zurück
HBS Böckler Impuls

Europa-AG: Bestandsschutz für die Arbeitnehmerbank

Ausgabe 11/2014

Externe Arbeitnehmervertreter haben gesetzlich garantierte Plätze im mitbestimmten Aufsichtsrat. Das ist ein gut begründeter Kernbestand der deutschen Corporate Governance, der bei der Umwandlung in eine SE bewahrt werden muss, zeigt ein Rechtsgutachten.

Soll ein mitbestimmtes deutsches Unternehmen in die europäische Rechtsform einer Societas Europaea (SE) umgewandelt werden, verhandeln Vertreter von Arbeitgeber und Beschäftigten über die Arbeitnehmervertretung im SE-Aufsichtsrat. Das geschah kürzlich etwa beim Software-Konzern SAP. Unstrittig ist: Gelingt kein Konsens, greift eine Auffangregelung, die sich grundsätzlich an den bisherigen Regelungen zur Mitbestimmung orientiert.

Weniger eindeutig geklärt war bisher, welchen Spielraum beide Seiten bei einer Einigung haben. Können sie sich etwa darauf verständigen, im deutschen Mitbestimmungsgesetz festgeschriebene Regeln zur Zusammensetzung der Arbeitnehmerbank zu ignorieren? Können sie das Recht der im Unternehmen vertretenen Gewerkschaften auf gesicherte Sitze im Aufsichtsrat reduzieren oder gar abschaffen? Für diese Plätze können die Gewerkschaften nach deutschem Mitbestimmungsrecht „externe“ Kandidaten vorschlagen, die nicht im Unternehmen beschäftigt sein müssen. Wie weit die Verhandlungsautonomie in diesen Fragen reicht, hat Christoph Teichmann, Juraprofessor an der Universität Würzburg, im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Ergebnis: Die „Mitwirkung von Gewerkschaftsvertretern und leitenden Angestellten im Aufsichtsrat“ sei „ein prägendes Element der deutschen Mitbestimmung, das eine SE-Beteiligungsvereinbarung bei der Umwandlung in eine SE respektieren muss“. Ein Ausschluss von „reservierten“ Sitzen für externe Gewerkschaftsvertreter ist demnach nicht zulässig.

Sein eindeutiges Votum leitet der Professor für Deutsches und Europäisches Handels- und Gesellschaftsrecht aus Paragraph 21 des SE-Beteiligungsgesetzes (SEBG) ab. Darin heißt es, dass bei einer Umwandlung „in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß gewährleistet“ sein müsse wie in der ursprünglichen nationalen Gesellschaft. Diese Vorschrift sei zentral, betont Teichmann und verweist auf das langwierige europäische Gesetzgebungsverfahren zur SE: Über etliche Jahre war in den Entwürfen die Möglichkeit, aus einer nationalen Rechtsform in eine SE zu wechseln, gar nicht vorgesehen. Auch der Bericht der so genannten Davignon-Runde, die 1997 die Verhandlungslösung für die SE entwickelte, nahm die direkte Umwandlung explizit aus: „Man sah darin zu große Gefahren für eine Umgehung der nationalen Mitbestimmung“, schreibt der Experte. Das änderte sich erst, als 1998 ein Kompromissvorschlag für eine SE-Richtlinie formuliert wurde, der im Falle der Umwandlung die Vorschrift zur Übernahme „aller Komponenten“ enthielt.

Die Lesart mancher Juristen, damit seien nur allgemein die auf europäischer Ebene diskutierten drei Varianten der Arbeitnehmerbeteiligung gemeint – Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung – ist nicht überzeugend, so Teichmann. Schon die Formulierungsdetails des Gesetzes ergäben, dass „damit mehr gemeint sein müsse“. Auch die Deutung, die Vorschrift solle nur verhindern, den zahlenmäßigen Anteil der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat unter das vorherige nationale Niveau zu senken, sei rechtssystematisch nicht schlüssig.

Vielmehr, betont Teichmann, müssten zwar „nicht alle Einzelheiten des nationalen Rechts übernommen werden, wohl aber diejenigen Komponenten, die das nationale Mitbestimmungsrecht qualitativ prägen“. Und dazu gehöre ohne Zweifel das Vorschlagsrecht der Gewerkschaften: „Der Gesetzgeber betont damit die ordnungspolitische Bedeutung der Gewerkschaften und fördert deren Bereitschaft, unternehmenspolitische Entscheidungen mit nachteiligen sozialen Auswirkungen mitzutragen. Außerdem soll einem ,Betriebsegoismus‘ entgegengewirkt und die Gewinnung qualifizierter Personen erleichtert werden“, erläutert der Juraprofessor.

Durch die detaillierte Bindung an das nationale Mitbestimmungsniveau werde bei Verhandlungen über eine Unternehmensumwandlung „die ansonsten im SEBG gewährte Vereinbarungsautonomie weitgehend außer Kraft gesetzt“, schreibt Teichmann. Das entspreche aber gerade dem Willen des europäischen Gesetzgebers, wie die Entstehungsgeschichte zeige. Der Verlust an Autonomie sei aus Arbeitgebersicht „der Preis dafür, dass die Gründungsform der Umwandlung überhaupt in die SE-Verordnung aufgenommen werden konnte“.

  • So funktioniert die paritätische Mitbestimmung in Deutschland. Zur Grafik

Christoph Teichmann: Bestandsschutz für die Mitbestimmung bei Umwandlung in eine SE (pdf), in: ZIP – Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, Heft 22/2014.

Kurzfassung des Gutachtens zum Download (pdf)

Impuls-Beitrag als PDF

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen