Quelle: HBS
Böckler ImpulsAlterssicherung: Ausländische Senioren häufig arm
Vier von zehn Ausländern im Rentenalter sind von Armut betroffen. Gleichzeitig wächst die allgemeine Altersarmut in Deutschland wieder. Überdurchschnittlich verbreitet ist sie in Rheinland-Pfalz und Bayern.
Altersarmut sei derzeit in Deutschland kein Problem, argumentieren viele Politiker und Experten. Oft verweisen sie darauf, dass nur zweieinhalb Prozent der Menschen über 65 Jahren Grundsicherung im Alter beziehen, eine spezielle Form der Sozialhilfe. Wer alle verfügbaren Daten auswertet, gelangt jedoch zu einem differenzierteren Bild, zeigt eine Untersuchung des WSI-Sozialexperten Eric Seils: Die Armutsgefährdungsquote ist unter Senioren insgesamt zwar geringer als in der Gesamtbevölkerung. Sie stieg zuletzt aber stärker an. Zudem sind Ausländer, die oft als so genannte Gastarbeiter nach Deutschland kamen ,,bereits heute sehr häufig von Altersarmut bedroht“, so Seils.
Der Wissenschaftler hat die neuesten Daten aus dem Mikrozensus, dem Sozio-oekonomischen Panel und der Haushaltsbefragung EU-SILC ausgewertet. Alle drei Quellen weisen in Deutschland für Bewohner über 65 Armutsquoten aus, die um etwa zwei Prozentpunkte niedriger liegen als in der Gesamtbevölkerung. So hatten laut Mikrozensus 2011 insgesamt 15,1 Prozent und von den Senioren 13,3 Prozent ein monatliches Einkommen unter 848 Euro. Das entspricht 60 Prozent des bedarfsgewichteten mittleren Einkommens. Wer als Alleinstehender weniger hat, gilt nach gängiger Definition als „armutsgefährdet“.
Seit 2006 hat die Armut unter Senioren aber deutlich stärker zugenommen als bei Jüngeren – ihre Armutsquote stieg um 2,9 Prozentpunkte. Und die durchschnittlichen Rentenansprüche der Neurentner sinken immer weiter unter das Niveau der Bestandsrentner, die schon länger im Ruhestand sind. Seils befürchtet daher eine „Rückkehr der Altersarmut“. Die deutlich niedrigeren Grundsicherungsquoten seien kein Grund zur Entwarnung. Denn erstens liegt die Einkommensschwelle, ab der Grundsicherung gezahlt wird, bei nur 698 Euro. Zweitens deuteten wissenschaftliche Untersuchungen darauf hin, dass mehr als die Hälfte der Alten mit Grundsicherungsanspruch diesen gar nicht geltend machen.
Zudem verdecken die relativ niedrigen Durchschnittswerte nach Seils’ Auswertung, dass es schon heute Gruppen mit einem sehr hohen Risiko der Altersarmut gibt. Vierzig Jahre nach dem Beginn des Anwerbestopps gelte dies insbesondere für die damaligen Gastarbeiter, die oft wenig verdienten und stark von Arbeitslosigkeit betroffen waren. So waren 2011 in Deutschland 41,5 Prozent der Ausländer über 65 Jahren von Altersarmut bedroht. 12,7 Prozent bezogen Grundsicherung – bei den Senioren mit deutscher Staatsangehörigkeit waren es nur 2,1 Prozent.
Im Vergleich zu den Vorjahren ist das Armutsrisiko unter den Ausländern um knapp drei Prozentpunkte angestiegen. Da parallel immer mehr Migranten das Rentenalter erreichten, wuchs die absolute Zahl der Armutsgefährdeten weitaus stärker: Seit 2005 von 171.000 auf 268.000. Und die Aussichten verdüstern sich nach Seils’ Analyse noch weiter: Männliche ausländische Bestandsrentner erhielten 2011 monatlich im Durchschnitt 811 Euro aus der Rentenkasse. Neurentner bekamen hingegen im Mittel nur 623 Euro – ein Einkommen unterhalb der Schwelle für die Grundsicherung. Noch weitaus niedriger waren die Renten ausländischer Frauen, und auch bei ihnen mit sinkender Tendenz. „Nach einem Leben voller Arbeit droht den ehemaligen Gastarbeitern die Altersarmut“, resümiert Seils.
Die Untersuchung liefert auch Daten zur regionalen Verteilung von Altersarmut. Sind in Hamburg und Berlin rund 10 Prozent aller Senioren von Armut bedroht, liegt der Wert im Saarland, in Bayern und Rheinland-Pfalz bei 16 Prozent und mehr. Den überraschend hohen Wert im wohlhabenden Freistaat erklärt WSI-Forscher Seils mit der jüngeren Wirtschaftsgeschichte: Als die heutigen Rentner im Erwerbsleben standen, zählte Bayern noch zu den ärmeren, stark ländlich geprägten Bundesländern.
Historisch bedingt sind auch die meist unterdurchschnittlichen Armutsquoten in Ostdeutschland: Wer vollständig oder überwiegend zu DDR-Zeiten berufstätig war, hat meist eine Erwerbsbiografie ohne größere Lücken und einen relativ hohen gesetzlichen Rentenanspruch. Allerdings zeichne sich insbesondere bei ostdeutschen Männern eine „Wende zur Armut“ ab, so Seils: Seit dem Jahr 2000 sänken die Neurenten sehr stark. Grund: Die jüngeren Ruheständler waren oft von der Massenarbeitslosigkeit nach der deutschen Vereinigung betroffen.
Eric Seils: Armut im Alter – aktuelle Daten und Entwicklungen, in: WSI-Mitteilungen 5/2013, im Erscheinen.