Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitskosten: Deutsche Arbeitskosten normalisieren sich – Wettbewerbsfähigkeit weiter hoch
Seit Ausbruch der Krise im Euroraum sind die Arbeitskosten in den Krisenländern teilweise erheblich gesunken. Eine nachhaltige Erholung ganz Europas fiele leichter, wenn die Löhne in Deutschland für eine absehbare Zeit deutlich zulegten.
Die Arbeitskosten in der deutschen Privatwirtschaft haben sich lange Zeit weit unterhalb des europäischen Durchschnitts entwickelt. Seit 2011 scheint dieser Trend durchbrochen: Auch 2012 und im ersten Halbjahr 2013 legte ihr Wert um jeweils 2,8 Prozent zu – und hat sich damit weiter normalisiert, so das IMK. Die Wissenschaftler beobachten seit acht Jahren die Kostenentwicklung des Produktionsfaktors Arbeit in der Europäischen Union. Als Grundlage dienen ihnen die neuesten Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat.
„Angesichts der noch ungelösten Krise des Euroraums und der restriktiven Anpassungsprogramme der Troika für einige Länder, die auf eine Reduzierung der relativen Arbeitskosten abzielen, aber auch vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die weiterhin hohen deutschen Leistungsbilanzüberschüsse sind diese Daten von großer wirtschaftspolitischer Bedeutung“, schreiben die Forscher. Nach einem Jahrzehnt sinkender oder stagnierender Reallöhne in Deutschland seien die jüngsten Lohnzuwachsraten von knapp drei Prozent ein Schritt in die richtige Richtung.
Irland und Spanien, aber auch Griechenland und Portugal haben zwar inzwischen an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Diese Entwicklung berge jedoch enorme deflationäre Risiken, so das IMK. Denn die wirtschaftliche Schrumpfung in den Krisenländern wirke sich auch negativ auf die Kapitalmärkte und das Wachstum Deutschlands aus. Insgesamt habe die deutsche Wirtschaft bislang nichts von ihrer preislichen Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt.
Bei den Arbeitskosten der Privatwirtschaft liegt Deutschland 2012 mit 31 Euro pro Arbeitsstunde weiterhin im westeuropäischen Mittelfeld. Neben dem Bruttolohn umfasst dieser Wert die Arbeitgeberanteile an den Sozialbeiträgen, Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung sowie als Arbeitskosten geltende Steuern. Im Vergleich zu 2011 ist die Bundesrepublik um einen Rang nach hinten gerutscht und hat mit Finnland die Position getauscht. Höhere Arbeitskosten weisen unter anderem wichtige Handelspartner wie Frankreich, Belgien und Schweden auf. Die Skandinavier kommen für das vergangene Jahr mit 42,20 Euro pro Stunde auf die höchsten Arbeitskosten in Europa. Das liegt allerdings auch an der Aufwertung der Schwedischen Krone. In den Krisenländern Italien, Irland, Spanien, Griechenland und Portugal reichen sie von 27,40 bis 11,70 Euro die Stunde.
Im Verarbeitenden Gewerbe betrugen die Arbeitskosten 2012 in Deutschland 35,10 Euro pro geleisteter Arbeitsstunde. Damit steht die Bundesrepublik im EU-Vergleich wie in den Vorjahren an fünfter Stelle als Teil einer größeren Gruppe von Industrieländern, die mit 32 bis 44 Euro die Stunde über dem Euroraum-Durchschnitt liegen. Spitzenreiter ist auch hier Schweden mit industriellen Arbeitskosten von 44 Euro, gefolgt von Belgien mit 42 Euro, Dänemark mit 38 und Frankreich mit 36,40 Euro.
Eine deutsche Besonderheit bilden immer noch die vergleichsweise niedrigen Arbeitskosten bei den privaten Dienstleistungen: Sie betrugen 2012 lediglich 28,40 Euro, was nur unwesentlich über dem Durchschnitt des Euroraums von 27,70 Euro liegt – und knapp 20 Prozent unter denen des Verarbeitenden Gewerbes. Auf den höchsten Wert kommt auch bei den Arbeitskosten für Dienstleistungen Schweden mit 41,90 Euro. Erstmals seit Beginn der Währungsunion legten diese Arbeitskosten in Deutschland mit 3,1 Prozent aber stärker zu als im Euroraum-Durchschnitt von 2,1 Prozent. Dennoch gilt: „In keinem anderen Land der Europäischen Union sind die Arbeitskosten im privaten Dienstleistungssektor in Relation zu denen im Verarbeitenden Gewerbe so niedrig“, erläutern die Wissenschaftler.
Damit profitiert das Verarbeitende Gewerbe in der Bundesrepublik stärker als in jedem anderen EU-Land von den günstigeren Vorleistungen aus dem Servicesektor. Denn Industriebetriebe kaufen produktionsnahe Dienstleistungen oft extern ein. Eine neue Studie im Auftrag des IMK hat diesen Effekt umfassend erforscht. Unter Berücksichtigung der Unterschiede bei der Verteilung von Vollzeit, Teilzeit und Minijobs sowie der verschieden hohen Stundenlöhne im Dienstleistungssektor und dem Verarbeitenden Gewerbe ermittelte sie die tatsächliche Vorleistungsverflechtung der deutschen Wirtschaft. Danach kann die Industrie je Arbeitsstunde acht bis zehn Prozent oder rund drei Euro an Kosten sparen. Während der Dienstleistungssektor die Industrie hierzulande bei den Arbeitskosten also entlaste, sei es insbesondere in den mittel- und osteuropäischen EU-Ländern umgekehrt, betonen die Forscher.
Für die Lohnstückkosten, also die Arbeitskosten korrigiert um Produktivitätszuwächse, beobachtet das IMK dasselbe Muster wie bei den Arbeitskosten: In Deutschland legten sie 2012 um 2,9 Prozent zu, im Euroraum-Durchschnitt nur um 1,9 Prozent. Zwischen Anfang 2000 und Mitte 2012 wuchsen die deutschen Lohnstückkosten im Jahresmittel lediglich um knapp 0,7 Prozent – und damit deutlich langsamer als im Euroraum insgesamt mit 1,7 Prozent. Zwischen 2000 und dem Beginn des Jahres 2008 stagnierten sie sogar. Auch wenn sich der über Jahre aufgelaufene Abstand zwischen der Bundesrepublik und ihren Euro-Partnern nun verringere, „hat Deutschland gegenüber dem Rest Europas weiterhin einen extrem hohen preislichen Wettbewerbsvorteil“, schreiben die Wissenschaftler. Das bedeutet: Deutschlands hoher Leistungsbilanzüberschuss von mehr als 185 Milliarden Euro im vergangenen Jahr werde 2013 wahrscheinlich nicht zurückgehen, „obwohl die Krisenländer Europas ihre Importe zurückfahren müssen“.
Griechenland, Irland, Spanien und Portugal hätten durch eine sehr schwache Lohnstückkostenentwicklung in den vergangenen Jahren zwar wieder Anschluss an den Durchschnitt des Euroraums gefunden, stellt das IMK fest. Das sei auch an deutlich wachsenden Exporten ablesbar. Die Position der deutschen Wirtschaft erreichten sie aber längst noch nicht. „Es wäre gesamtwirtschaftlich weitaus besser, wenn die Löhne in Deutschland für eine absehbare Zeit jährlich um deutlich mehr als drei Prozent zulegten“, empfehlen die Forscher. Damit würde die Lohnpolitik deflationären Risiken entgegenwirken, ohne die Inflation anzuheizen. Bei den europäischen Nachbarn würde der restriktive und teilweise sogar gefährliche Anpassungsdruck nach unten gemildert.
Auch unter Verteilungsgesichtspunkten wären höhere Löhne in Deutschland das Gebot der Stunde, so das IMK. Denn die Beschäftigten hatten von der Jahrtausendwende bis zum Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise nur unterproportional Anteil am erzeugten Wohlstand. Um diese Lücke wieder zu schließen, setzen die Forscher unter anderem auf die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. Praktischer Nebeneffekt: Dieser würde das Lohngefälle zwischen Dienstleistungen und Industrie reduzieren.
Alexander Herzog-Stein, Heike Joebges, Ulrike Stein, Rudolf Zwiener: Arbeitskostenentwicklung und internationale Wettbewerbsfähigkeit in Europa (pdf), IMK Report Nr. 88, Dezember 2013.