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HBS Böckler Impuls

Öffentlicher Dienst: Der Vorsprung ist dahin

Ausgabe 15/2014

Sichere Stellen, gute Bezahlung, geringe Lohnspreizung, starke Mitbestimmung: Der Staat ging lange als gutes Beispiel voran. Doch die Zeiten sind vorbei.

Wissenschaftler stellen mit Blick auf die öffentlichen Arbeitgeber heute die „Erosion einer sozialstaatlichen Vorbildrolle“ fest. Haushaltsprobleme, Dezentralisierung der Lohnverhandlungen und ein neues, wettbewerbsorientiertes Selbstverständnis hätten den Staat inzwischen eher zum „Nachahmer“ der Privatwirtschaft gemacht, schreiben Kendra Briken, Karin Gottschall, Sylvia Hills und Bernhard Kittel. An der Universität Bremen untersuchen die Forscher den „Wandel des Staates als Arbeitgeber“.

Bis in die 1980er-Jahre zeichnete sich der öffentliche Dienst durch eine besonders erfolgreiche Interessenvertretung der Arbeitnehmer aus, so die Analyse. Durch den Zuwachs an Angestellten und Arbeitern seit den 1960er-Jahren habe ein „sozialpartnerschaftlicher Aushandlungsmodus“ die traditionellen beamtenrechtlichen Strukturen ohne Streikrecht und mit geringen Beteiligungsmöglichkeiten überlagert. Die Solidarität zwischen Beschäftigten mit unterschiedlichem Status kam etwa in Stellvertreterstreiks zum Ausdruck: Arbeiter und Angestellte von Bahn, Post oder Müllabfuhr holten letztlich Verbesserungen bei Bezahlung und Arbeitsbedingungen für alle öffentlich Beschäftigten heraus. Nach einer harten, aber ertragreichen Auseinandersetzung im Jahr 1974 erhielt mit dem so genannten Schlichtungsabkommen schließlich ein „kooperativ-konsensualer“
Verhandlungsstil Einzug, der zwei relativ streikarme Jahrzehnte einläutete.

Zudem kam es im „goldenen Zeitalter“ des Wohlfahrtsstaats zu einer Zentralisierung der Kollektivverhandlungen. Bund, Länder und Kommunen gingen seit den 1960er-Jahren gemeinsam in die Lohnauseinandersetzungen. Die Regelung der Beamtenbesoldung wurde zu großen Teilen auf der Bundesebene zentralisiert, das Innenministerium trat nun stellvertretend für andere Ebenen des Staates als Tarifpartner auf. Damit, so die Wissenschaftler, „reduzierten sich die Handlungsarenen erheblich und erleichterten den Sozialpartnern die Koordination und Vereinheitlichung der Beschäftigungsregulierung“. Die Bedingungen näherten sich immer weiter an: Tarifergebnisse aus dem Angestelltenbereich wurden „quasi automatisch“ auf die Beamten übertragen.

So „wurden Unterschiede zwischen den Statusgruppen nivelliert“, was gerade Mittel- und Niedrigqualifizierten zugutekam. Sie profitierten von – im Vergleich zur Privatwirtschaft – sicheren und gut bezahlten Stellen. Auch Beamten hat die Angleichung der Arbeitsbedingungen genützt, stellen Briken, Gottschall, Hills und Kittel fest. Die Übernahme von Teilzeit- und Überstundenregelungen aus dem Angestelltenbereich habe die Arbeitgeber zu Abstrichen bei den „beamtenspezifischen Vollverfügbarkeitsansprüchen“ gezwungen.

Um 1990 begann sich die Situation jedoch zu verändern, wie die Forscher feststellen. Personalabbau im Zuge der Privatisierung von Bahn, Post und Teilen des Energiesektors sowie die Abwicklung der DDR-Verwaltung setzten einen gegenläufigen Prozess in Gang. Unter dem Banner der Kostensenkung und Verwaltungsmodernisierung – „New Public Management“ – kam es nun wieder zur Dezentralisierung. Die öffentlichen Arbeitgeber verabschiedeten sich nach und nach aus gemeinsamen Verhandlungen für alle Beschäftigten. In der Beamtenbesoldung wurden Leistungszulagen eingeführt – und im Gegenzug meist die Grundgehälter gesenkt. Die Länder erhielten neue Spielräume für eigene Regelungen, zum Beispiel die Möglichkeit, das Weihnachtsgeld zu kürzen. Heute „weisen bei den 17 Dienstherren“ – 16 Länder und der Bund – „nicht nur die Arbeitszeiten der Beamteninnen und Beamten, sondern auch die Besoldungssysteme eine erhebliche Varianz auf“, so die Forscher. Viele Länder nutzten die neue Handlungsfreiheit unter anderem, um die gewohnte Übertragung von Verhandlungsergebnissen aus dem Angestelltenbereich auf die Beamten zu stoppen. Stattdessen drehten sie den Spieß um: Die Angestellten sollten die zuvor verlängerten Arbeitszeiten der Beamten übernehmen.

Für Angestellte und Arbeiter des Bundes und der Länder gelten nun unterschiedliche Tarifverträge, zum Teil mit Leistungsentgelten. Neben eine drastische Zunahme der Teilzeitarbeit tritt eine Ausweitung von „befristeter Beschäftigung, Leiharbeit, Minijobs und sogar Ein-Euro-Jobs“. Dazu kommt eine neue Niedriglohngruppe, deren Vergütung um etwa 19 Prozent unter früheren Regelungen liegt. Mit weniger als einem Prozent der öffentlich Beschäftigten fällt sie bislang zwar kaum ins Gewicht, die Wissenschaftler betonen aber, dass inzwischen 13 Prozent der Neueinstellungen auf kommunaler Ebene auf diese Gruppe entfallen.

Die „partielle Aufkündigung von Konsensorientierung und Koordination als Resultat wachsender Wettbewerbsorientierung“ erhöhe das Konfliktpotenzial, haben die Forscher beobachtet. Dies sei an der Zunahme von Arbeitskämpfen abzulesen – die allerdings nicht mehr stellvertretend für alle Staatsdiener geführt werden.

  • Der Staat baut kontinuierlich Personal ab. Zur Grafik

Kendra Briken, Karin Gottschall, Sylvia Hills, Bernhard Kittel: Wandel von Beschäftigung und Arbeitsbeziehungen im öffentlichen Dienst in Deutschland – zur Erosion einer sozialstaatlichen Vorbildrolle, in: Zeitschrift für Sozialreform 2/2014

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