Quelle: HBS
Böckler ImpulsTarifrecht: Bonus für Gewerkschaftsmitglieder
Wenn Gewerkschaft und Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag abschließen, dann wird dieser in der Regel nicht nur bei gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten angewandt. Einige Vergünstigungen ausschließlich für Gewerkschaftsmitglieder sind jedoch zulässig, zeigt eine Analyse.
Dürfen Tarifverträge bestimmte Leistungen exklusiv für Gewerkschaftsmitglieder enthalten? Und darf ein Tarifvertrag einem Arbeitgeber untersagen, bestimmte Leistungen auch den nicht Tarifgebundenen zuzugestehen? Seit einigen Jahren stellen sich diese Fragen wieder häufiger. Denn immer mehr tarifliche Regelungen sehen über so genannte tarifliche Differenzierungsklauseln Boni für gewerkschaftlich Organisierte vor. Das können jährliche Sonderzahlungen, monatliche Beträge, bezahlte Qualifizierungszeiten oder das kostenfreie Tanken an der betriebseigenen Zapfsäule sein.
Grundsätzlich gilt ein Tarifvertrag nur für diejenigen, die diesen Vertrag schließen - also den Arbeitgeber oder dessen Verband auf der einen sowie die Gewerkschaft und deren Mitglieder auf der anderen Seite. Nicht oder anders Organisierte haben nicht per se einen Anspruch auf eine Gleichbehandlung mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern. Erst die Bezugnahme auf den Tarifvertrag im jeweiligen Arbeitsvertrag stellt auch einen nicht organisierten Beschäftigten mit seinen tarifgebundenen Kollegen gleich.
Wenn eine Gewerkschaft Differenzierungsklauseln für ihre Mitglieder vereinbart, befindet sie sich immer in einem Dilemma: Einerseits ist ihr daran gelegen, dass ein abgeschlossener Tarifvertrag für möglichst viele Beschäftigte gilt, also auch für nicht oder anders Organisierte. Denn nur durch diese "Überwirkungen" hat die Tarifautonomie Bestand. Andererseits käme ohne die Gewerkschaft und ihre Mitglieder der Tarifvertrag gar nicht erst zustande. Über das öffentliche Gut des Tarifvertrags hinaus muss die Interessenvertretung deshalb gewisse Anreize schaffen können, die eine Mitgliedschaft zusätzlich attraktiv machen, so die unter Arbeitsrechtlern inzwischen weit verbreitete Auffassung.
Im Jahr 1967 hatte der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) tarifliche Differenzierungsklauseln noch für verfassungswidrig erklärt. Doch in jüngerer Zeit sind immer weniger Arbeitsrechtler dieser Meinung. Auch das BAG könnte am 18. März zu einer neuen Position finden: Dann steht voraussichtlich seine Entscheidung zu einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen an. Dieses hatte argumentiert, dass eine Differenzierungsklausel auch dann wirken kann, wenn die Arbeitsverträge der nicht Organisierten eine Bezugnahmeklausel auf den Tarifvertrag enthalten. Der Arbeitnehmer müsse nicht umfassend als Gewerkschaftsmitglied behandelt werden - sondern nur die tariflichen Leistungen erhalten, die der Tarifvertrag ihm auch zugesteht.
Eva Kocher, Leiterin der Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt am Main, hat die verschiedenen Differenzierungen nun auf ihre Rechtmäßigkeit untersucht. Ihr Ergebnis: Anreize für den Gewerkschaftsbeitritt über Differen-
zierungsklauseln sind rechtlich zulässig, solange sie nicht so stark werden, dass sie faktisch einen Beitrittszwang für nicht oder anders Organisierte bedeuten. Kocher hat unterschiedliche Methoden der Bevorzugung unter die Lupe genommen:
Die einfache Differenzierungsklausel. Diese gesteht bestimmte tarifliche Leistungen nur Gewerkschaftsmitgliedern zu. Hier hält das niedersächsische Landesarbeitsgericht Leistungen in Höhe ungefähr des Doppelten eines Jahresgewerkschaftsbeitrags für zulässig. Die Juristin stimmt dem zu. Die Grenze liege erst dort, "wo die ökonomischen Nachteile so groß werden, dass sie für einen vernünftigen Arbeitnehmer die politische oder persönliche Präferenz gegen eine Mitgliedschaft nicht mehr rechtfertigen". Bevorzugungen von Gewerkschaftsmitgliedern bei Kündigungen oder Einstellungen stellen jedoch solch einen faktischen Zwang dar, so Kocher. "Der Eintrittsdruck, der von ihnen ausgeht, ist mit der negativen Koalitionsfreiheit nicht mehr zu vereinbaren."
Die Tarifausschlussklausel. Sie geht über die einfache Differenzierungsklausel hinaus. Nicht nur erhalten gewerkschaftlich Organisierte Zusatzleistungen, auch wird Arbeitgebern explizit verboten, sie an Nichtmitglieder weiterzugeben. Das BAG hatte 1967 noch geurteilt, die gleiche Behandlung von Organisierten und Außenseitern sei in vielen Fällen "eine zwingende und unternehmerische Notwendigkeit geworden". Diese Einschätzung gelte inzwischen nicht mehr, so Kocher: "Von zwingenden Notwendigkeiten kann heute angesichts zunehmend ausdifferenzierter und individualisierter (Leistungs-)Entgelte keine Rede mehr sein."
Eva Kocher: Differenzierungsklauseln in der Praxis, Vortrag bei der 8. Jahrestagung der Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA), 10. Oktober 2008, erscheint in einer überarbeiteten Fassung voraussichtlich in der NZA 3/2009