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Demokratie braucht Gute Arbeit Böckler Impuls

Europa: Demokratie braucht Gute Arbeit

Ausgabe 10/2024

Mitsprache im Job und gute Arbeitsbedingungen verbessern das demokratische Klima in der EU. Transformationssorgen bedrohen es.

Arbeitsbedingungen haben europaweit Einfluss darauf, wie Erwerbspersonen zur Demokratie stehen. Laut einer Studie des WSI haben diejenigen, die unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen sind, bei denen die Bezahlung nicht stimmt und die im Job wenig Mitsprachemöglichkeiten haben, überdurchschnittlich oft negative Einstellungen zur Demokratie in ihrem Land und zu Zugewanderten. Zudem fühlen sie sich stärker durch den Wandel von Wirtschaft und Arbeitswelt bedroht. Bessere Arbeitsbedingungen korrelieren hingegen mit positiven Einstellungen zur Demokratie und einem höheren Vertrauen in deren Institutionen sowie in die EU.

Für die Studie wurden im November und Dezember 2023 rund 15 000 Erwerbstätige und Arbeitsuchende in Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Polen, Spanien, Schweden und Ungarn online befragt. Die Befragung deckt die Erwerbspersonen in den jeweiligen Ländern in Hinblick auf Alter, Geschlecht und Bildung repräsentativ ab. Sie erlaubt jedoch keine detaillierte Vorhersage der Wahlergebnisse, da sie nicht auf einer Zufallsstichprobe basiert. Es lassen sich aber belastbare Zusammenhänge aufzeigen.

„Von der Studie gehen drei Botschaften aus: Erstens zeigt sie, dass schlechte Arbeitsbedingungen in allen untersuchten Ländern ein Nährboden für die Entstehung antidemokratischer Einstellungen sind, die dann von rechten Parteien mobilisiert werden können. Zweitens stärken gute Arbeitsbedingungen das Vertrauen in die EU und das selbst in den Ländern, in denen Parteien regieren oder bis vor kurzem regiert haben, die die EU ablehnen. Drittens stärken Transformationssorgen extrem rechte Parteien. Progressive Kräfte in der EU sollten daher ein Interesse daran haben, Transformationsprozesse sozial gerecht zu gestalten“, fasst WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch die zentralen Ergebnisse der Studie zusammen, die sie gemeinsam mit WSI-Forscher Andreas Hövermann und Bart Meuleman von der KU Leuven durchgeführt hat.

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Wie in anderen Befragungen zeichnet sich ab, dass Parteien der extremen Rechten bei der Europawahl beträchtlichen Zuspruch erhalten dürften. Gleichzeitig gelte aber auch, dass die Mehrheit der Erwerbspersonen weder vorhat, rechts zu wählen, noch in der Vergangenheit rechts gewählt hat. Überdurchschnittlich anfällig sind Männer, Erwerbspersonen mit niedrigen Schulabschlüssen und Menschen mit negativen Einstellungen gegenüber Zuwanderung.

Laut der Analyse hängt der Wahlerfolg der Rechten nicht direkt mit dem „Einstellungsklima“ zusammen. So sind zum Beispiel populistische oder muslimfeindliche Einstellungen in nahezu allen Ländern weit verbreitet, während der Zuspruch zu extrem rechten Parteien erheblich variiert. Hier scheine auch die Angebotsseite der Politik, zum Beispiel das jeweilige Parteienspektrum, eine wichtige Rolle zu spielen. In allen untersuchten Ländern wird das Prinzip der Demokratie von einer Mehrheit der Befragten als sehr wichtig erachtet, die Zufriedenheit mit dem konkreten Funktionieren ist schwächer ausgeprägt und unterscheidet sich stark von Land zu Land. In vielen Staaten neigen Befragte, die mit der Demokratie zufrieden sind, seltener Rechtsaußenparteien zu, der statistische Zusammenhang ist aber meist schwach. In Deutschland und Spanien ist er stärker ausgeprägt.

Hingegen wirkt sich in Ungarn, Polen und Italien, wo Rechtsparteien an der Regierung sind oder bis vor kurzem waren, Zufriedenheit mit der Demokratie positiv auf die Absicht aus, für eine extrem rechte Partei zu stimmen. Das mache deutlich, dass der Demokratiebegriff „von rechten oder totalitären Regimen erfolgreich instrumentalisiert werden kann“, so die Forschenden. Andererseits gehen „anti-­elitäre” populistische Ansichten in diesen Ländern nicht mit einer erhöhten Wahlpräferenz für rechtsextreme Parteien einher. In Ungarn wirken sie sich sogar negativ aus. Wenn die Rechte an der Macht ist, könne es also passieren, dass sich das Anti-Establishment-Element des Populismus und die Unzufriedenheit mit der Demokratie gegen sie selbst wenden, heißt es in der Studie.

Erwerbspersonen, die ihren Arbeitsalltag mitgestalten können und Mitspracherechte am Arbeitsplatz haben, sind in allen untersuchten Staaten zufriedener mit der Demokratie – auch wenn andere Faktoren wie das Bildungsniveau statistisch kontrolliert werden. In sieben Ländern hat Demokratie in diesem Fall auch einen höheren Stellenwert für die Befragten. In allen Ländern korreliert demokratische Teilhabe im Job mit einem höheren Vertrauen in die nationalen Institutionen und die EU sowie mit positiveren Einstellungen gegenüber Zuwanderung.

Sehr ähnlich sind europaweit die Effekte guter Arbeitsbedingungen auf die Zufriedenheit und Wertschätzung von Demokratie, auf das Vertrauen in nationale Institutionen und EU sowie auf die Einstellungen zu Zuwanderung: In den allermeisten betrachteten Ländern wirkt es sich positiv aus, wenn die Befragten die Möglichkeit haben, bei der Arbeit dazuzulernen, wenn sie auf Arbeitsorganisation und Arbeitstempo Einfluss nehmen können, wenn sie angemessen bezahlt werden, ihre Arbeitszeiten auch Raum für die Familie lassen und sie Anerkennung im Job verspüren. In Deutschland und Schweden machen Teilhabemöglichkeiten im Job die Befragten weniger anfällig für rechtsextreme Parteien, in Spanien hohe Arbeitszufriedenheit und in Schweden gute Arbeitsbedingungen. In den meisten anderen Ländern ist dieser Effekt ebenfalls vorhanden, aber nur schwach ausgeprägt.

In Ungarn und Polen, und etwas weniger ausgeprägt in Italien, zeigt sich erneut ein gegenläufiger Trend. Gute Arbeitsbedingungen scheinen also systemstabilisierende Effekte zu haben – wie auch immer eine Regierung politisch gefärbt ist. Jedoch korrelieren auch in Polen, Ungarn und Italien demokratische Teilhabemöglichkeiten, gute Arbeitsbedingungen und Arbeitszufriedenheit mit einem höheren Vertrauen in die EU, was wiederum mit einer geringeren Wahlpräferenz für extrem rechte Parteien zusammenhängt. „Das bedeutet, dass gute Arbeitsbedingungen durchaus das Potenzial haben, Vertrauen in die EU zu stärken, auch in Ländern, die von rechten Regierungen regiert werden“, so Hövermann.

In Deutschland, den Niederlanden, Polen, Frankreich und Schweden haben Befragte, die befürchten, dass sich Digitalisierung oder Klimaschutz negativ auf die eigene Arbeit auswirken, eine signifikant höhere Wahlpräferenz für rechtsextreme Parteien. Solche Transformationssorgen sind vor allem unter Befragten mit geringen Einkommen verbreitet. Die Besorgten sind in den allermeisten Ländern weniger zufrieden mit der Demokratie und haben ein geringeres Vertrauen in die Institutionen.

„Wie mit den Jobsorgen der Erwerbstätigen umgegangen wird, hat angesichts der enormen Transformationsherausforderungen somit auch Konsequenzen für die Einstellungen zur Demokratie. Berücksichtigt man die soziodemografische Verteilung dieser Sorgen, bekommt eine sozial gerechte und abgefederte Ausgestaltung der Transformation eine besondere Bedeutung”, resümiert WSI-Direktorin Kohlrausch. Gleichzeitig machten sich in einigen Ländern diejenigen weniger Sorgen um den Wandel in der Arbeitswelt, die eine größere Autonomie bei der Arbeit und generell bessere Arbeitsbedingungen angeben. Gute Arbeitsbedingungen und Mitsprachemöglichkeiten könnten dazu beitragen, Sorgen hinsichtlich der Transformation abzubauen.

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