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HBS Böckler Impuls

Hartz IV: Arbeitsvermittler im Bürokratiegestrüpp

Ausgabe 15/2007

Hartz IV soll Langzeitarbeitslosen zurück in den Arbeitsmarkt helfen. Doch in den neu geschaffenen Strukturen fehlt Personal; die Beschäftigten schlagen sich mit einer immer neuen Rechtslage und mangelhafter Software herum.

Seit Anfang 2005 werden alle Langzeitarbeitslosen in zwei neuen, unterschiedlichen Institutionen betreut: entweder in einer der mehr als 350 Arbeitsgemeinschaften im Kooperationsmodell zwischen Arbeitsagentur und Kommune (kurz: ARGE), oder in einer von 69 Optionskommunen. Diese sollen den bisherigen Arbeitslosenhilfe-Empfängern und den arbeitsfähigen Sozialhilfe-Empfängern zu einem Job verhelfen. Wie Arbeitnehmer und ihre Interessenvertretungen das neue Arbeitsumfeld erleben, hat eine Studie der Universität Marburg mit Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Dazu befragten die Forscher um Professor Leo Kißler bundesweit etwa 250 Personalräte.

Das Ergebnis: Sowohl im Kooperations- als auch im Optionsmodell leiden die Beschäftigten unter dem zunehmenden bürokratischen Aufwand und dem ungesicherten rechtlichen Rahmen. Auch läuft die verwendete Software immer noch nicht einwandfrei, was zusätzlich auf Kosten der Betreuungs- und Beratungstätigkeit geht. Allerdings "unterliegen in den Optionseinrichtungen die Beschäftigten offenbar günstigeren Arbeitsbedingungen als im Kooperationsbereich", was die Zahl der zu bearbeitenden Fälle und "die Betreuung einer marktfernen Klientel" angeht, so die Forscher. Zwar sei bei der weiteren Interpretation dieser Ergebnisse Vorsicht geboten: "Es handelt sich um Einschätzungen der Arbeitsbedingungen durch die befragten Personalräte, nicht jedoch um die Einschätzung der Beschäftigten selbst und schon gar nicht um ‚objektiv‘ gemessene Belastungsfaktoren."

Allerdings:  Dem ursprünglich geplanten, gesetzlich aber nicht vorgeschriebenen Betreuungsschlüssel von einem Sachbearbeiter pro 75 Kunden nähern sich nur einige Optionskommunen in der Leistungssachbearbeitung an. Im Schnitt hat jeder Mitarbeiter die Leistungen für bis zu 180 Langzeitarbeitslose zu berechnen, einige jedoch auch für mehr als 200. Im Integrationsbereich liegt der Betreuungsschlüssel bei durchschnittlich 130 bis 150 Fällen, ohne große Ausreißer nach oben oder unten. Noch drastischer zeigt sich die Personalknappheit in den ARGEn: In der Leistungssachbearbeitung hat der Durchschnitt der Beschäftigten 140 bis 180 Kunden. Bei gut einem Viertel liegt der Betreuungsschlüssel nach Angaben der Personalräte sogar bei 200 bis über 250. Auf den gesetzlich vorgeschlagenen Betreuungsschlüssel kommt auch im Integrationsbereich kaum eine ARGE. Im Schnitt liegt der Schlüssel zwischen 130 und 200, knapp ein Drittel sogar über 200. Gerade im Kooperationsmodell sei wegen der hohen Arbeitsbelastung "der Gesetzesauftrag kaum einzuhalten".

Als weiteres Problem speziell beim Kooperationsmodell identifizieren die Wissenschaftler die fehlende "Waffengleichheit" der beteiligten Kommune und der Arbeitsagentur. Denn letztere steuert die Programme, das Controlling, das Personal und die Finanzen. "Vor diesem Hintergrund war der kommunale Partner scheinbar oftmals nicht bereit, über eine Kommunalisierung der Arbeitsmarktpolitik nachzudenken." Machtspiele auf Führungsebene absorbierten so die benötigten Ressourcen für die effektive Umsetzung des neuen Systems.

Auch leide das Modell unter einer ungenügenden gemeinsamen Interessenvertretungspolitik: In den ARGEn sind entweder die Personalräte der jeweiligen Stammhäuser für das Personal zuständig, oder zugewiesene Beschäftigte verlieren nach drei Monaten in der neuen Organisation ihr aktives und passives Wahlrecht. Die Beschäftigten haben in Fragen der Arbeitsbelastung oder der Arbeitsbedingungen also vielfach keinen Ansprechpartner. Erst in einigen ARGEn sind inzwischen neue, informelle Vertretungsformen entstanden.

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Leo Kißler, Ralph Greifenstein, Elke Wiechmann: Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen in den neuen Strukturen der Arbeitsmarktreform - Die Modelle der Hartz-IV-Reform und ihre Folgen für Beschäftigte und Personalvertretungen, Abschlussbericht für die Hans-Böckler-Stiftung, August 2007.

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