Quelle: HBS
Böckler ImpulsWirtschaftspolitik: Der Staat muss investieren können
Das deutsche Bruttoinlandsprodukt wird 2024 um 0,3 Prozent schrumpfen. Damit es nicht noch weiter bergab geht, sind mehr staatliche Investitionen nötig.
Die deutsche Wirtschaft dürfte 2024 das zweite Jahr in Folge eine leichte Rezession durchlaufen: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird wie schon 2023 um 0,3 Prozent schrumpfen und so wieder auf dem Niveau von 2019 landen. Deutschland „hätte damit wirtschaftlich ein verlorenes halbes Jahrzehnt erlebt“ und wichtige Zeit verloren, um Wohlstand und Arbeitsplätze auf dem Weg in eine klimaverträgliche Zukunft zu erhalten, heißt es in der wirtschaftspolitischen Analyse des IMK zum Jahresauftakt. Um das zu verhindern, müsse die Wirtschaftspolitik dringend notwendige Spielräume für Investitionen wiedergewinnen, die sie durch das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts im November und die politischen Reaktionen darauf verloren hat. Als beste Lösung empfiehlt das IMK eine „Goldene Regel“, die Investitionen von der Schuldenbremse ausnimmt, als zweitbeste Möglichkeit ein kreditfinanziertes Sondervermögen für Transformationsinvestitionen.
Die Ökonominnen und Ökonomen sehen aktuell zwei große Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik. Erstens bestehe das Risiko, dass die privaten Haushalte und Unternehmen in eine „Stagnationserwartung“ verfallen, was die wirtschaftliche Dynamik lähmen könnte. Zudem könnte der Arbeitsmarkt, der sich bisher trotz heftiger äußerer Schocks stabil gezeigt hat, „kippen“ und die Arbeitslosigkeit deutlich steigen. Zumindest Vorboten dieser Entwicklung hat das IMK in seiner aktuellen Konjunkturprognose bereits ausgemacht: Das Institut rechnet für 2024 mit 2,85 Millionen Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt, rund 430 000 mehr als noch 2022.
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Öffentliche Investitionen als Türöffner
Zweitens müsse die Wirtschaftspolitik dafür sorgen, „dass die anstehende Dekarbonisierung unter Erhalt des deutschen Wohlstands sozial abgefedert und politisch akzeptiert gelingen kann“, schreiben die Forschenden in ihrem Jahresausblick. Den größten Beitrag müssten zwar Unternehmen und private Haushalte leisten. In der aktuellen Situation seien öffentliche Investitionen aber besonders wichtig als „Türöffner“ und teilweise Voraussetzung für private Ausgaben – sei es, weil diese von öffentlichen Infrastrukturen abhängen, sei es, weil Private den Einstieg in neue Techniken als Vorreiter nicht allein stemmen können.
Die Wirtschaftspolitik sollte laut IMK den Ausbau von Windenergie, Photovoltaik und Speichertechnologien für Erneuerbare Energien forcieren. Zusätzlich brauche es Investitionen der Wirtschaft in neue CO₂-arme Produktionstechniken, die bislang noch deutlich teurer sind als die gängigen Prozesse. Die Herausforderung sei umso größer, weil der bis zum Ukrainekrieg „plausible Pfad“, dabei Erdgas als „Brückentechnologie“ zu nutzen, abgeschnitten ist. Und während die Energiepreise hierzulande im internationalen Vergleich sehr hoch sind, setzten Wettbewerber wie die USA und China viele Milliarden für Subventionen ein.
Wichtig sei zudem, private Haushalte bei der Wärme- und Mobilitätswende, beispielsweise bei der Anschaffung einer neuen Heizung, zu unterstützen, erklären die Forschenden. Ab 2027 dürfte der CO₂-Preis stark anziehen, weil nach dem EU-Modell zum Emissionshandel dann von einer politisch gesetzten, bislang relativ moderaten, CO₂-Steuer auf einen Marktpreis umgestellt wird. Das dürfte viele Privathaushalte finanziell stark belasten, selbst wenn die gesamten Einnahmen aus dem CO₂-Preis über ein Klimageld als Pauschale zurückgegeben werden. Neben Unterstützung bei der Wärmewende, beispielsweise durch den Ausbau von Fernwärmenetzen, empfehlen die IMK-Fachleute, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen, um den Umstieg vom Auto auf Alternativen zu erleichtern.
Für die Modernisierung und den Ausbau der traditionellen Infrastruktur und des Bildungsbereiches hatte das IMK gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft bereits 2019 einen zusätzlichen Investitionsbedarf von rund 460 Milliarden Euro über zehn Jahre errechnet. Dieser Bedarf besteht nach Einschätzung von IMK-Direktor Sebastian Dullien weitgehend fort, weil in den vergangenen Jahren nur wenige der damals aufgezeigten Lücken geschlossen worden seien.
„2024 sollte das Jahr sein, in dem wir aus der akuten Krise herauskommen. In dem wir die Folgen der Pandemie endgültig hinter uns lassen. Und in dem wir die Lehren aus dem russischen Angriff auf die Ukraine und der Energiekrise in die Tat umsetzen, indem wir die sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft forcieren“, so Dullien. „Stattdessen droht aktuell ein Ausfall der wirtschaftspolitischen Handlungsfähigkeit. Die Ampel und zuvor die Große Koalition haben seit 2020 sowohl den Corona- als auch den Energiepreisschock erfolgreich abgefedert. Aber mit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts und der finanzpolitischen Reaktion darauf droht die Wirtschaftspolitik jetzt selbst eine Belastung für die Wirtschaft zu werden.“
Die Schuldenbremse reformieren
Das Urteil offenbare die eklatanten Schwächen einer Schuldenbremse, die nicht mehr in unsere Zeit passt, erklärt Dullien. Die transformativen Herausforderungen entschlossen anzugehen, sei schließlich kein Partikularinteresse einzelner Koalitionen oder Parteien, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit. „Es wäre absolut widersinnig, wenn ausgerechnet Deutschland, das die niedrigste Staatsverschuldung unter den G7-Ländern hat, nicht genug tut.“
Die beste Lösung wäre aus Sicht des IMK eine Reform der Schuldenbremse durch eine „Goldene Regel“ für Investitionen. Diese würden dann von den Begrenzungen ausgenommen. Das sei ökonomisch und ethisch sehr gut zu begründen. Schließlich kämen die notwendigen Investitionen nicht nur heutigen, sondern auch künftigen Generationen zugute. Doch leider seien politische Mehrheiten für eine solche Regel nicht absehbar. Alternativ empfiehlt das IMK daher „ein im Grundgesetz verankertes kreditfinanziertes Sondervermögen für die Transformation nach dem Vorbild des Sondervermögens Bundeswehr“.
Allerdings wäre auch für diese Lösung eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich. Für den Übergang sollte der Bundestag auch für 2024 eine Notsituation erklären, um eine Kreditaufnahme jenseits der für Normalzeiten festgelegten 0,35 Prozent des BIP zu ermöglichen. „Der Energiepreisschock nach der russischen Ukraine-Invasion wirkt nach. Inzwischen liegt die Wirtschaftsleistung fast fünf Prozent niedriger, als es allgemein unmittelbar vor der Invasion erwartet worden war. Natürlich ist das weiter eine wirtschaftliche Notsituation“, so Dullien.
Sebastian Dullien u.a.: Schuldenbremse reformieren, Transformation beschleunigen. Wirtschaftspolitische Herausforderungen 2024, IMK-Report Nr. 187, Januar 2024
Sebastian Dullien u.a.: Wirtschaftspolitik und Unsicherheit lähmen deutsche Wirtschaft. Die konjunkturelle Lage in Deutschland zur Jahreswende 2023/2024, IMK-Report Nr. 186, Dezember 2023