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HBS Böckler Impuls

Jugendliche: Der Weg ins Berufsleben fällt auch in Deutschland schwer

Ausgabe 12/2012

Im internationalen Vergleich ist die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland relativ gering. Das heißt aber nicht, dass der Einstieg ins Erwerbsleben hierzulande reibungslos funktioniert: Warteschleifen, ungeliebte Kompromisse, Unsicherheit, Stress und schlechte Bezahlung sind für viele Jugendliche Alltag.

Die Meldungen vom Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sind überwiegend positiv. Im Mai 2012 waren laut Statistik der Arbeitsagentur 4,5 Prozent der Unter-25-Jährigen in Deutschland arbeitslos gemeldet, von den Jugendlichen unter 20 sogar nur 2,7 Prozent. Angesichts der Jugendarbeitslosenquoten von 50 Prozent in einigen südeuropäischen Ländern und über 20 Prozent im EU-Durchschnitt scheinen in der Bundesrepublik sehr günstige Zustände zu herrschen. Doch dieser grobe Vergleich verstellt den Blick auf die konkreten Probleme, vor denen viele Jugendliche stehen, die im „Labyrinth der Ausbildungs- beziehungsweise Arbeitssuche“ umherirren, so die Arbeitswissenschaftler Julia Kramer und Thomas Langhoff. Der Professor an der Hochschule Niederrhein und Geschäftsführer der Dortmunder Prospektiv GmbH und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin haben im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zahlreiche Fakten zur Arbeits- und Ausbildungssituation junger Menschen zusammengetragen. Sie machen deutlich, wie schwierig es für viele Berufseinsteiger ist, in der Erwerbsgesellschaft Fuß zu fassen. Zwar werde viel über die Bewältigung demografischer Veränderungen oder Work-Life-Balance diskutiert, schreiben die Forscher, aber „ein Einbezug der Arbeits- und Lebenssituation junger Menschen findet im öffentlichen Diskurs zu wenig statt“.

Berufsausbildung: 70 Prozent aller Schulabgänger strebten im Jahr 2010 eine duale Ausbildung an. Die Mehrheit wollte direkt nach der Schule eine Lehre machen; weitere 19 Prozent der Abgänger zu einem späteren Zeitpunkt. „Doch längst nicht alle von ihnen erreichen ihr Ziel“, beobachten Kramer und Langhoff. „Wer direkt, ohne lange Wartezeit oder sogenannte Übergangsmaßnahmen einen Ausbildungsplatz findet, darf sich glücklich schätzen.“ Trotz rückläufiger Nachfrage nach Lehrstellen und einer steigenden Zahl von Absolventen mit Berechtigung zum Hochschulzugang war der Markt eng. Denn auch das Lehrstellenangebot ging zurück. So konnten im Jahr 2010 lediglich 63 Prozent der Schulabgänger, die eine Azubi-Stelle suchten, ihren Ausbildungswunsch vollständig oder annähernd verwirklichen.

Inwieweit sich die Berufswünsche realisieren lassen, hängt von der örtlichen Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur, der schulischen Qualifikation und vom Wunschberuf ab. So gab es 2010 für den Beruf des Tierpflegers mehr als doppelt so viele Bewerbungen wie Ausbildungsplätze. Auf 100 Stellen für visuelle Gestalter kamen 160 Bewerbungen. In der Gastronomie hingegen – die unter potenziellen Bewerbern laut Umfragen kein gutes Image hat – blieben Stellen unbesetzt.

Insgesamt gebe es jedes Jahr „Hunderttausende, die keine Ausbildungsstelle gefunden haben“, konstatieren die Wissenschaftler. 2010 waren es rund 175.000 Jugendliche, die sich letztlich mit einem Alternativprogramm wie einer außerbetrieblichen Ausbildung abfanden, und knapp 110.000, „deren Verbleib ungeklärt“ blieb.

Doch auch wenn es mit der Lehrstelle geklappt hat, läuft der Rest nicht automatisch wie geschmiert. Gut 20 Prozent der Ausbildungsverträge werden vorzeitigt aufgelöst. Dabei geht die Initiative meist von den Azubis aus, oft weil es Probleme mit dem Chef gibt. Dann beginnt die Lehrstellensuche erneut – und Abbrecher haben eher schlechte Karten.

Neben Schwierigkeiten und Konflikten, von denen auch ältere Arbeitnehmer in normalen Arbeitsverhältnissen betroffen sind, müssen Azubis mit zwei weiteren Stressfaktoren leben: wenig Geld und unsicherer Zukunft. Eine repräsentative Befragung ergab, dass 27 Prozent der Auszubildenden im zweiten Lehrjahr noch einen Zweitjob haben. Und etwa 40 Prozent der Lehrlinge wurden im Jahr 2008 nicht vom Ausbildungsbetrieb übernommen.

Studium: Studierende haben in der Regel recht gute Arbeitsmarktchancen, wie sich an der geringen Akademikerarbeitslosigkeit ablesen lässt. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen, zeigen Kramers und Langhoffs Analysen. So hat ein Jahr nach Studienende nur rund die Hälfte der Geisteswissenschaftler eine reguläre Arbeit gefunden. Die größeren Schwierigkeiten bereite der Mehrheit jedoch das Studium selbst. „Der ökonomische, soziale, Leistungs- und Zeitdruck sind enorm gestiegen“, stellen die Forscher fest. Zwei Drittel arbeiteten neben dem Studium für den Lebensunterhalt. Das führe zu „enormen Mehrfachbelastungen“. Mit der Einführung der Bachelor-Studiengänge sei zudem die Zahl der Klienten in den psychologischen Beratungsstellen um 20 Prozent angestiegen. Studierende sind nach einer Untersuchung der Betriebskrankenkassen zwar im Schnitt gesünder als Gleichaltrige, eine Ausnahme bilden aber die psychischen Erkrankungen: Studentinnen und Studenten bekommen deutlich häufiger Antidepressiva verschrieben.

Praktika: Vorübergehende unentgeltlich oder gegen geringe Bezahlung absolvierte Arbeit in Betrieben ist für Studierende heute selbstverständlich. Nur zwölf Prozent der Uni- und drei Prozent der FH-Studenten machen kein Praktikum während des Bachelor-Studiums. Pauschale Aussagen über die Qualität von Praktika lassen sich der Studie zufolge nicht treffen. Die Praktikanten geben häufig an, dass sie von der betrieblichen Erfahrung profitiert haben. Problematisch erscheint den Forschern jedoch ein Teil der Praktika, die Uni-Absolventen nach dem Examen machen. Hier liefere beispielsweise eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung Hinweise darauf, dass Unternehmen das Instrument Praktikum auch missbrauchen. So gaben 81 Prozent der Befragten an, vollwertige Arbeit geleistet zu haben. Und drei Viertel sagten, ihre Arbeit sei im Betriebsverlauf fest eingeplant gewesen. 40 Prozent der Praktika waren aber gänzlich unbezahlt und nur in 9 Prozent der Fälle lag die Vergütung über 800 Euro.

Atypische Beschäftigung: Nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung führt der Weg heute nicht mehr selbstverständlich in einen unbefristeten Vollzeitjob. Die stetige Ausbreitung atypischer Jobs trifft besonders Jüngere. Mehr als die Hälfte der unter 20-jährigen Erwerbstätigen – ohne Auszubildende – arbeitet auf befristeten oder Teilzeitstellen, in Leiharbeit oder Minijobs. Bei den 20- bis 25-Jährigen ist es etwa ein Drittel.

Gemessen an der Gesamtbeschäftigung spiele die Leiharbeit mit knapp drei Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwar eine untergeordnete Rolle, schreiben die Wissenschaftler. Sie sei aber inzwischen für schlechter Qualifizierte und Jüngere häufig die einzige Option auf einen Arbeitsplatz. Wegen der oft schlechten Bezahlung atypischer Jobs sind auch die Aufstocker überdurchschnittlich häufig jung: 3,3 Prozent der 15- bis 25-jährigen Beschäftigten bekamen 2010 Hartz IV, weil der Lohn nicht reichte. Im Durchschnitt aller Altersgruppen lag der Wert nur bei 2,4 Prozent. „Über die gravierenden finanziellen Folgen hinaus tragen atypische Beschäftigungsverhältnisse auch dazu bei, dass die soziale Teilhabe der Menschen erschwert wird“, schreiben Kramer und Langhoff. Die berufliche Unsicherheit verhindere oft eine private Zukunftsplanung.

  • Dass sich der Berufswunsch erfüllt, ist keine Selbstverständlichkeit. Zur Grafik
  • Besonders schwer fällt es Hauptschülern, eine reguläre Lehrstelle zu ergattern. Zur Grafik
  • Das Studentenleben ist nicht immer lustig. Besonders psychische Belastungen machen angehenden Akademikern zu schaffen. Zur Grafik
  • Mit Minijob, Leiharbeit, befristeter oder Teilzeitstelle liegt der Verdienst meist deutlich unter dem Lohn Beschäftigter. Zur Grafik

Julia Kramer, Thomas Langhoff: Die Arbeits- und Lebensbedingungen der jungen Generation, Arbeitspapier 260 der Hans-Böckler-Stiftung, Mai 2012

mehr zum Projekt der Forschungsförderung "Lebens- und Arbeitssituation der jungen Generation" und Download des Arbeitspapiers

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