Digitalisierung: Betriebsräte modernisieren die Mitbestimmung

Ausgabe 03/2022

Die Digitalisierung wird zum zentralen Thema für viele Betriebsräte. Eine Studie zeigt, wie sich dadurch die tägliche Arbeit und das Selbstverständnis der Gremien verändern.

Die Aufgaben von Betriebsrätinnen und Betriebsräten werden komplexer. Sie müssen zurechtkommen mit schnelllebigen Märkten, technischem Fortschritt und uneinheitlichen Interessen der Belegschaften. Vor allem die zunehmende Digitalisierung stellt Betriebsratsgremien vor große Herausforderungen, wie eine Studie des Helex Instituts in Bochum zeigt. In einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Projekt haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neun Gremien über rund zwei Jahre begleitet, unter anderem bei Deutsche Telekom IT, Merck KGaA und SMS Group. Wichtig war den Forschenden der enge Austausch mit der Praxis – die Betriebsräte und Betriebsrätinnen konnten Einfluss auf den Forschungsprozess nehmen.

Die Interessenvertretungen erleben eine doppelte Transformation: Zum einen müssen sie die Digitalisierung zum Wohle der Beschäftigten und des Unternehmens mitgestalten. Zum anderen wandelt sich auch ihre eigene Arbeitsweise auf verschiedenen Ebenen. Meist vollziehen sich die Veränderungen in drei Phasen: Am Anfang steht das Auftauen bestehender Strukturen, darauf folgt eine Phase der Bewegung und der Neuausrichtung, anschließend das Verstetigen der neuen Konzepte.

Den Einstieg in den Veränderungsprozess bildet häufig die Einführung digitaler Tools. Dazu gehören zum Beispiel digitale Schwarze Bretter oder soziale Medien. Betriebsratsgremien treten durch Blogs oder per Videobotschaften mit der Belegschaft in Kontakt. Mithilfe von SharePoint oder Microsoft Teams werden Daten verwaltet, Aufgaben organisiert und Arbeitsabläufe vereinfacht.

Die Arbeit der Betriebsratsgremien verläuft nicht länger in klar abgegrenzten Strukturen, sondern orientiert sich an Kernteams, die je nach Bedarf und Kompetenz aus verschiedenen Mitgliedern zusammengesetzt werden. Es werden neue Arbeitskreise oder Ausschüsse gebildet, die sich schwerpunktmäßig mit den Herausforderungen der digitalen Transformation auseinandersetzen. Elemente agiler Arbeit wie Scrum, LeanStartUp oder Design-Thinking kommen zum Einsatz. Auch in der Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber werden – häufig auf Initiative der Betriebsratsgremien – agile Methoden getestet. In sogenannten agilen Betriebsvereinbarungen sind Regelungen nicht unveränderbar festgelegt, sondern werden angepasst und ergänzt, wenn die Situation es erfordert und beide Parteien zustimmen. Einige der untersuchten Betriebsratsgremien agierten so fortschrittlich, dass sie die „Arbeitgeberseite in der Entwicklung zu überholen schienen“, schreiben die Forschenden. 

Angestoßen durch die Neuerungen kommt es in einigen Gremien zu einem Prozess des Nachdenkens: Neue Rollen werden identifiziert, Verhaltensregeln verändern sich und auch das Selbstverständnis wandelt sich. Ein modernes Verständnis von Mitbestimmung bedeutet für viele Arbeitnehmervertreter und -vertreterinnen, die Arbeitsorganisation im Unternehmen ständig zu beobachten und neu auszuhandeln.

„Unzweifelhaft wird die Gestaltung der digitalen Transformation ein zentrales Handlungsfeld betrieblicher Inte­ressenvertretungen sein. Sich als Gremium darauf vorzubereiten und zugleich die eigenen Ressourcen für eine starke Mitbestimmung neu aufzustellen, ist ein zukunftsweisender Weg“, schreiben die Forschenden. Die Beobachtung der verschiedenen Gremien habe gezeigt, dass die Probleme und Themen über Branchengrenzen hinweg ähnlich sind. Von­einander zu lernen und von den Erfahrungen der anderen zu profitieren, sei besonders wichtig, um die Transformation zu meistern. Gewerkschaften sollten Betriebsrätinnen und Betriebsräte unterstützen, indem sie ihnen „Beispiele guter Betriebsvereinbarungen“ vermitteln und den „Austausch innerhalb eines Netzwerkes“ ermöglichen.