Quelle: HBS
Böckler ImpulsMindestlohn: Aufwärtstrend bei Niedriglöhnen
In vielen Branchen sind Vorbereitungen auf den Mindestlohn zu beobachten. Auch deshalb dürfte die Einführung Anfang 2015 unproblematisch laufen.
In den Niedriglohnsektor ist in den vergangenen Monaten Bewegung gekommen, zeigt eine Analyse des WSI-Tarifexperten Reinhard Bispinck. Angestoßen durch die Aussicht auf einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn ab 2015 wurden in einigen Niedriglohnbranchen tarifliche Stufenpläne zur Anhebung der untersten Tarifvergütungen auf mindestens 8,50 Euro vereinbart, so der Forscher. Die allgemeinverbindlichen Branchenmindestlöhne, die es in 14 Wirtschaftszweigen gibt, seien teilweise angehoben worden und der Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes wurde ausgeweitet. „In 11 von 14 Branchen bestehen Mindestlöhne von zum Teil weit über 8,50 Euro. Die Begleitforschung im Auftrag der Bundesregierung hat ergeben, dass es durch Branchenmindestlöhne nicht zu Arbeitsplatzverlusten gekommen ist“, sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs. „Das und die stufenweise tarifliche Annäherung in Niedriglohnbranchen lassen erwarten, dass der allgemeine gesetzliche Mindestlohn sein Ziel ohne kritische Nebenwirkungen erreichen wird.“ Problematisch sei es vielmehr, wenn Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen der Anspruch auf den Mindestlohn verwehrt werde: „Das ist unnötig, rechtlich höchst fragwürdig und es kann Drehtür- und Verdrängungseffekte auf dem Arbeitsmarkt provozieren“, erklärt der Wissenschaftler.
Auf Basis des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes bestehen inzwischen in 13 Branchen Mindestlöhne, ergibt die aktuelle Übersicht des WSI. Hinzu kommt die Lohnuntergrenze für die Leiharbeit auf Basis des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Insgesamt arbeiten in diesen Branchen rund 4 Millionen Beschäftigte. In drei dieser Branchen – Maler und Lackierer, Gerüstbauer, Fleischindustrie – steht die Allgemeinverbindlicherklärung von bereits tariflich vereinbarten Anhebungen der Mindestlöhne zurzeit noch aus. Im Bewachungsgewerbe ist der bisherige Mindestlohn Ende 2013 ausgelaufen, ein neuer muss noch verhandelt werden.
Die Höhe der Branchenmindestlöhne bewegt sich laut WSI zwischen 7,50 Euro und 13,95 Euro. In elf Branchen liegt der Mindestlohn überall in Deutschland oder zumindest im allergrößten Teil des Landes oberhalb von 8,50 Euro, in acht Branchen sogar bei 10 Euro und darüber. Die Anhebung der Branchenmindestlöhne bewegte sich im vergangenen Jahr zwischen knapp 2 Prozent und nahezu 14 Prozent.
Stufenpläne zur Anhebung der untersten Tarifvergütungen auf mindestens 8,50 Euro gibt es mittlerweile auch in einigen Branchen, die das WSI lange Zeit zum „harten Kern“ der Niedriglohnbeschäftigung gezählt hat. „Die Aussicht auf den allgemeinen Mindestlohn hat sicherlich dazu beigetragen, dass Arbeitgeber in solchen Bereichen verhandlungsbereit waren“, sagt Tarifexperte Bispinck.
Fleischindustrie: Hier sieht der im Januar 2014 erstmals vereinbarte Mindestlohntarifvertrag einen Betrag von einheitlich 7,75 Euro ab Juli 2014 vor. Er wird in drei Stufen auf schließlich 8,75 Euro ab Dezember 2016 angehoben. Die Branche wurde neu in das Entsendegesetz aufgenommen.
Friseurgewerbe: Der 2013 neu vereinbarte allgemeinverbindliche Mindestlohn steigt von anfangs 7,50 für West- und 6,50 Euro für Ostdeutschland in zwei Stufen bis August 2015 auf einheitliche 8,50 Euro.
Leiharbeit: Hier wird der Mindestlohn von zurzeit 8,50 Euro im Westen und 7,86 Euro im Osten bis Juni 2016 in zwei Stufen auf 9,00 und 8,50 Euro angehoben.
Landwirtschaft: Die untersten Lohngruppen sollen nach den derzeit gültigen tariflichen Regelungen bis Dezember 2017 schrittweise auf 8,50 Euro angehoben werden. Neuerdings strebt die IG BAU Verhandlungen über einen einheitlichen Mindestlohntarifvertrag für die Bereiche Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Gartenbau an, mit dem bereits vor Ende 2016 die Grenze von 8,50 Euro erreicht und auch überschritten werden soll.
Reinhard Bispinck ist Leiter des WSI-Tarifarchivs.