Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitnehmerrechte: Brüssel muss nachbessern
Zwei EU-Richtlinien sollen das Unternehmensrecht für grenzüberschreitende Konzerne neu fassen. Nicht zuletzt der Schutz der Arbeitnehmerrechte kommt dabei zu kurz.
Außerhalb von Fachkreisen hat bislang kaum jemand etwas vom Gesellschaftsrechtspaket der EU-Kommission gehört, dem Company Law Package. Dabei handelt es sich um die „bedeutendste Initiative“ im europäischen Unternehmensrecht der vergangenen 15 Jahre, so Aline Hoffmann vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut ETUI und Sigurt Vitols vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), die verschiedene Analysen eines Expertennetzwerks für gute Unternehmensführung des Europäischen Gewerkschaftsbunds zusammengeführt haben.
Erklärtes Ziel des Vorschlags der EU-Kommission ist es, grenzüberschreitende Verlagerungen von Unternehmen im Binnenmarkt einfacher zu machen. Das kann bereits existierende Rechte von Verbrauchern oder Beschäftigten schwächen. Wahrscheinlich um ihre Akzeptanz zu erhöhen, hat die EU-Kommission die Verlagerungsinitiative an einen zweiten Richtlinienvorschlag zur vereinfachten Online-Registrierung von Unternehmen gekoppelt. Das Paket der Kommission soll noch vor der Europawahl im kommenden Jahr verabschiedet werden. Zurzeit berät das EU-Parlament darüber. Der deutsche und der europäische Gewerkschaftsbund, die Hans-Böckler-Stiftung und beispielsweise auch Notarsverbände begleiten das Verfahren intensiv.
Den Wissenschaftlern zufolge ist es höchste Zeit, die Entwürfe an den Stellen nachzubessern, wo Arbeitnehmerrechte unter die Räder kommen oder wo sich für Unternehmen Möglichkeiten auftun, Regeln zum Arbeits- oder Verbraucherschutz zu umgehen oder Steuern zu vermeiden. Es gehe um Rechtssicherheit für alle Beteiligten, wenn ein Unternehmen via Verschmelzung, Umwandlung oder Spaltung seinen Rechtssitz in einen anderen EU-Mitgliedsstaat verlegt oder sich dort online neu registrieren lässt, obwohl der wirtschaftliche Schwerpunkt, etwa Produktionsstätten oder Dienstleistungseinheiten, weiterhin in einem anderen Land liegt.
Neben weiteren Unklarheiten und Schlupflöchern, die beseitigt werden müssten, sollte auch die Frist verlängert werden, in der das nach einer transnationalen Reorganisation geltende Mitbestimmungsarrangement nicht durch neue Umwandlungen geschwächt werden darf. Statt drei Jahre, wie im EU-Entwurf vorgesehen, seien hier wenigstens zehn Jahre angemessen, so Hoffmann und Vitols.
Nicht nur beim Schutz der Arbeitnehmer, sondern auch wenn es um die Interessen der Allgemeinheit – etwa der Verbraucher oder Steuerzahler – geht, bleiben die Entwürfe der EU in vieler Hinsicht zu vage. Zum Beispiel müsste den Wissenschaftlern zufolge ein exaktes Verfahren vorgegeben werden, mit dem sich überprüfen lässt, ob eine neue Unternehmensstruktur als „künstliche Gestaltung“ zu betrachten ist, die nur der Umgehung von bestimmten Gesetzen im Ursprungsland dient. Diese Kontrolle sollte nicht Beratungsfirmen überlassen bleiben, sondern von einer staatlichen Aufsichtsbehörde durchgeführt werden. Die Online-Anmeldung von Unternehmen sollte zudem höheren Sicherheitsstandards unterliegen als bisher vorgesehen und die Unternehmen gleichzeitig zu größerer Transparenz durch mehr öffentlich zugängliche Informationen zwingen. Nur natürliche Personen, keine anonymen Unternehmen sollten online Firmen gründen dürfen. Und bestimmte Sektoren, die in der Vergangenheit durch missbräuchliche Rechtsgestaltungen mit Briefkastenfirmen aufgefallen sind, blieben besser außen vor.
Eine Reihe der Einwände von Hoffmann und Vitols hat kürzlich der deutsche Bundesrat aufgenommen und an die EU-Kommission übermittelt. Für Norbert Kluge, den wissenschaftlichen Direktor des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.), ist die parteiübergreifend beschlossene Initiative der Länderkammer ein wichtiger Schritt: „Es geht darum, den EU-Binnenmarkt für Unternehmen in Einklang zu bringen mit den sozialen Zielen der EU-Integration, wie sie in der Säule sozialer Rechte der EU festgehalten sind“, sagt der Mitbestimmungsexperte. „Soll das EU-Gesellschaftsrecht hilfreich sein, müssen die Perspektiven aller Interessengruppen am Unternehmen berücksichtigt werden, inklusive verbindlich geregelter Workers Voice, also Mitbestimmung, an der Spitze Europäischer Unternehmen.“
Unbefriedigend sei das Vorhaben der Kommission besonders, was die Informations- und Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten angeht. So ist es Hoffmann und Vitols zufolge keineswegs ausreichend, das Management mit einer allgemeinen Formulierung zu verpflichten, den Arbeitnehmervertretern einen Bericht über seine Pläne zukommen zu lassen, wie es der Entwurf der Kommission vorsieht. Vielmehr sollte hier eindeutig an bereits existierendes Recht angeknüpft werden – etwa an die Europäische Sozialcharta, die sogenannte Säule sozialer Rechte sowie die Regeln zu Eurobetriebsräten oder Europäischen Aktiengesellschaften. Es sollte präzise festgelegt werden, dass alle Ebenen der Beschäftigtenvertretung genau informiert und angehört werden müssen.
Darüber hinaus kritisieren die Forscher, dass der Einfluss der Arbeitnehmervertreter auf der Ebene von Vorstand oder Aufsichtsrat in bestimmten Fällen durch grenzüberschreitende Neuorganisationen zurückgedrängt wird. Dies, also etwa das Absenken von einer paritätischen auf eine Drittelbeteiligung, widerspreche jedoch der von der EU-Kommission selbst erklärten Intention, einmal errungene soziale Rechte zu schützen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, sollten bei Unternehmensumwandlungen in Sachen Mitbestimmung in allen Fällen dieselben Regeln gelten – nämlich wenigstens der Standard, der bei der Gründung einer Europäischen Aktiengesellschaft angewandt wird.