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HBS Böckler Impuls

Corporate Governance: Deutsche Mitbestimmung passt zu Europa

Ausgabe 15/2012

Dem deutschen Modell der Mitbestimmung im Aufsichtsrat wird bisweilen nachgesagt, es diskriminiere Beschäftigte im Ausland. Einer europarechtlichen Prüfung hält die Argumentation jedoch nicht stand.

Manche Kritiker der deutschen Gesetze zur Unternehmensmitbestimmung haben seit einiger Zeit das europäische Recht entdeckt: Deutsche Konzerne, die auch im Ausland Arbeitnehmer beschäftigen, dürften in ihren Aufsichtsräten nicht ausschließlich deutsche Belegschaftsvertreter berücksichtigen. Das verstoße gegen EU-Vorschriften zur Abwehr von Diskriminierung und könne europäische Gerichte auf den Plan rufen, meinen Juristen wie Volker Rieble, Professor am von den Arbeitgebern finanzierten Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht. Und fordern: Bei grenzüberschreitenden Angelegenheiten seien Arbeitnehmer von jeder Mitwirkung auszuschließen.

Bei näherer Betrachtung sei dieser Ansatz jedoch nicht tragfähig, schreibt Rüdiger Krause. Der Professor für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Göttingen hat die Argumente der Mitbestimmungskritiker eingehend geprüft. Sein Ergebnis: Es falle in die Kompetenz der Mitgliedstaaten, den auf ihrem Hoheitsgebiet tätigen Unternehmen Regeln für die Lösung von Interessenkonflikten in den Arbeitsbeziehungen zu geben. Die EU sei lediglich dafür zuständig, die nationalen Regelungen zu harmonisieren – und grenzüberschreitend tätigen Unternehmen einen Rechtsrahmen für die Arbeitnehmerbeteiligung zur Verfügung zu stellen. Dies sei bereits geschehen, nämlich mit der Europäischen Aktiengesellschaft und dem Europäischen Betriebsrat, betont Krause. Auch die übrigen Kritikpunkte hat der Rechtswissenschaftler detailliert geprüft – und verworfen:

Verstoß gegen die Freizügigkeit inländischer Arbeitnehmer? Das deutsche Mitbestimmungsgesetz von 1976 gilt nur für deutsche Unternehmen. Die Folge: Wenn ein bisher im Inland beschäftigter Arbeitnehmer dauerhaft in eine ausländische Zweigniederlassung seines Unternehmens wechselt, verliert er das aktive Wahlrecht und gegebenenfalls sein Aufsichtsratsmandat. Die europäischen Regeln zur Arbeitnehmerfreizügigkeit untersagten zwar „jede auf der Staatsangehörigkeit beruhende unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen“, erläutert Krause. Außerdem dürften nationale Regelungen das Arbeiten in einem anderen Land der EU weder behindern noch weniger attraktiv machen.

Nach Auslegung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sei die Arbeitnehmerfreizügigkeit jedoch nur dann verletzt, wenn der Verlust von Vergünstigungen bei einem grenzüberschreitenden Arbeitsplatzwechsel „einer Marktzugangsverweigerung gleichkommt“, so Krause. „Vor diesem Hintergrund kann man zunächst ausschließen, dass sich ein Arbeitnehmer die Chance auf einen beruflichen Aufstieg, der mit dem freiwilligen Wechsel in eine ausländische Niederlassung oder Tochtergesellschaft regelmäßig verbunden ist, nur deshalb entgehen lässt, weil er hierdurch die Möglichkeit der aktiven Teilnahme an Aufsichtsratswahlen einbüßt.“

Auch der eventuelle Mandatsverlust verletze die Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht: Schließlich erlösche das Mandat eines unternehmensangehörigen Mitglieds des Aufsichtsrats mit jeder Beendigung seines Arbeitsverhältnisses – zum Beispiel, wenn er in Rente geht oder die Firma verlässt. Der Wechsel zu einer ausländischen Tochter wäre „daher nur eine Konstellation unter vielen anderen“. Es gelte also „nichts anderes als beim Verlust des deutschen Kündigungsschutzes“, zu dem es bei einem dauerhaften Wechsel ins Ausland ebenfalls regelmäßig komme.

Diskriminierung ausländischer Arbeitnehmer? Die Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf in Deutschland tätige Arbeitnehmer diskriminiere die Beschäftigten deutscher Konzerne im Ausland, behaupten Kritiker. Nach Auffassung des EuGH markieren allerdings „die Grenzen der Rechtsetzungskompetenz der Mitgliedstaaten zugleich die Grenzen des Diskriminierungsverbots“, entgegnet der Rechtswissenschaftler. Sprich: Das Verbot greife nur, wenn die Diskriminierung innerhalb des durch die Hoheitsgewalt des jeweiligen Landes erfassten Bereichs auftrete.

Dass diese Beschränkung voll auf der Linie der rechtlichen Ausgestaltung der europäischen Einigung liegt, macht Krause anhand eines Gedankenexperiments deutlich. Gälte sie nicht, könnte sich beispielsweise in transnationalen Unternehmen mit französischen Niederlassungen bei grenzüberschreitenden Verteilungskonflikten die gesamte Konzernbelegschaft einheitlich auf das liberalere französische Streikrecht berufen – denn sonst würden ja die deutschen Arbeitnehmer diskriminiert.

Das Beispiel illustriere: Aufgrund der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote ließen sich aus den jeweiligen nationalen Systemen nicht einzelne Komponenten herausschneiden, um für transnational agierende Gesellschaften ein einheitliches Sonderarbeitsrecht zu schaffen, fasst der Juraprofessor zusammen.

  • Die meisten deutschen Unternehmen mit mindestens 2.000 Beschäftigten firmieren als GmbH oder AG. Lediglich 11 Unternehmen mit 1976er-Mitbestimmung firmieren als Europäische Aktiengesellschaft (SE) Zur Grafik

Rüdiger Krause: Zur Bedeutung des Unionsrechts für die unternehmerische Mitbestimmung, in: Die Aktiengesellschaft, Heft 13/2012

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