Quelle: HBS
Böckler ImpulsWirtschaft: Deutschland - kein Paradies für Arbeitnehmer
Ob beim Wirtschaftswachstum, der Beschäftigung oder dem Pro-Kopf-Einkommen: Deutschland schneidet im internationalen Vergleich mäßig ab. Besonders aus Sicht der Arbeitnehmer bietet die Bundesrepublik kein günstiges Bild, urteilt das IMK.
Unter dem Titel "Benchmarking" vergleicht das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in seiner aktuellen Konjunkturprognose wichtige wirtschaftliche Kennzahlen Deutschlands mit denen der europäischen Handelspartner, der USA und Japans. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die Bundesrepublik sei "derzeit alles andere als ein Paradies für Arbeitnehmer", schreiben die Forscher. Viele andere Länder weisen weitaus höhere Einkommenszuwächse auf. Trotzdem ist dort die Arbeitslosigkeit niedriger. Als Basisjahr für ihre Betrachtungen wählten die Ökonomen das Jahr 1999, das Startjahr der Europäischen Währungsunion. So sind Wechselkursänderungen zwischen den Währungen vieler europäischer Länder ausgeschlossen. Zudem befanden sich alle untersuchten Volkswirtschaften in einem wirtschaftlichen Aufschwung, hatten also eine ähnliche Ausgangslage.
Seit diesem Ausgangsjahr bleibt Deutschlands gesamtwirtschaftliches Wachstum hinter dem seiner wichtigsten Handelspartner zurück. Von den großen Volkswirtschaften liegen die USA klar an der Spitze; unter den untersuchten ist nur Spanien erfolgreicher. Warum hat sich die deutsche Volkswirtschaft im Vergleich so schwach entwickelt? Aufschluss darüber gibt der Blick auf die Auslands- und die Binnennachfrage: Deutschlands Exporte wuchsen seit Beginn der Währungsunion dynamischer als die aller anderen Länder. Besonders Italien und in jüngster Zeit Spanien blieben weit zurück. Die Inlandsnachfrage hingegen war in keinem Staat so schwach wie in der Bundesrepublik. Das ist auch deshalb so gravierend, weil in einer großen Volkswirtschaft wie Deutschland ein exzellentes Wachstum der Exporte die schwache Entwicklung des privaten Konsums nicht ausgleichen kann. Immerhin macht die private Binnennachfrage knapp 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Besonders dynamisch lief die Binnenwirtschaft in Spanien, Großbritannien und den USA, mit etwas Abstand auch in Frankreich. Die besondere deutsche Schwäche setzt sich zusammen aus einer mageren Konsum- und einer desaströsen Bauentwicklung.
Auch die Beschäftigung gemessen in Vollzeitäquivalenten - so wirken unterschiedlich hohe Teilzeitquoten nicht verzerrend - entwickelte sich in Deutschland besonders schwach. Selbst in Italien, dessen BIP ebenfalls nur mäßig wuchs, nahm sie zu. Besonders gute Zuwächse hatte Spanien. Etwas günstiger sind die deutschen Zahlen bei der Beschäftigung in Personen. Grund ist die Ausweitung von Mini- und Midijobs. Größtenteils spiegeln sich die Beschäftigungstendenzen in den Arbeitslosenquoten wider: Deutschland liegt hier etwas über dem Euroraum und weit über den USA und Großbritannien.
Taugt die Entwicklung der Arbeitskosten zur Erklärung von niedriger Beschäftigung und hoher Arbeitslosigkeit? Nein, zeigen die Vergleichsdaten: Denn diese Kosten sind in Deutschland erheblich geringer gestiegen als in den übrigen Ländern. Besonders starkes Wachstum weisen jedoch die USA, Großbritannien und die Niederlande auf. Die Produktivität je Stunde ist in Deutschland hingegen relativ stark gestiegen - sprich: Wie viele Güter werden innerhalb einer Stunde erzeugt? Zumindest in Europa nimmt die Bundesrepublik die Spitzenposition ein.
Lohnkosten und Produktivitätszuwächse ergeben die Entwicklung der Lohnstückkosten, also die Lohnkosten je erbrachter Leistung. Maßvolle Arbeitskostenzuwächse und relativ hohe Produktivitätssteigerungen führen dazu, dass deren Entwicklung in der Bundesrepublik äußerst flach verlaufen ist. Im Kern erklärt sich so auch die vergleichsweise schwache Inflation Deutschlands. Weitere Einflüsse sind hier die Ölpreisschocks und die Wettbewerbsposition der Unternehmen. Letztere bestimmt, in welchem Ausmaß ein Unternehmen steigende Produktionskosten über die Preise an seine Kunden weitergeben kann.
Lohnzuwächse minus Inflation, daraus ergibt sich die Entwicklung der Reallöhne: Die niedrigen Lohnzuwächse dämpfen in Deutschland ihren Anstieg, dagegen hat die niedrige Inflation sie gestützt. Insgesamt nimmt Deutschland daher eine mittlere Position im Euroraum ein. Deutlich höhere Zuwächse weisen die USA, Großbritannien und die Niederlande auf. Dagegen hat die relativ hohe Inflation in Italien und Spanien die Reallöhne sehr gedrückt, so dass sie schwächer als im Durchschnitt des Euroraums gestiegen sind.
"Diese Ergebnisse zeigen, dass die Verbindung zwischen Reallöhnen und Beschäftigung keineswegs dominierend ist", so das IMK. Das heißt: Höhere Löhne ergeben nicht zwangsläufig weniger, niedrigere Löhne nicht zwangsläufig mehr Beschäftigung. Denn hohe Reallohnzuwächse gehen beispielsweise in den Niederlanden mit niedrigen, in den USA oder Großbritannien jedoch mit hohen Beschäftigungszuwächsen einher. Niedrige Reallohnzuwächse sind in Spanien mit einer kräftigen und in Österreich mit einer schwachen Beschäftigungstendenz verbunden.
Die Unterschiede in der Reallohnentwicklung schlagen auf die verfügbaren Einkommen durch, aus denen sich der Konsum speist. Neben Deutschland sind hier die Niederlande ebenfalls schwach - Deutschland wegen der Kombination aus mittleren Reallohnzuwächsen und sinkender Beschäftigung, die Niederlande wegen der schwachen Beschäftigungsentwicklung. Spanien und Großbritannien, wo die Beschäftigung spürbar wuchs, weisen deutlich bessere Werte auf.
Für die deutschen Arbeitnehmer kommt erschwerend hinzu, dass die Lohneinkommen einen immer geringeren Anteil an den gesamtwirtschaftlichen Einkommenssteigerungen haben, die Gewinneinkommen einen immer größeren. Nachdem die so genannte Lohnquote lange in etwa im Durchschnitt des Euroraums lag, ist sie in den vergangenen drei Jahren darunter gesunken. Dabei zeigen sich in den meisten Volkswirtschaften zum Teil ausgeprägte Umverteilungstendenzen: Die Lohnquote sank seit 1999 in allen Ländern - Ausnahmen bilden Großbritannien mit einem leichten Anstieg sowie Frankreich, Italien und die Niederlande mit einer in etwa konstanten Quote.
Herbstprognose des IMK: Der Aufschwung - schon vorbei?,
IMK Report Nr. 14 Oktober 2006
Download (pdf)