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HBS Böckler Impuls

Euro: Den Spielraum für Investitionen nutzen

Ausgabe 11/2019

Eine grundsätzliche Reform der Währungsunion wäre sinnvoll, ist aber momentan nicht durchsetzbar. Forscher empfehlen, die bestehenden Regeln möglichst flexibel auszulegen.

  • Die Krisenländer im Euroraum mussten in den vergangenen Jahren drastisch sparen. Zur Grafik

Wenn es um Geld geht, hört die Freundschaft auf, auch die deutsch-französische: Dass Emmanuel Macron sich für eine Eurozone mit eigenem Budget, Parlament und Finanzminister einsetzt, stößt in Berlin auf wenig Begeisterung. WSI-Forscher Daniel Seikel und Achim Truger von der Universität Duisburg-Essen halten eine umfassende Reform der Währungsunion zwar für dringend nötig. Eine Mehrheit dafür ist ihrer Analyse zufolge unter den Euroländern aber nicht in Sicht. Als Alternative raten sie der EU-Kommission, die vorhandenen Spielräume pragmatisch auszunutzen, um den Mitgliedsstaaten eine effektivere Wirtschaftspolitik zu ermöglichen.

Dass es erheblicher Umbauten am Regelwerk bedarf, um den Euro krisenfest zu machen, liege auf der Hand, so Seikel und Truger. Zum einen sei es dringend nötig, Staatsschuldpapiere besser abzusichern, um Vertrauenskrisen auf den Finanzmärkten zu verhindern. Dazu könnten Instrumente wie Eurobonds oder ein Europäischer Währungsfonds beitragen. Vor allem aber müsste die Europäische Zentralbank (EZB) – wie andere Zentralbanken auch – bereit sein, als „Kreditgeber der letzten Instanz“ einzuspringen. Darüber hinaus gelte es, die nationale Fiskalpolitik als makroökonomisches Instrument aufzuwerten und mehr öffentliche Investitionen zu ermöglichen. Ungleichgewichte zwischen den Euroländern müssten durch koordinierte Fiskalpolitik sowie aktive Industrie- und Regionalpolitik abgebaut werden.

Das Problem: Die sogenannten Überschussländer haben der Studie zufolge wenig Interesse an mehr Risikoteilung, sie bevorzugen strikte Defizitregeln, empfehlen Krisenländern „Strukturreformen“ und Austerität, folgen dem Leitbild einer „Stabilitätsunion“ statt einer „Transferunion“. Der aktuelle Stand der Verhandlungen im Rat der Wirtschafts- und Finanzminister, die sich seit Ende 2018 mit einer Reform der Währungsunion befassen, entspreche ziemlich genau diesen Vorstellungen: Jede weitere Lastenteilung soll an Bedingungen gebunden sein und zusätzliche Maßnahmen zur Risikoverminderung  voraussetzen, Unterstützung ist nur in Form von Krediten vorgesehen. Die Diskussionen über eine EU-Arbeitslosenversicherung, die volkswirtschaftlich eine „automatische Stabilisierungsfunktion“ hätte, und über eine Europäische Einlagensicherung seien komplett blockiert. „Damit befinden sich die Beschlüsse hart an der Grenze zur reinen Symbolpolitik – die Widerstandsfähigkeit der Eurozone wird dadurch kaum gestärkt werden“, urteilen Seikel und Truger.

Auch wenn die Erfolgsaussichten für weitreichende Reformen gering sind, halten die Wissenschaftler die Situation nicht für vollkommen ausweglos. Öffentliche Investitionen zu erhöhen und zu verstetigen und die konjunkturelle Flexibilität der Finanzpolitik auszuweiten, wäre nach ihrer Einschätzung auch im bestehenden institutionellen Rahmen möglich. „Hierzu müsste lediglich der von der EU-Kommission ohnehin schon erweiterte fiskalpolitische Spielraum noch flexibler gefasst werden.“ Ohne komplizierte Umbauten auf europäischer Ebene hätte die nationale Fiskalpolitik so mehr Luft zum Atmen und die Währungsunion würde stabilisiert.   

Konkret schlagen die Forscher vor, die „Investitionsklausel“ bei Defizitverfahren großzügiger auszulegen und auch befristete Investitionsprojekte nicht auf Haushaltsdefizite anzurechnen. Zentrale Investitionsprojekte, etwa im Bereich Infrastruktur oder energetische Gebäudesanierung, könnte die Kommission als Strukturreformen interpretieren, die eine vorübergehende Abweichung vom Konsolidierungspfad erlauben. Generell sollte man bei der Haushaltsanalyse davon ausgehen, dass zusätzliche Investitionen sich größtenteils selbst finanzieren, für die Berechnung des Defizits also weitgehend irrelevant sind. Unabhängig von klassischen Investitionen gelte es, den Spielraum für expansive Fiskalpolitik auf nationaler Ebene zu erweitern, indem Ausnahmeregeln für außergewöhnliche Rezessionen in Anspruch genommen werden. Hilfreich wäre es auch, die Methode der Konjunkturbereinigung bei der Haushaltsüberwachung zu überarbeiten: Die Schätzung des dafür benötigten sogenannten Potenzialwachstums sollte nur alle fünf Jahre revidiert werden, damit kurzfristige Schwankungen nicht zu sehr ins Gewicht fallen.

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