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HBS Böckler Impuls

Wirtschaftswissenschaft: Auszug aus der Theoriewüste

Ausgabe 12/2016

Kritische Ökonomen fordern eine größere Theorievielfalt in der akademischen Volkswirtschaftslehre. Gemeint ist damit weder bloße Nachsicht gegenüber kleinen Abschweifungen vom Mainstream noch totale Beliebigkeit.

Die Wirtschaftswissenschaft hat versagt. Sie hat die jüngste große Krise nicht kommen sehen und auch keine geeignete Therapie in petto. Dies gilt jedenfalls für den Mainstream des Fachs. Entsprechend häufen sich die Forderungen nach einem Kurswechsel: In den vergangenen Dekaden an den Rand gedrängte Theorien, die nicht von der Unfehlbarkeit des Marktes ausgehen, sollten wieder mehr Berücksichtigung finden. „Plurale Ökonomik“ heißt das Schlagwort, hinter dem sich vor allem kritische Studierende der Wirtschaftswissenschaften versammeln. Aber was genau ist damit gemeint? Wie viel Vielfalt verträgt eine akademische Disziplin, ohne die gemeinsame Basis zu verlieren? Mit diesen Fragen hat sich der Wirtschaftsprofessor Arne Heise von der Universität Hamburg auseinandergesetzt. Sein Fazit: Wissenschaftspluralismus bedeutet nicht „anything goes“, Meinungsvielfalt ist nicht dasselbe wie totaler Relativismus.

Wer überprüfen will, ob die vorherrschende Ökonomie auf dem Holzweg ist, muss sich zunächst einer Reihe philosophischer, genauer: erkenntnistheoretischer Fragen stellen. Was ist überhaupt die Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft? Eine mögliche Antwort lautet: die Realität so gut zu beschreiben, dass sich aus den gewonnenen Gedankenmodellen korrekte Voraussagen ableiten lassen. Zum Beispiel: Was geschieht, wenn die Gewinne steigen und die Löhne sinken – nehmen Investitionen und Beschäftigung in der Folge zu oder ab? Das klingt jedoch einfacher, als es ist. Bevor Ökonomen sich an die Modellbildung machen können, sind grundsätzliche Annahmen zu klären. Etwa: Gibt es eine einzige Realität, eine wirklich wahre Wirklichkeit, oder ist Realität immer vom Standpunkt des Betrachters abhängig? Sind Wissenschaftler in der Lage, die Dinge „objektiv“, also unabhängig von persönlichen Werturteilen zu beschreiben? Und schließlich: Wie lassen sich wissenschaftliche Erkenntnisse überhaupt gewinnen, durch bloßes Nachdenken und Aussprechen „synthetischer Urteile a priori“, wie Immanuel Kant es nannte? Oder ist das Sammeln von Erfahrungstatsachen, die empirische Forschung, eine bessere Technik?

Heise hat untersucht, inwieweit der ökonomische Main­stream auf den verschiedenen Ebenen der Erkenntnisproduktion alternative Ansätze ausgrenzt. Er konstatiert, die Anhänger der herrschenden Neoklassik gingen von einem „ontologischen und Paradigmenmonismus“ aus; will sagen: Sie sind der festen Überzeugung, es gebe eine Welt und eine Wahrheit und nur ein bestimmtes Spektrum an Musterlösungen für ökonomische Fragen. Innerhalb dieses Rahmens sei neben der gänzlich orthodoxen Forschung zwar noch Platz für Abweichler, die andere Theorien und Methoden anwenden, also beispielsweise das Grundmodell vom Marktgleichgewicht durch spieltheoretische Überlegungen ergänzen. Aber bereits wer die „axiomatische Konstruktion der sozialen Realität als ein System symmetrischer Tauschbeziehungen“ in Zweifel zieht und die Gesellschaft eher durch Machtverhältnisse als durch die unsichtbare Hand des Marktes bestimmt sieht, werde nicht mehr akzeptiert.

Schon die Eine-Welt-eine-Wahrheit-Hypothese ist Heise zufolge „allerdings so rigide und unbegründbar, dass ein ontologischer Pluralismus als wissenschaftliche Norm unabweisbar wird“. Daraus ergebe sich logisch die Forderung nach einem Pluralismus der Forschungsprogramme, Methoden und Theorien. Keine zwingende logische Folge sei es hingegen, die Position extremer Relativisten und Skeptiker einzunehmen, in deren Augen die eine „Wahrheit“ so gut ist wie die andere. „Pluralismus impliziert keinen Relativismus oder Nihilismus“, es gehe lediglich darum, zu akzeptieren, dass es lediglich ein „Vermutungs-Wissen“ gebe, das jederzeit widerlegt werden könne. Zum Beispiel wenn der Markt sich anders verhält, als es die neoklassischen Dogmen vorsehen.

  • Kritische Ökonomen wurden vor allem in den 1970er-Jahren berufen. Zur Grafik

Arne Heise: Pluralismus in den Wirtschaftswissenschaften (pdf), Expertise für die Hans-Böckler-Stiftung, März 2016

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