Quelle: HBS
Böckler ImpulsMitbestimmung: Der Wirtschaftsbürger hat das Wort
Betriebsräte binden die Beschäftigten immer öfter direkt in Entscheidungen ein. Das führt zu mehr Demokratie in den Betrieben. Und das Wissen der Arbeitnehmer hilft dabei, bessere Lösungen zu finden.
Die Globalisierung hat in vielen Betrieben zu Umbrüchen geführt. Betriebsräte reagieren darauf mit neuen Strategien: Anstatt hinter verschlossenen Türen mit der Geschäftsführung zu verhandeln, setzen sie zunehmend auf die direkte Beteiligung der Beschäftigten. Dies zeigt eine Analyse des Mitbestimmungsforschers Thomas Haipeter vom Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg (IAQ). Sein Fazit: Betriebsräte gewinnen dadurch nicht nur an Legitimation, sondern nutzen außerdem die Expertise der Beschäftigten als wichtige Ressource.
Tarifabweichungen
Wie Fallstudien zeigen, steht am Anfang von Konflikten zwischen Unternehmensführung und Beschäftigten häufig die Drohung der Arbeitgeber, die Produktion ins Ausland zu verlagern, Werke zu schließen oder Personal abzubauen. Im Zuge der Auseinandersetzungen nehmen Betriebsräte und Gewerkschaften die wirtschaftliche Lage des Betriebes dann selbst unter die Lupe, um auf Basis ihrer Analysen eigene Forderungen aufzustellen. Oft können sie sich damit auch durchsetzen, müssen dafür aber Kompromisse in Kauf nehmen, etwa Abweichungen vom Tarif. In der Belegschaft müssen sie für diese Verhandlungsergebnisse werben. Eine Schlüsselrolle dabei spielen laut Haipeter neue Beteiligungsstrategien. Besonders erfolgreich sind Arbeitnehmervertretungen, wenn sie die Beschäftigten quasi als Bürger des Betriebes immer wieder befragen – durch Abstimmungen über die Aufnahme von Verhandlungen, die Ergebnisse der Verhandlungen oder die Zusammensetzung von Tarifkommissionen. Diese Strategie führt letztlich sogar zu einem höheren gewerkschaftlichen Organisationsgrad unter den Beschäftigten.
Besser-statt-billiger-Kampagne
In einem weiteren Projekt hat Haipeter die Besser-statt-billiger-Kampagne der IG Metall NRW erforscht. Im Zuge der Kampagne haben Gewerkschaft und Betriebsräte die angeblichen Sachzwänge von Auslagerungen und Personalabbau kritisch hinterfragt und somit die „Deutungshoheit des Managements“ in Frage gestellt.
Auf diese Weise gelang es ihnen, einen Prozess in Gang zu setzen, in dem neue Lösungen gefunden wurden. Dabei griffen die Betriebsräte aber nicht nur auf externe Berater zurück, sondern auch auf das Wissen der Beschäftigten. Erst im vertrauensvollen Gespräch mit dem Betriebsrat waren viele Beschäftigte bereit, ihre Kenntnisse einzubringen. In einem untersuchten Fall gelang es einer Belegschaftsarbeitsgruppe innerhalb von wenigen Stunden, die Fertigung so zu optimieren, dass die vom Management anvisierten Ziele sogar weit übertroffen wurden.
Initiativen für Angestellte
In vielen Industriebetrieben ist die Zahl der Angestellten inzwischen genauso groß wie die der Arbeiter. Allerdings sind die Angestellten deutlich seltener in Betriebsräten oder Gewerkschaften vertreten. Um dies zu ändern, versuchen Betriebsräte in einigen Unternehmen, Angestellte verstärkt als Experten einzubinden. Das tun sie entweder punktuell, um ein bestimmtes Problem zu lösen, oder sie schaffen ganz neue Strukturen, um beispielsweise die Probleme von Ingenieuren regelmäßig zu diskutieren. Betriebsräte haben, resümiert IAQ-Forscher Haipeter, „auf der Grundlage dieser vielfältigen Beteiligungsvarianten eine neue Form von Interessenvertretungshandeln entwickelt“. Vor allem die Angestellten wüssten das zu schätzen.
Thomas Haipeter: Erneuerung durch Beteiligung. Befunde zum Wandel der Mitbestimmung der Betriebsräte, in: Gerhard Bäcker, Steffen Lehndorff, Claudia Weinkopf: Den Arbeitsmarkt verstehen, um ihn zu gestalten: Festschrift für Gerhard Bosch, 2016