Quelle: HBS
Böckler ImpulsVerteilung: Deutschland bleibt gespalten
Trotz der guten Konjunktur ist die Ungleichheit gestiegen. Vor allem der Osten Deutschlands liegt deutlich zurück.
Die verfügbaren Einkommen in Deutschland waren seit den 1970er-Jahren nie so ungleich verteilt wie heute. Noch größer ist die Konzentration bei den Vermögen. Zu diesem Ergebnis kommen Dorothee Spannagel vom WSI und Anita Tiefensee vom Paritätischen Gesamtverband in einer aktuellen Analyse. Die beiden Forscherinnen haben unter anderem Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ausgewertet.
Demnach stieg die Ungleichheit der verfügbaren Einkommen vor allem Anfang der 2000er-Jahre stark an und erreichte im Jahr 2005 einen vorläufigen Höhepunkt. Anschließend blieb sie für mehrere Jahre stabil auf hohem Niveau. In den vergangenen Jahren hat die Einkommensungleichheit erneut zugenommen – und das trotz der guten konjunkturellen Lage. Ablesen lässt sich das am sogenannten Gini-Koeffizienten, einem gängigen Maß für die Ungleichheit. Bei einem Gini-Wert von null würden alle Personen in einer Gesellschaft über gleich viele Ressourcen verfügen, bei einem Wert von eins würde eine Person alles besitzen und alle anderen nichts. In Deutschland stieg der Gini für verfügbare Einkommen zwischen 1991 und 2015 von 0,25 auf 0,29.
Bei den Vermögen ist die Ungleichheit noch stärker ausgeprägt, hier betrug 2012 der Gini-Koeffizient 0,78 – im europäischen Vergleich ist das einer der höchsten Werte. Anders ausgedrückt: Die Vermögensungleichheit ist hierzulande größer als in fast allen europäischen Ländern. Nur in Österreich ist sie ähnlich groß. Auffällig ist der Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland: Im Osten lag das mittlere Vermögen bei rund 8 000 Euro pro Kopf, im Westen bei gut 21 000 Euro. Zudem besaß das reichste Zehntel im Westen doppelt so viel Vermögen wie das obere Zehntel im Osten. Aufgrund von Erbschaften – in den kommenden Jahren werden jährlich rund 400 Milliarden Euro vererbt – dürfte die Kluft zwischen Ost und West noch tiefer werden. Bereits jetzt ist rund ein Drittel des Vermögens im Westen auf Erbschaften oder Schenkungen zurückzuführen.
Die Forscherinnen fordern Maßnahmen gegen die Ungleichheit: Eine stärkere Tarifbindung könnte Lohnunterschiede ausgleichen und käme insbesondere Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen zugute. Ein wirksamer Schritt in diese Richtung wären Allgemeinverbindlicherklärungen von Tarifverträgen. Außerdem würden untere Einkommensschichten von einer konsequenten Durchsetzung und einer Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns profitieren. Auf der anderen Seite könnten höhere Steuern auf sehr hohe Einkommen und Vermögen beziehungsweise Erbschaften nicht nur materielle Ungleichheiten reduzieren, sondern auch Spielraum für öffentliche Investitionen schaffen.
Anita Tiefensee, Dorothee Spannagel: Ungleichheit der Einkommen und Vermögen in Deutschland (pdf), WSI-Mitteilungen 5/2018