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Inflation Reduction Act: Aufbruchstimmung in den USA

Ausgabe 13/2024

Die US-Regierung stößt massive Investitionen in grüne Technologien an. Einerseits sollen dadurch die Treibhausgasemissionen drastisch reduziert werden, andererseits könnten Arbeitsplätze von Europa in die USA verlagert werden.

Mit der Verabschiedung des Inflation Reduction Act (IRA) in den USA vor knapp zwei Jahren ist auch in Europa eine neue klima- und industriepolitische Debatte entbrannt. Eine der zentralen Aufgaben der neuen EU-Kommission wird es sein, die Antwort der EU auf das US-Gesetz weiterzuentwickeln und umzusetzen. Andernfalls droht Europa wirtschaftlich von den USA abgehängt zu werden, wie eine Analyse von Tom Bauermann, Sabine Stephan und Andrew Watt vom IMK zeigt. „Der IRA ist ein ausgeklügeltes Programm zur Förderung klimaneutraler Energieerzeugungs- und Klimaschutztechnologien“, so die Wissenschaftlerin und die Wissenschaftler. „Er wird in den nächsten Jahren eine enorme Wirkkraft entfalten.“ 

In ihrer Analyse erläutern die Forschenden detailliert die Funktionsweise des IRA und zeigen auf, welche Maßnahmen geeignet sind, die von den USA postulierten indus­triepolitischen Ziele zu erreichen. Darüber hinaus haben sie auf Basis umfangreicher Daten analysiert, wie sich der IRA bereits heute auf die geförderten Branchen in den USA auswirkt und welche Entwicklungen bis zum Ende des Jahrzehnts zu erwarten sind – mit Rückwirkungen auf die Wirtschaft in Europa.

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In den nächsten Jahren werden riesige Summen an staatlicher Förderung in die US-Wirtschaft fließen: in die Modernisierung der Infrastruktur, in die Wasserstoffproduktion und die klimaneutrale Stromerzeugung sowie den entsprechenden Netzausbau, in den Aufbau industrieller Produktionskapazitäten für Photovoltaikanlagen, Windkraftanlagen, Elektrolyseure und den Aufbau geschlossener Wertschöpfungsketten im Bereich der Elektromobilität, in die heimische Halbleiterproduktion sowie in wissenschaftliche und technische Innovationen. Im Vordergrund stehen dabei die Förderungen von Strom- und Wasserstoffproduktion sowie von E-Autos und Batteriezellen.

Die Investitionsoffensive besteht aus drei Programmen, die neben dem Inflation Reduction Act auch den Infrastructure Investment and Jobs Act und den CHIPS Act umfassen. Das Gesamtvolumen dieser Programme wird auf etwa zwei Billionen Dollar geschätzt. Dies dürfte jedoch eher die Untergrenze sein. Da die Förderung klimafreundlicher Technologien und Produktionsverfahren vor allem über Steuergutschriften erfolgt, die nicht gedeckelt sind, könnten die Ausgaben für den IRA deutlich nach oben abweichen. Dabei gibt es eine Basisrate, die sich durch Boni erhöht, wenn zum Beispiel bestimmte Kriterien zur Mindestvergütung und Ausbildung im Betrieb eingehalten werden.  

Der IRA ermöglicht den zügigen Ausbau von Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, vor allem bei Photovoltaik und Wasserstoff. Zusätzlich werden die Kosten der Stromerzeugung bis in die 2030er-Jahre – gegebenenfalls sogar länger – durch Steuergutschriften subventioniert. Das dürfte nach bisherigen Studien dazu beitragen, dass die realen Stromherstellungskosten in den USA in den kommenden Jahren sinken werden. Niedrige reale Strompreise – insbesondere in den Industrieregionen des Mittleren Westens und des Südens – können die USA zu einem attraktiven Produktionsstandort für energieintensive Industrien machen und die Dekarbonisierung der Industrie fördern. Das Auslaufen dieser Subventionen ist an die Vorgabe geknüpft, dass die Emissionen des US-amerikanischen Stromsektors bis 2032 um 75 Prozent gegenüber 2022 sinken. Sollte das zunächst nicht gelingen, können die Steuergutschriften so lange weiter in Anspruch genommen werden, bis das Ziel erreicht ist. Wenn die Steuergutschriften auslaufen, würden die realen Strompreise wieder etwas steigen.

Im Vergleich zum Ausbau von Photovoltaikanlagen und Batteriespeichern hinkt der Ausbau von Windkraftanlagen hinterher, da die kapitalintensive Branche aufgrund stark gestiegener Material- und Zinskosten derzeit eine Flaute erlebt – davon ist aber auch Europa betroffen. Ein weiteres Problem könnte das veraltete US-Stromnetz darstellen. Es muss schnell und umfassend modernisiert und ausgebaut werden, um bei der Einspeisung großer Mengen von Solar- und Windstrom stabil zu bleiben. Der Ausbau könnte aufgrund langer Planungs- und Genehmigungsprozesse im Vergleich zum Ausbau der erneuerbaren Energien zu langsam erfolgen.

Bei Wasserstoff ist noch vieles im Fluss

Noch haben die USA bei Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff Nachholbedarf gegenüber Europa. Dieses Feld entwickelt sich aber sehr dynamisch. Aufgrund der großzügigen Subventionen wird Wasserstoff nach verschiedenen Studien in den USA vorübergehend deutlich günstiger sein als in Europa. Ziel der US-Regierung ist es, die Produktionskosten für klimafreundlichen Wasserstoff deutlich zu senken, um ihn günstiger als fossile Brennstoffe zu machen. Die US-Regierung möchte binnen sieben Jahren die Produktionskosten für Wasserstoff auf unter zwei Dollar pro Kilogramm drücken. Damit würde sie auch den Export klimafreundlicher Güter stärken. Die Kosten für die Herstellung von grünem Wasserstoff liegen in Europa derzeit im Schnitt noch zwischen 5,5 und 13 Dollar pro Kilogramm. Es wird jedoch davon ausgegangen, dass es langfristig zu einer Annäherung kommen wird. Zum einen, wenn die Förderung in den USA ab den 2030er-Jahren langsam ausläuft. Zum anderen können einige Regionen in Europa, wie etwa Spanien und Norwegen, aufgrund ihrer geografischen Lage künftig ähnlich günstig produzieren wie Nordamerika, sobald die Wasserstoffproduktion dort nicht mehr subventioniert wird. „Insgesamt ist beim Wasserstoff aber noch Vieles im Fluss“, schreiben die IMK-Forschenden. „Da der Großteil der Projekte bislang lediglich angekündigt ist, ist es derzeit nicht möglich, die Entwicklung der Wasserstoffproduktion in den USA – wie auch in Europa und China – verlässlich abzuschätzen.“

Großzügige Batterieförderung lockt Unternehmen an

Ende des Jahrzehnts dürften die USA über Produktionskapazitäten verfügen, um mehr als fünf Millionen E-Autos pro Jahr herzustellen. Der Effekt des IRA auf den Ausbau der E-Autoproduktion ist bislang allerdings gering. Es wurden zusätzliche Kapazitäten im Umfang von etwa 280 000 Fahrzeugen pro Jahr angekündigt, wobei der Löwenanteil auf ein deutsches Unternehmen entfällt: Volkswagen baut in der Nähe von Columbia in South Carolina eine Elektroautofabrik für seine US-Marke Scout. Ab 2026 sollen dort jährlich bis zu 200 000 elektrische Pickups und SUVs vom Band laufen. Um die Nachfrage nach Elektroautos anzukurbeln, können Verbraucher und Verbraucherinnen in den USA beim Kauf eines Neuwagens mit Elektroantrieb eine Steuergutschrift von bis zu 7500 Dollar erhalten. Allerdings ist diese „Prämie“ an strenge Anforderungen gebunden – zum Beispiel hinsichtlich der Endmontage des Fahrzeugs sowie der Herkunft der in den Batterien verwendeten Mineralien und Komponenten. So sollen möglichst geschlossene Wertschöpfungsketten im Bereich der E-Mobilität in den USA aufgebaut werden – unter Ausschluss chinesischer Unternehmen. Viele Elektroautos europäischer Hersteller sind derzeit in den USA nicht prämienberechtigt, weil sie die strengen Anforderungen nicht erfüllen. Zwar gibt es mit dem Leasing eine Regelung, die eine Förderung auch für aus Europa importierte E-Autos möglich macht. Doch dies sei „keine Dauerlösung“, betonen die Forschenden. 

Der IRA gibt der Batterieproduktion in den USA einen enormen Schub. Ende 2021 kostete eine in China hergestellte Lithium-Ionen-Batterie im Schnitt 111 Dollar pro Kilowattstunde, während eine in den USA produzierte bei 155 Dollar und eine in Europa gefertigte sogar bei 178 Dollar lag. Mit dem IRA kann ein Unternehmen, das in den USA Batteriezellen produziert und zu Modulen montiert, Subventionen in Höhe von 45 Dollar pro Kilowattstunde erhalten. Batteriehersteller haben damit die Möglichkeit, ihre Preise signifikant zu senken.

Die üppigen Subventionen dürften vor allem für Unternehmen attraktiv sein, die bereits über einen Produktionsstandort in den USA nachdenken oder den Ausbau bestehender Kapazitäten planen. Unternehmen, die eigentlich in Europa investieren wollten, könnten dies stattdessen in den USA tun, so die IMK-Forschenden. Aber auch Unternehmen, die keinen Produktionsstandort in Amerika anstreben, profitieren indirekt vom IRA, da sie ihn als Druckmittel einsetzen können, um für sich bessere Investitionsbedingungen in Europa auszuhandeln. 

Für den Aufbau einer Batterieproduktion in Europa können Billigimporte aus China und perspektivisch auch aus den USA ein großes Problem darstellen. Angesichts der sich abzeichnenden Überkapazitäten dürfte der Weltmarktpreis für Batterien in den kommenden Jahren weiter sinken, so dass eine europäische Batterieproduktion unter den gegebenen Bedingungen nicht rentabel ist. Da Großprojekte umfangreichen Planungs- und Genehmigungsverfahren unterliegen, sind vor allem solche Projekte gefährdet, die sich derzeit in einem frühen Planungsstadium befinden. „Es ist deshalb zu befürchten, dass einmal verschobene oder ausgesetzte Batterieprojekte in der EU nicht mehr nachgeholt werden“, schreiben die Forschenden. Die EU könnte Probleme bekommen, den Bedarf an Batterien für Elektroautos aus heimischer Produktion zu decken, und wäre stattdessen stark auf Importe aus China und den USA angewiesen.

„Mit dem IRA adressiert die US-Regierung die aktuell drängenden industrie-, klima-, sozial-, struktur- und geopolitischen Herausforderungen und versucht, die große Transformation in einer Weise zu gestalten, die diese verschiedenen Perspektiven berücksichtigt und den damit verbundenen unterschiedlichen Interessen Rechnung trägt“, lautet das Fazit von Bauermann, Stephan und Watt. Die US-Regierung habe es verstanden, die mit der Transformation verbundenen Chancen in den Vordergrund zu stellen und eine Aufbruchstimmung in der Wirtschaft zu erzeugen, während die große Transformation in Europa bislang vor allem mit Sorge betrachtet werde.

Laut IMK-Direktor Sebastian Dullien müsse sich deshalb auch Europa stärker überlegen, welche Schlussfolgerungen man für die eigene Politik aus dem IRA ziehen könne. „Wenn alle anderen großen Wirtschaftsblöcke eine aggressive grüne Industriepolitik machen, sich Europa aber vornehm zurückhält, besteht die Gefahr, dass die Industrie diesseits des Atlantiks am Ende abgehängt ist“, so Dullien.

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