Quelle: HBS
Böckler ImpulsVerteilung: Armut schadet allen
Armut betrifft auch diejenigen, die nicht betroffen sind: Wenn die Armutsquote steigt, sinkt die Lebenszufriedenheit der Mittel- und Oberschicht.
Geld ist keine Garantie für Glückseligkeit: Auch wer finanziell abgesichert ist, kennt Kummer. Laut einer Studie von Heinz Welsch und Philipp Biermann macht den Mittel- und Oberschichten sogar fremdes Leid zu schaffen: Steigende Armutsquoten beeinträchtigen das subjektive Wohlbefinden in der oberen Hälfte der Einkommensverteilung.
Die Ökonomen von der Universität Oldenburg haben Daten des Sozio-oekonomischen Panels aus den Jahren 2005 bis 2013 ausgewertet, die sich auf über 39.000 Personen beziehen. Die Befragten sollten unter anderem auf einer zehnstufigen Skala angeben, wie zufrieden sie generell mit ihrem Leben sind. Diese Werte haben die Forscher zur Armutsquote im jeweiligen Bundesland in Beziehung gesetzt, also zum Anteil der Bürger, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Dabei haben sie neben persönlichen Merkmalen wie Alter oder Ausbildung und gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen wie Arbeitslosenquote und Bruttoinlandsprodukt die persönlichen finanziellen Verhältnisse herausgerechnet. Das heißt: Sie haben untersucht, wie die aggregierte Armut unabhängig von der eigenen Situation das Wohlbefinden beeinflusst.
Das Ergebnis: Die Armutsquote wirkt sich signifikant negativ auf die Zufriedenheit aus, besonders stark in der besser verdienenden Hälfte der Bevölkerung. Die Auswirkungen seien etwa halb so groß wie die der Arbeitslosenquote und damit durchaus beachtlich, so die Autoren. Als mögliche Erklärung nennen sie zum einen Mitleid, zum anderen die Furcht, selbst zu verarmen. Zudem sei denkbar, dass grassierende Armut bei den Angehörigen der oberen Schichten Angst vor Steuererhöhungen, Kriminalität oder sozialen Spannungen auslöst. Nach Ansicht der Wissenschaftler zeigen die Befunde, dass Armutsbekämpfung nicht nur ein Gebot der Gerechtigkeit, sondern auch effizient ist: Weil sie auch Unbeteiligten schadet, stellt Armut aus Sicht der ökonomischen Theorie eine Form von Marktversagen dar, deren Korrektur staatlicher Eingriffe bedarf.
Heinz Welsch, Philipp Biermann: Poverty is a Public Bad: Panel Evidence from Subjective Well-being Data, SOEPpaper 885, Dezember 2016