Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitsmarkt: Auf den Einstieg kommt es an
Schwierigkeiten in der frühen Karrierephase beeinträchtigen langfristig das Einkommen – insbesondere bei Geringverdienern. Über die Jahre ist dieser Effekt stärker geworden.
Dass Jugendarbeitslosigkeit „Narben“ hinterlässt, also noch Jahre später messbare Auswirkungen auf die Chancen am Arbeitsmarkt hat, ist gut dokumentiert. Der Ökonom Matthias Umkehrer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat nun nachgewiesen, dass sich dieses Problem seit den 1970er-Jahren verschärft hat. Seiner Analyse zufolge ist die Beschäftigung zu Beginn des Erwerbslebens instabiler geworden. Gleichzeitig sind die Lohneinbußen, mit denen Berufseinsteiger ohne Normalarbeitsverhältnis später rechnen müssen, gewachsen. Das gilt vor allem für Arbeitnehmer mit ohnehin geringen Verdiensten.
Umkehrer hat für seine Studie IAB-Daten zu den Erwerbsbiografien westdeutscher Männer ausgewertet, die zwischen 1977 und 2001 eine duale Ausbildung abgeschlossen haben. Dabei hat er sich auf Absolventen der Jahrgänge 1977 bis 1979, 1987 bis 1989 und 1999 bis 2001 konzentriert. Diese Kohorten sind nach seiner Einschätzung insofern vergleichbar, als sie zu einem ähnlichen Zeitpunkt im Konjunkturzyklus auf den Arbeitsmarkt gekommen sind, nämlich jeweils wenige Jahre vor einer Rezession.
Als Maß für die Beschäftigungsstabilität in der Frühphase des Berufslebens hat der Forscher die Anzahl der Tage in sozialversicherungspflichtiger Vollzeitbeschäftigung zwischen dem Anfang des zweiten und dem Ende des fünften Jahrs nach dem Abschluss summiert. Dabei zeigt sich im Zeitverlauf eine zunehmende Polarisierung: Während die erfolgreichere Hälfte der Berufseinsteiger in allen Kohorten ähnlich lange Beschäftigungsphasen aufweist, hat sich die Situation bei der anderen Hälfte merklich verschlechtert. Die Wahrscheinlichkeit, in den ersten fünf Jahren nach der Ausbildung nicht einen einzigen Tag Vollzeit zu arbeiten, ist von zwei Prozent in den 1970er- und 1980er-Jahren auf acht Prozent in den 1990er-Jahren gestiegen. Parallel dazu hat die Ungleichheit bei den Bruttolöhnen im achten Jahr nach dem Berufseinstieg deutlich zugenommen.
Das Problem: Inwieweit die Beschäftigungsstabilität zu Beginn der Erwerbstätigkeit tatsächlich ursächlich ist für die spätere Lohnentwicklung, lässt sich aus solchen Beobachtungen nicht zweifelsfrei ableiten. Denn ob Jugendliche einen sicheren Arbeitsplatz finden, dürfte auch mit ihrer Motivation und den Fähigkeiten zusammenhängen, die ihrerseits wiederum das Lohnniveau beeinflussen. Um den Einfluss der Beschäftigungsstabilität statistisch zu isolieren, hat sich Umkehrer den Umstand zunutze gemacht, dass die betrachteten Personen ihre Ausbildung jeweils in der Phase vor einer Rezession beendet haben. Je später die Absolventen innerhalb der Kohorten ihren Abschluss gemacht haben, desto früher sind sie in ihrem Berufsleben in eine schwierige Situation am Arbeitsmarkt geraten, die nichts mit ihren individuellen Qualitäten zu tun hat.
Auswirkungen auf die gesamte Karriere
Wenn man darüber hinaus Faktoren wie das Alter beim Abschluss, den Ausbildungsberuf und die Größe des Ausbildungsbetriebs herausrechnet, ergibt sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Beschäftigungsstabilität in der Jugend und dem Verdienst im Erwachsenenalter. Das durchschnittliche Lohnplus, das ein zusätzliches Jahr in Vollzeit zu Beginn des Erwerbslebens später einbringt, betrug bei den 1980er-Jahrgängen 10 Prozent, bei der jüngsten Kohorte 16 Prozent. Die „Rendite“ von Beschäftigungsstabilität sei also nicht nur ökonomisch substanziell, sondern habe zudem deutlich zugenommen, so der IAB-Wissenschaftler. Im Umkehrschluss bedeutet das: Schwierigkeiten beim Berufseinstieg unterminieren immer mehr die Karriereaussichten der Betroffenen. Insbesondere gelte das für Geringverdiener: Beim ärmsten Zehntel der 1990er-Absolventen ergibt sich eine Rendite von 21 Prozent, am oberen Ende der Lohnskala sind es nur 4 Prozent.
Politische Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit könnten dazu beitragen, langfristig das Lohnwachstum zu beschleunigen, so Umkehrer. Am meisten profitieren würden davon die unteren Einkommensschichten.
Matthias Umkehrer: The impact of changing youth employment patterns on future wages (pdf), IAB Discussion Paper 31/2015