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Deutschland auf Platz sechs Böckler Impuls

Arbeitskosten: Deutschland auf Platz sechs

Ausgabe 11/2023

Die Arbeitskosten haben 2022 infolge von Preisschocks deutlich stärker zugelegt als in den Vorjahren. Europaweit liegt Deutschland unverändert im oberen Mittelfeld.

Die Arbeitskosten in der EU sind im vergangenen Jahr so stark gestiegen wie seit Anfang der 2000er-Jahre nicht mehr. Laut einer Untersuchung des IMK betrug der Anstieg in Deutschland 6,4 Prozent, nach nur 1,3 Prozent 2021. Im Dienstleistungsbereich, wo die Arbeitskosten traditionell vergleichsweise niedrig ausfallen, war das Plus infolge der Mindestlohnerhöhung größer als in der Industrie. Gleichzeitig erlitten die Beschäftigten im Schnitt Reallohnverluste, während viele große Unternehmen hohe Gewinne einfuhren.

„Wir durchlaufen eine Phase der wirtschaftlichen Zuspitzungen, und die haben 2022 wie wenige andere Jahre geprägt“, sagt IMK-Direktor Sebastian Dullien. „Schmerzhafte Reallohnverluste, deutlich höhere Arbeitskosten, brüchige Lieferketten, wachsende Dividenden bei vielen Dax-Konzernen und ein stabiler Arbeitsmarkt – alles in einem Jahr.“ Die meisten europäischen Länder und insbesondere Deutschland seien jedoch bislang recht gut durch diese Krise gekommen und außenwirtschaftlich weiterhin sehr wettbewerbsfähig. Neben einer funktionierenden Sozialpartnerschaft sei dafür auch die Krisenpolitik der Bundesregierung verantwortlich: „Sie hat die Energieversorgung abgesichert und Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen an wichtigen Stellen entlastet. Jetzt ist es wichtig, dass sie diesen Kurs fortsetzt – mit einer Verlängerung der Energiepreisbremsen bis ins nächste Frühjahr ebenso wie etwa mit der Initiative für einen Industriestrompreis zur Standortsicherung in der Transformation.“

Arbeitskosten in der EU legen um 5,4 Prozent zu

Zu den Arbeitskosten zählen neben dem Bruttolohn die Arbeitgeberanteile an den Sozialbeiträgen, Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung sowie bestimmte Steuern. Das IMK nutzt für seine Studie die neuesten verfügbaren Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat. Der Auswertung zufolge sind die Arbeitskosten in der Privatwirtschaft 2022 EU-weit um 5,4 Prozent gestiegen. Mit 40 Euro pro Stunde lag Deutschland 2022 an sechster Stelle unter den EU-Ländern, die im Schnitt auf 30,20 Euro kommen. Im Verarbeitenden Gewerbe betrugen die Arbeitskosten 2022 in Deutschland 44 Euro und in der EU insgesamt 30,50 Euro pro Stunde. Damit rangiert die Bundesrepublik auf Platz vier im EU-Vergleich. Nicht berücksichtigt ist dabei, dass die hiesige Industrie vergleichsweise stark von günstigeren Vorleistungen aus dem Dienstleistungsbereich profitiert – auch wenn es im vergangenen Jahr eine gewisse Annäherung gab. 2022 legten die industriellen Arbeitskosten in Deutschland mit 4,5 Prozent etwas schwächer zu als in der EU insgesamt mit 4,8 Prozent.

Im privaten Dienstleistungssektor lagen die deutschen Arbeitskosten 2022 mit 38 Euro an sechster Stelle in der EU, wo es im Schnitt 30,20 Euro sind. Der Zuwachs in Deutschland war mit 7,2 Prozent spürbar größer als der EU-Durchschnitt von 5,5 Prozent. Ein wichtiger Grund dafür dürfte die Mindestlohnanhebung auf 12 Euro gewesen sein. „Das ist eine positive Entwicklung, da Deutschland nach wie vor den höchsten Lohnabstand zwischen Verarbeitendem Gewerbe und Dienstleistungssektor aufweist“, schreiben Ulrike Stein und Alexander Herzog-Stein vom IMK. Durch die Erhöhung seien Beschäftigte mit niedrigen Entgelten vor Kaufkraftverlusten bewahrt worden, der in Deutschland recht große Niedriglohnsektor sei deutlich geschrumpft.

Unveränderte Wettbewerbsposition

Die Lohnstückkosten, die die Arbeitskosten ins Verhältnis zur Produktivität setzen, sind 2022 in Deutschland zwar mit 3,8 Prozent etwas stärker gestiegen als im Euroraum insgesamt mit 3,3 Prozent. „Ein Grund zur Sorge ist das dennoch nicht“, betonen Stein und Herzog-Stein. Die deutsche Wettbewerbsposition sei unverändert. So seien die Lohnstückkosten hierzulande seit 2020 im Schnitt um jährlich 2,4 Prozent gestiegen und damit langsamer als im Euroraum insgesamt, wo es 2,5 Prozent waren. 

Auf längere Sicht liege die Lohnstückkostenentwicklung der deutschen Wirtschaft sogar trotz der Beschleunigung 2022 weiterhin deutlich unterhalb der Zielinflation der Europäischen Zentralbank (EZB), so die IMK-Forschenden. Die deutschen Lohnstückkosten seien seit der Jahrtausendwende im Jahresmittel um lediglich 1,4 Prozent gewachsen – schwächer als in den anderen großen Mitgliedsstaaten des Euroraums und weitaus weniger, als mit dem Inflationsziel der EZB von 2 Prozent vereinbar gewesen wäre. 2022 hätten zudem auch viele außereuropäische Wettbewerber erhebliche Steigerungen bei den Lohnstückkosten verzeichnet. Tatsächlich habe die Leistungsbilanz der Bundesrepublik im vergangenen Jahr trotz aller Preisschocks einen „erheblichen Überschuss“ von 4 Prozent des BIP aufgewiesen.

Stein und Herzog-Stein raten allerdings dazu, die Lohnstückkosten in den baltischen Ländern im Auge zu behalten. Mit durchschnittlichen jährlichen Anstiegen zwischen knapp sechs und gut acht Prozent über die vergangenen drei Jahre lägen sie weit über dem Inflationsziel der EZB. Das könnte zu neuen Ungleichgewichten im Euroraum führen, wie sie vor knapp zwei Jahrzehnten zur Eurokrise beigetragen haben, warnen die Forschenden. Und es könnte weitere Zinserhöhungen der Zentralbank provozieren, die auch die Konjunktur in den übrigen Euroländern belasten würden. 

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