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HBS Böckler Impuls

Wohnen: Der Staat muss bauen

Ausgabe 07/2019

Um der Wohnungsmisere Herr zu werden, müssen neue Sozialwohnungen gebaut werden. Deren Bestand ist in den vergangenen 30 Jahren rapide gesunken.

  • Immer mehr günstige Wohnungen für Geringverdiener fallen aus der Sozialbindung und neue werden kaum gebaut. Zur Grafik

Gut eine Million Sozialwohnungen gibt es heute in Deutschland. 1987 waren es in der alten Bundesrepublik noch fast viermal so viele. Darauf macht ein aktueller Report der Hans-Böckler-Stiftung aufmerksam. Begonnen hat der Schrumpfungsprozess der Analyse zufolge bereits 1988, als die damalige Bundesregierung das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz aufhob. Bis dahin waren Wohnungsgesellschaften von der Steuer befreit, deren Geschäftsmodell nicht in der Renditemaximierung, sondern in der Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum bestand. Das Steuerprivileg war mit der Bedingung verknüpft, dass die Gewinne eine bestimmte Marge nicht überschreiten durften. Hinzu kommt: Der Bestand von Sozialwohnungen sinkt automatisch, wenn keine neuen mehr gebaut werden. Denn nach 20 bis 30 Jahren läuft die Sozialbindung meist aus. Vermieter, die ihre Wohnungen – als Gegenleistung für öffentliche Fördermittel – nur zu festgelegten Mietpreisen an Personen mit geringen Einkommen vermieten durften, sind nach Ablauf der Frist an keine Auflagen mehr gebunden. Zum „schleichenden Abschied aus dem sozialen Wohnungsbau“, so Hilmar Höhn, der Autor des Reports, sei es auch gekommen, weil „die Mieten auf Dauer ein erträgliches Maß erreicht zu haben schienen“, nachdem sich in den 1990er-Jahren die Einschätzung verbreitet hatte, Deutschland sei „fertig gebaut“. Die damaligen Bevölkerungsprognosen ließen vermuten, dass es bald zu viele statt zu wenige Wohnungen geben würde.

Das war ein großer Irrtum, konstatiert Höhn. Tatsächlich fehlen in Deutschlands Metropolen heute 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen, wie eine von der der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie des Stadtsoziologen Andrej Holm ermittelt hat. Damit habe sich „ein gewaltiger Problemberg aufgetürmt“, den abzutragen Jahre dauern werde. Die Wiederbelebung des sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbaus sei dabei ein entscheidendes Element. Dass der freie Markt das Wohnungsproblem nicht löse, habe sich inzwischen gezeigt: Viele einst in gemeinnütziger Regie gebaute Wohnungen sind heute zum Spekulationsobjekt von Finanzinvestoren geworden und für Normal- oder Geringverdiener kaum mehr erschwinglich. Auch gewisse Marktkorrekturen durch Wohngeld, Förderprogramme oder Mietpreisbremse kratzen nur an der Oberfläche. Nötig sei vielmehr, dass der „Markt zugunsten des Gemeinwohls zurückgedrängt werde“, wie es Stadtsoziologe Holm formuliert. Die „am Markt mächtigsten Akteure“, die großen, renditeorientierten Wohnungsgesellschaften, müssten „ein demokratisches Gegengewicht“ bekommen.

Aber wie soll das konkret geschehen? Noch haben Bund, Länder und Kommunen nach Holms Einschätzung einen starken Hebel, um in die Wohnungsmärkte einzugreifen: Sie verfügen vielerorts über Grundstücke, die für sozialen Wohnungsbau genutzt werden könnten – anstatt sie meistbietend zu verkaufen. Allein in Berlin habe der Bund 1000 Grundstücke, von denen bislang nur ein Viertel zum Wohnen genutzt werde. Eine neue Initiative zum sozialen Wohnungsbau sollte natürlich frühere Fehler vermeiden. Vor allem die zeitliche Befristung der Sozialbindung, dank derer Sozialwohnungen bislang „eigentlich Eigentumswohnungen im Wartestand“ waren. Ein nennenswerter Marktanteil gemeinnütziger Anbieter würde auch auf den Wohnungsmarkt insgesamt ausstrahlen, erwartet Holm. „Dann sind Wohnungssuchende nicht mehr gezwungen, die astronomischen Preisvorstellungen von Investoren zu bedienen.“

Nicht die Maximierung von Investorenrenditen oder die Sanierung kommunaler Haushalte, sondern die „Versorgung aller Bevölkerungsgruppen mit ausreichendem Wohnraum und humanerer Städtebau müssen die Hauptziele der Bodenpolitik“ sein. So stand es 1971 im Grundsatzprogramm der FDP. Das erscheint heute revolutionär, so der Böckler-Report. 

Hilmar Höhn: Bauen für eine demokratische Stadt (pdf), Dossier der Hans-Böckler-Stiftung, Februar 2019

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