleichheit ab, da die Möglichkeit, zu Hause zu arbeiten, eher ein Privileg der Höherqualifizierten ist und nicht allen Beschäftigten offensteht.

Betriebe bilden weniger aus

Neben den Schulen hat auch die berufliche Bildung unter der Pandemie gelitten. Die Zahl der Ausbildungsplätze ging zurück, vor allem in solchen Branchen, die von der Pandemie verstärkt betroffen waren. Die von der Bundesregierung ausgelobten Ausbildungsprämien für Betriebe, die ihr Ausbildungsangebot während der Pandemie aufrechterhielten oder sogar ausweiteten, trugen nur begrenzt zur Sicherung der Ausbildung bei. Insgesamt ist die Zahl der Personen ohne Berufsabschluss während der Pandemie stark angestiegen und lag im Jahr 2021 bei 2,6 Millionen jungen Erwachsenen zwischen 20 und 34 Jahren. Es sei davon auszugehen, dass fehlende Ausbildung oder ein verspäteter oder gescheiterter Berufseinstieg nachhaltige Spuren in der Bildungs- und Erwerbsbiografie vieler junger Menschen hinterlassen werden, heißt es in der WSI-Analyse. Viele mitbestimmte Unternehmen haben – entgegen dem allgemeinen Trend – an ihrem Ausbildungsengagement festgehalten. Dies zeigt, dass mitbestimmte Betriebe in Krisenzeiten oft nachhaltiger agieren und Ausbildung als langfristige Fachkräftestrategie verstehen. Insgesamt, so das WSI, habe die betriebliche Mitbestimmung ihre Handlungsfähigkeit unter schwierigen Bedingungen unter Beweis stellen und zudem neue digitale Wege der Interessenvertretung etablieren können.

Schwindendes Vertrauen in politisch Verantwortliche

Die finanziellen Sorgen nahmen vor allem zu Beginn der Pandemie zu. Danach stabilisierten sie sich zwar im Durchschnitt auf niedrigerem Niveau, stiegen aber mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine und der damit verbundenen Teuerung wieder deutlich an. Es überrascht nicht, dass die Sorgen bei Menschen in den unteren Einkommensgruppen am stärksten ausgeprägt waren – schließlich haben sie kaum Spielraum, finanzielle Belastungen auszugleichen. 

Die zunehmenden Sorgen und Belastungen schlugen sich, wie die Analyse zeigt, auch in einer generellen Unzufriedenheit mit der Politik nieder. In der WSI-Erwerbspersonenbefragung wurde das Vertrauen in die Bundesregierung seit Oktober 2021 und damit seit Beginn der Ampelregierung regelmäßig abgefragt. Am Anfang der Legislaturperiode gaben noch 21 Prozent der Befragten an, „großes“ oder „sehr großes“ Vertrauen in die Regierungsarbeit zu haben, gut ein Drittel äußerte geringes Vertrauen. Seitdem ist der Anteil derer, die großes Vertrauen haben, deutlich zurückgegangen; gleichzeitig ist der Anteil derjenigen, die wenig oder gar kein Vertrauen haben, kräftig gestiegen. Zuletzt hatte mehr als die Hälfte – im November 2023 sogar 60 Prozent – nur geringes Vertrauen in die Bundesregierung. Besonders stark ist das Vertrauen in politisch Verantwortliche unter Müttern gesunken – und damit in einer Gruppe, „die sich eigentlich eher durch eine hohe Loyalität zum politischen System auszeichnet“.

„Die Enttäuschungen und die fortschreitende Verfestigung finanzieller Schieflagen, die insbesondere bereits benachteiligte Gruppen hart getroffen haben, führten zu einer tiefen Verunsicherung und einem Vertrauensverlust gegenüber demokratischen Institutionen. Dies könnte die gravierendste und nachhaltigste soziale Folge der Pandemie sein – ein schweres Erbe in einer Zeit, die ohnehin von multiplen Krisen geprägt ist“, resümiert WSI-Direktorin Kohlrausch.

Bettina Kohlrausch, Eileen Peters, Karin Schulze Buschoff (Hg.): Was von Corona übrig bleibt. Erwerbsarbeit, Sozialstruktur, gesellschaftliche Folgen, Campus Verlag 2025

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