Quelle: HBS
Böckler ImpulsKonjunktur: Aufschwung trotz großer Risiken
Die Chancen auf eine wirtschaftliche Erholung stehen gut – beflügelt von Exporten nach China und in die USA. Allerdings sind auch die Risiken weiterhin groß. Die Bundesregierung sollte nicht den Fehler machen, Hilfsprogramme und Investitionen zu früh zurückzufahren.
Die deutsche Wirtschaft könnte sich schon bald von der Coronakrise erholen. Treibende Kräfte sind sowohl der starke Außenhandel als auch der wieder zunehmende private Konsum. Auch die verbesserte Lage auf dem Arbeitsmarkt und steigende Investitionen liefern positive Impulse. Im Jahresdurchschnitt 2021 dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 4,9 Prozent zulegen, 2022 um 4,2 Prozent. Das zeigt die neue Konjunkturprognose des IMK.
„Medizinisch ist die Corona-Pandemie leider längst noch nicht besiegt und damit bleiben Risiken. Aber ökonomisch stehen die Zeichen nach dem harten Jahr 2020 erst einmal auf Entspannung“, sagt Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK. Dafür nennt er zwei wesentliche Gründe: Erstens hätten die führenden Zentralbanken, darunter die Europäische Zentralbank, im Frühjahr des vergangenen Jahres zügig mit geldpolitischen Lockerungen auf den Corona-bedingten Wirtschaftseinbruch reagiert und die Regierungen schnell Konjunkturpakete zur Stützung von Produktion und Beschäftigung auf den Weg gebracht. Die Stabilisierungspolitik der Bundesregierung funktioniere gut – bei aller berechtigten Kritik an teilweise schleppenden Hilfszahlungen. Zweitens profitiere vor allem die deutsche Industrie von der kräftigen Nachfrage aus dem Ausland. „Die Lieferketten halten und offensichtlich sind die Corona-Schutzkonzepte in den meisten Betrieben wirkungsvoll“, so Dullien.
Starke Nachfrage aus China und USA
Deutschland könnte ein Exportboom bevorstehen – beflügelt vom kräftigen Wachstum in China, wo das BIP in diesem Jahr um mehr als acht Prozent zulegen dürfte, und den USA, für die ein Wachstum von sieben Prozent erwartet wird. Die japanische Wirtschaft – ebenfalls getragen von Konjunkturprogrammen und der kräftigen Erholung in der Region und den USA – dürfte um 4,6 Prozent wachsen. Das wäre das stärkste Wachstum in Japan seit 1990.
Die Ausfuhren nach China und in die USA, die wichtigsten Abnehmerländer deutscher Produkte, zogen bereits im Verlauf von 2020 deutlich an. Auch die Euroländer, in die insgesamt gut 40 Prozent der deutschen Ausfuhren gehen, werden ihre Nachfrage im Zuge der Erholung merklich ausweiten. So dürften die deutschen Exporte, nachdem sie im vergangenen Jahr insgesamt um 9,4 Prozent unter das Vorjahresniveau gesunken waren, 2021 um fast elf Prozent und im nächsten Jahr um knapp sieben Prozent zulegen. Die Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar dämpft die Entwicklung etwas, da sie Ausfuhren verteuert. „Insgesamt dürfte sich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gegenüber einem weiten Kreis an Handelspartnern aber nur wenig verschlechtern“, schreiben die IMK-Forscher.
Konsum zieht an, Arbeitslosigkeit sinkt
Auch die Binnenwirtschaft dürfte sich im Laufe des Jahres erholen, wenn mehr und mehr Menschen geimpft sein werden, erwarten die Ökonomen. Trotz des relativ langsamen Starts ist nach Berechnungen der Ökonomen eine deutliche Beschleunigung des Impftempos ab April wahrscheinlich, sogar eine Impfung aller impfwilligen Erwachsenen in Deutschland bis Ende Juli erscheint möglich. Dazu reichen laut IMK rechnerisch sowohl die von der Bundesregierung bestellten Vakzindosen aus als auch die Kapazitäten in Impfzentren, Hausarztpraxen und bei Betriebsärzten. Der Ärger über knappe Impfstoffe, überlastete Terminportale und den vorübergehenden Stopp der Impfungen mit Astrazeneca sei nachvollziehbar und Fehler müssten natürlich aufgearbeitet werden. „Aber das sollte den Blick nach vorne nicht verstellen“, sagt Dullien. Die Verfügbarkeit der Vakzine werde – trotz aller Schwierigkeiten – wahrscheinlich in einigen Wochen kein Engpass mehr sein. Wenn ein großer Teil der Bevölkerung immunisiert ist und die Einschränkungen des täglichen Lebens gelockert werden können, werde der private Konsum kräftig anziehen. Da im vergangenen Jahr viele Haushalte weniger Geld ausgegeben haben, etwa für Urlaubsreisen, sei mit einem starken Nachholeffekt zu rechnen. Auf den tiefsten Konsumeinbruch in der Geschichte der Bundesrepublik folgen daher nach der IMK-Prognose zwei Jahre mit sehr dynamischer Entwicklung. Die Inflation wird in der Folge vorübergehend anziehen, mit 1,7 Prozent und 1,5 Prozent aber in beiden Jahren noch unter dem Ziel der EZB von 2 Prozent bleiben.
Die Situation auf dem Arbeitsmarkt dürfte sich im weiteren Jahresverlauf 2021 ebenfalls verbessern. In der Statistik wird sich das allerdings erst mit zeitlicher Verzögerung niederschlagen. Die Erwerbstätigkeit sinkt im Jahresdurchschnitt 2021 zunächst um 0,1 Prozent, im kommenden Jahr wächst die Zahl der Erwerbstätigen dann aber kräftig um 1,5 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt 2021 um etwa 30 000 Personen, sodass im Jahresmittel rund 2,66 Millionen Menschen ohne Job sein werden. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 5,8 Prozent. 2022 geht die Arbeitslosigkeit auf 5,3 Prozent zurück.
Bei Investitionen nicht nachlassen
„Unsere Prognose ist mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Es ist ja schwer einzuschätzen, wie heftig eine dritte Corona-Welle wird. Deshalb überwiegen zurzeit eindeutig die zusätzlichen Risiken. Wir sehen aber auch gewisse Chancen, dass es besser läuft, als wir momentan annehmen“, sagt IMK-Direktor Dullien. Zu den möglichen Gefahren zählt er neben einer Zuspitzung der Pandemie und weiteren Rückschlägen bei den Impfungen eine Insolvenzwelle, die größer ausfällt, als bislang zu erwarten ist. Mindestens genauso schädlich für die wirtschaftliche Entwicklung wäre allerdings, wenn „die Bundesregierung eine fiskalpolitische Konsolidierung einleitet, bevor ein selbsttragender Aufschwung eingesetzt hat“, hebt das IMK hervor. Angesichts des großen Investitionsbedarfs, insbesondere bei klimafreundlichen Technologien, und hoher Leistungsbilanzüberschüsse müssten Investitionen über die nächsten Jahre absolute Priorität haben. Notwendig sei sowohl eine Verstetigung der öffentlichen Investitionen auf hohem Niveau als auch ein ausgearbeiteter Plan, wie diese im Falle einer konjunkturellen Abschwächung zügig hochgefahren werden können, mahnen die Wirtschaftsforscher. Der notwendige Spielraum bei den Staatsfinanzen sei auf jeden Fall gegeben.
Sebastian Dullien, Alexander Herzog-Stein, Peter Hohlfeld, Katja Rietzler, Sabine Stephan, Silke Tober, Sebastian Watzka: Kräftige Erholung mit erheblichen Risiken, Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung 2021/2022 (pdf), IMK-Report Nr. 167, März 2021