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Baubedarf Böckler Impuls

Transformation: Baubedarf

Ausgabe 17/2024

Die sozial-ökologische Transformation erfordert umfangreiche Baumaßnahmen – von einer Branche, die bereits heute um Fachkräfte kämpft. Bessere Arbeitsbedingungen sind nötig.

Aktuell herrscht Flaute. Gestiegene Zinsen und Materialpreise haben die Baukonjunktur im vergangenen Jahr ausgebremst. Dennoch „ist der langfristige Bedarf an Bauleistungen enorm“, so André Holtrup vom Institut Arbeit und Wirtschaft an der Universität Bremen. Schließlich müssen dringend neue Wohnungen gebaut, alte energetisch saniert oder die Verkehrsinfrastruktur für die E-Mobilität fit gemacht werden. Dies sei nur mit einer „leistungsfähigen Bau- und Ausbauwirtschaft zu meistern“, schreibt der Branchenexperte in den WSI-Mitteilungen und weist darauf hin, dass etwa bei Fachleuten für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik oder für Gebäudeelektronik seit Jahren Engpässe herrschen. Mittlerweile würden auch Beschäftigte in den Tiefbauberufen sowie im Dachdecker- und Maurerhandwerk, im Fliesenbau oder im Holzbau „händeringend“ gesucht.

Grundsätzlich gibt es Holtrup zufolge verschiedene Ansätze, den Fachkräftemangel zu lindern. Erstens könne man darauf setzen, das Arbeitsangebot zu erhöhen – durch Zuwanderung, höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen oder längere Arbeitszeiten und späteren Renteneintritt. Zweitens könnten verstärkte Anstrengungen in der Aus- und Weiterbildung dafür sorgen, dass Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt besser zusammenpassen. Verbände der Bauwirtschaft, so der Experte, betonen die Bedeutung der Zuwanderung, das Handwerk die Notwendigkeit, die berufliche Bildung aufzuwerten. Ein dritter Ansatzpunkt wäre die Verbesserung der Arbeitsqualität. Das heißt, „Bedingungen zu schaffen, dass die Menschen dort arbeiten wollen, wo sie fehlen“. Der Punkt werde kaum thematisiert, sagt der Wissenschaftler. Dabei liege auf der Hand, dass dieser Aspekt entscheidend ist. So mangelt es keineswegs an Ausbildungsangeboten – die Ausbildungsquote in der Bau- und Ausbauwirtschaft ist überdurchschnittlich und beträgt in einigen Zweigen zehn Prozent. Das Problem ist vielmehr: Über die Hälfte der Ausgebildeten kehrt der Branche bald den Rücken.

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Große Belastung, mäßige Bezahlung

Was zeichnet die Arbeit am Bau aus? Bauberufe sind abwechslungsreicher als eine Tätigkeit in der immer gleichen Fabrikhalle, es gibt sichtbare Ergebnisse und gerade, wenn es um nachhaltige Projekte geht, hat die Arbeit einen klaren gesellschaftlichen Nutzen. Dem stehen allerdings auch Nachteile gegenüber. Die Arbeit ist nicht nur körperlich anstrengend und findet oft auch bei Regen oder Hitze statt. Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sind häufiger als in anderen Branchen. Das liegt nicht zuletzt da-ran, dass Arbeitsschutzmaßnahmen an wechselnden Einsatzorten kaum auf dem gleichen Niveau gehalten werden können wie in der stationären Produktion, so Holtrup. Studien zeigen, dass körperliche Belastungen und Gesundheitsprobleme zu den wesentlichen Abwanderungsmotiven zählen.

Ein weiteres Problem ist die saisonale Abhängigkeit. Zwar ist durch Instrumente wie das Saisonkurzarbeitsgeld sichergestellt, dass Beschäftigte in den Wintermonaten in der Regel nicht ohne Arbeitsvertrag und Einkommen dastehen. Dennoch, schreibt der Wissenschaftler, dürfe bezweifelt werden, „dass die Aussichten, im Sommer sehr viel arbeiten zu müssen und im Winter unfreiwillig viel Freizeit zu haben und gleichzeitig Einkommenseinbußen einplanen zu müssen, als attraktiv wahrgenommen werden“.

Bei den Einkommen „schneidet die Bauwirtschaft nicht gut ab“, konstatiert Holtrup. Auch wenn hier nicht von einer Niedriglohnbranche die Rede sein könne. Der durchschnittliche Bruttostundenlohn inklusive Sonderzahlungen für Vollzeitbeschäftigte beträgt 23,51 Euro. Damit liegt er gut sechs Euro unter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt. Im Vergleich zur Industrie, die ebenfalls Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit technisch-handwerklichen Interessen und Qualifikationen bietet, ist die Differenz noch größer. Im verarbeitenden Gewerbe werden im Schnitt 32,73 Euro gezahlt.

Zu beachten ist außerdem, dass es innerhalb der Bauwirtschaft ein beträchtliches Einkommensgefälle gibt. So sind die Löhne im Ausbaugewerbe, das 58 Prozent der Beschäftigten umfasst, deutlich niedriger als im Hoch- und Tiefbau. In Teilen der Bauwirtschaft wirkt nur noch der gesetzliche Mindestlohn als Untergrenze, seit der bis Ende 2021 gültige Branchenmindestlohn im Bauhauptgewerbe nach gescheiterten Verhandlungen nicht mehr in Kraft ist. Ein ausgeprägter Druck auf die Löhne erklärt sich auch durch die Eigenheiten des Baugeschäfts: Baufirmen können nicht auf Halde produzieren und anschließend, mit zunächst eher hoch angesetzten Verkaufspreisen, ihre Absatzmöglichkeiten austesten. Sie stehen stets in einem harten Wettbewerb um Aufträge zu den gerade aktuellen Marktpreisen. Da ist die Versuchung groß, das mutmaßlich günstigste Angebot der Konkurrenz noch ein wenig zu unterbieten.

Lange Anfahrt, lange Arbeitstage

In der Regel werden auf dem Bau 39 bis 40 Stunden pro Woche gearbeitet. Wobei einige Tarifverträge gespaltene Arbeitszeiten vorsehen, also kürzere Wochen in der Schlechtwetterzeit. Die weit überwiegend männlichen und in Vollzeit Beschäftigten haben selten flexible Arbeitszeiten; Arbeitszeitkonten werden eher genutzt, um im Sommer Überstunden aufzubauen, die im Winter abgefeiert werden. Laut Untersuchungen des Instituts Arbeit und Qualifikation sowie der Sozialkassen der Bauwirtschaft sind lange und ungünstige Arbeitszeiten aus Beschäftigtensicht ein erhebliches Manko. Abhilfe ist allerdings nicht so leicht zu schaffen. Denn „modernen“, flexiblen Zeitmodellen stehen nicht nur Traditionen entgegen, sondern vielfach auch objektive Notwendigkeiten: Baustellenarbeit ist Arbeit im Team und der nächste Schritt kann erst getan werden, wenn der vorherige abgeschlossen ist. Daher sind die Grenzen für eine Arbeitszeit nach individuellen Präferenzen bisher eng gesteckt.

Die Bauwirtschaft: Facharbeit dominiert

Auf dem Bau arbeiten 5,8 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland, rund 2,6 Millionen Menschen. Sie erwirtschaften 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die meisten sind in Kleinbetrieben beschäftigt; 72 Prozent der Betriebe im Bauhauptgewerbe haben weniger als zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im Ausbaugewerbe sind es sogar 90 Prozent. Entsprechend gering ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad. Beschäftigte wechseln in der stark konjunkturabhängigen Baubranche relativ häufig den Arbeitgeber, was vielfach durch brancheninterne Sozialkassen vereinfacht wird, die eine Mitnahme von Urlaubsansprüchen oder Leistungen der Altersvorsorge ermöglichen.

Anders als häufig angenommen spielen Anlerntätigkeiten in der Bauwirtschaft keine herausgehobene Rolle. Die Helferquote liegt mit 18 Prozent nur unwesentlich über dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt. Die meisten Beschäftigten sind Fachkräfte. Unterdurchschnittlich ist die statistisch ausgewiesene Quote der Hochqualifizierten, was zum Teil daran liegt, dass beispielsweise Architektur- und Planungsbüros nicht zur Baubranche gezählt werden.

Die Digitalisierung verändert auch die Arbeit in der Baubranche. Das betrifft allerdings weniger die konkrete Ausführung als die Organisation und Planung: Häuser werden in nächster Zukunft nicht von Robotern gebaut, aber bereits heute wird mit sogenannten Building Information Models gearbeitet – virtuellen Abbildern etwa des Gebäudes, des Baufortschritts, des Zeitplans oder der Kostenentwicklung. Dadurch sollen vor allem Reibungsverluste beim Zusammenspiel der verschiedenen Gewerke minimiert werden.

Die eigentliche Arbeitszeit ist zudem nicht alles. In der Regel kommt noch eine längere Anfahrt dazu. Nach einer Studie im Auftrag der IG BAU aus dem Jahr 2020 betrug die einfache Wegstrecke zur Baustelle im Schnitt 64 Kilometer. Im Bauhauptgewerbe gibt es seit kurzem eine tarifliche Wegezeitentschädigung von bis zu neun Euro pro Tag. Das dürfte jedoch kaum dazu beitragen, Baubeschäftigte in der Branche zu halten, fürchtet Holtrup, die eine tägliche Fahrzeit von zwei Stunden und mehr auf sich nehmen müssen.

Qualifizierung läuft eher informell

Jedes Projekt ist anders und man lernt jedes Mal dazu. Im Vergleich zu vielen anderen Jobs bietet die Bauwirtschaft viel Raum, die eigenen Fertigkeiten kontinuierlich auszubauen. Formale Weiterbildungen sind hingegen wenig verbreitet. Abgesehen von Zertifikaten, die nötig sind, um etwa an Gasinstallationen arbeiten zu dürfen, oder Herstellerschulungen, in denen der Umgang mit Maschinen oder Baumaterial erläutert wird. Allerdings kommt der bisherige „inkrementelle Lernmodus in der Bauwirtschaft an seine Grenzen“, schreibt der Wissenschaftler. Denn Bauplanung und Prozesssteuerung mit digitalen Modellen, smarte Gebäudesteuerung, Wärmepumpentechnologie oder den Einsatz neuer nachwachsender oder recycelter Rohstoffe lernt man nicht nebenbei. Zudem habe die Branche „bisher keine ausreichende Antwort gefunden, um Schulabgängerinnen und -abgängern mit Hochschulzugangsberechtigung ein interessantes Ausbildungsplatzangebot zu unterbreiten, in dem auch ein Studium Platz findet“.

Insofern sei die Forderung des Handwerks, dass die berufliche Ausbildung gestärkt und attraktiver werden müsse, berechtigt. Nur bedürfe es eben auch „substanzieller Verbesserungen in den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“, damit junge Leute sich für die Branche entscheiden und ihr treu bleiben. Dazu zählen unter anderem Maßnahmen, die für bessere Einkommen sorgen: Allgemeinverbindlicherklärungen von Entgelttarifen, verbindliche Lohngruppeneinstufungen im Arbeitnehmerentsendegesetz oder „gut zu kontrollierende“ Tariftreueregeln bei der öffentlichen Auftragsvergabe. 

Auch in Sachen Arbeitsschutz, Wegezeiten, familienfreundlichere Arbeitszeiten gibt es Holtrup zufolge Ansatzpunkte. Einer davon ist die Förderung des „seriellen Bauens“. Wenn in größerem Umfang etwa Holzkonstruktionen in Werkhallen vorgefertigt und auf der Baustelle nur noch zusammengeschraubt werden, entfallen für einen guten Teil der Beschäftigten typische Nachteile der Bauberufe.

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