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Arbeitsschutz gilt auch daheim Böckler Impuls

Homeoffice: Arbeitsschutz gilt auch daheim

Ausgabe 02/2023

Die Grundsätze des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – und die Verantwortung des Arbeitgebers – sind im Homeoffice nicht aufgehoben. Auch wenn nicht so leicht zu kontrollieren ist, was am privaten Arbeitsplatz geschieht.

Die heute gültigen Standards menschengerechter Arbeit haben sich über Jahrzehnte entwickelt und sind in zahlreichen Regelwerken festgeschrieben. Bei einer Betriebsbegehung wird recht schnell klar, ob ein Unternehmen sich an geltendes Recht hält oder ob es Defizite gibt. Arbeiten die Beschäftigten aber von zu Hause aus, wird die Sache schwieriger. Die grundgesetzlich garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung verbietet behördliche Kontrollen. Sitzen die im Homeoffice Beschäftigten von früh bis spät mit krummem Rücken auf ungeeigneten Stühlen an ungeeigneten Tischen, starren auf viel zu kleine Bildschirme und machen weder Pause noch Feierabend, weil jederzeit eine Mail vom Chef kommen könnte? Niemand bekommt es direkt mit. Das Gleiche gilt für psychische Erkrankungen infolge von Stress und Vereinsamung.

Philipp Donath und Andreas Engelmann von der University of Labour in Frankfurt am Main haben sich mit dem Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz im Homeoffice auseinandergesetzt und die Möglichkeiten ausgelotet, ein Absinken der Standards zu verhindern. Gefragt sind die Beschäftigten selbst, Betriebsräte, Tarifparteien und auch der Gesetzgeber. 

Im Grundsatz gelten zu Hause dieselben Regeln wie bei der Arbeit im Betrieb. Das Arbeitsgerät muss ergonomischen Ansprüchen genügen und die vereinbarten Arbeitszeiten müssen eingehalten werden. Im Fall der Telearbeit sind zumindest die Ausstattungsfragen relativ unproblematisch: Hier stellt der Arbeitgeber die komplette Büroausstattung, in der Regel Tisch, Stuhl und elektronische Geräte nach den Vorgaben der Arbeitsstättenverordnung. Die gesetzlich klar definierte und vertraglich als solche vereinbarte Telearbeit ist jedoch eher die Ausnahme. Üblicherweise fällt Homeoffice in die Kategorie mobile Arbeit. Welche Regeln dabei gelten, ist unter Arbeitsrechtlern und Arbeitsrechtlerinnen umstritten. Die einen betonen den „verpflichtenden Charakter des Gesundheitsschutzes“ und die Verantwortung der Unternehmen, die anderen die freiwillige Entscheidung der Beschäftigten, mit dem Privatcomputer am Küchentisch zu sitzen. 

Donath und Engelmann plädieren für einen Mittelweg, nämlich ein Wahlrecht für die Beschäftigten: Wenn sie es wünschen, soll der Arbeitgeber für die Einrichtung und Prüfung eines Heimarbeitsplatzes nach den Erfordernissen der Arbeitsstättenverordnung inklusive Gefährdungsbeurteilung sorgen. Sollten Beschäftigte keinen entsprechenden Eingriff in die Privatsphäre wollen, genügt es, wenn sie über die empfohlenen Maßnahmen informiert werden und ihren Arbeitsplatz konkret beschreiben – Fotos kann die Firma nicht verlangen, das würde zu stark in die Grundrechte eingreifen. Diese „Auslegung der geltenden Rechtslage“ sei ein „gangbarer Weg“ zur Klärung der Frage, wie „die Regelungen des Arbeitsschutzes unberührt bleiben“ können, wenn dezentrale Arbeit an Bedeutung gewinnt, schreiben die Wissenschaftler.

Eine wichtige Rolle spielt Donath und Engelmann zufolge auch der Betriebsrat. Er hat zwar kein grundsätzliches Recht, über die Einführung von Homeoffice mitzuentscheiden, er kann zum Beispiel nicht erwirken, dass Beschäftigte gegen den Willen der Arbeitgeberin von zu Hause arbeiten dürfen. Ist mobile Arbeit aber beschlossene Sache, so kann er über viele Kanäle auf die Gestaltung einwirken. Weil damit die Einrichtung neuer Arbeitsplätze oder zumindest substanzielle Veränderungen von Arbeitsprozessen verbunden sind, hat der Betriebsrat praktisch immer das Recht, informiert und angehört zu werden. Zumal der Arbeits- und Gesundheitsschutz zu seinen zentralen Arbeitsfeldern gehört. Insofern können die Vertreterinnen und Vertreter der Arbeitnehmenden die Einführung von mobiler Arbeit faktisch verhindern, wenn keine Einigung über die Modalitäten zustande kommt. 

Mitreden sollte der Betriebsrat den Experten zufolge in jedem Fall, wenn es um die Arbeitszeit geht. Tägliche Arbeitszeit, Pausenregelungen, Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage, Art der Erfassung: Dies sollte am besten in Betriebsvereinbarungen geregelt werden. Ein wichtiges Feld – sowohl im Homeoffice als auch im Betrieb – ist eine mögliche technische Überwachung der Beschäftigten. Neben den Zeitpunkten des Ein- und Ausschaltens kann Software inzwischen Tippgeschwindigkeiten, Aufrufe von Dokumenten und Mails sowie Umfang und „zunehmend“ die Qualität der Arbeit erfassen. Die stetig steigenden Datenmengen ermöglichen eine „vergleichende Auswertung“, was den psychischen Druck auf Beschäftigte erhöht. Da Maßnahmen zur Verhaltens- und Leistungskontrolle mitbestimmungspflichtig sind, unterliegt auch „die Einführung und Anwendung fast jeder gängigen Hard- und Software der Mitbestimmung“. Ein weiterer Fall für eine Betriebsvereinbarung sind Gefährdungsbeurteilungen – die in Abhängigkeit davon zu erstellen sind, „welche Einblicke eine Arbeitnehmerin in ihren mobilen Arbeitsplatz zu geben bereit ist“. 

Tarifparteien und Staat setzen Leitplanken

Alle Regelungen den Betriebsräten zu überlassen, ist aber auch keine Lösung, betonen die Wissenschaftler. Denn erstens sind deren Kapazitäten begrenzt, wie sich gerade in der Coronakrise gezeigt hat: Nicht wenige fühlten sich durch die Fülle der in kürzester Zeit zu regelnden Fragen im Zusammenhang mit Homeoffice überfordert oder überrumpelt. Hinzu kommt: Nur noch knapp 40 Prozent der Beschäftigten in privatwirtschaftlichen Betrieben ab fünf Beschäftigten werden überhaupt von einem Betriebsrat vertreten, eine gesetzliche Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung ist dringend erforderlich, aber bislang von der Regierung nicht in Angriff genommen worden. 

Rahmenbedingungen für die Einführung und Gestaltung mobiler Arbeit können die Tarifparteien schaffen – und damit die Betriebsräte entlasten. So ist es etwa in der Metall- und Elektroindustrie geschehen, im privaten Versicherungsgewerbe, in der Telekommunikationsbranche, bei der Bahn und einigen Rundfunkanstalten. In solchen Verträgen werden „der Entscheidungsfreiheit der Arbeitgeberinnen bei der Einführung von mobiler Arbeit Grenzen gesetzt“. Es gibt beispielsweise Regelungen zur Dokumentation der Arbeitszeiten und teilweise ausdrückliche Bestimmungen, dass das Niveau des Arbeitsschutzes nicht abgesenkt werden darf. Bei der konkreten Umsetzung bleibt für Betriebsräte, so vorhanden, noch immer genug zu tun. 

„Allgemeingültige Leitplanken“, so die Juristen, sollte zudem der Staat setzen. Als bedenkenswerte Beispiele nennen sie neue Gesetze in Portugal, nach denen es Arbeitgebern verboten ist, Beschäftigte außerhalb der vereinbarten Arbeitszeit zu kontaktieren, und die jede technische Überwachung der mobilen Arbeit verbieten. Die Kosten für den Betrieb des Arbeitsplatzes – Energie, Internet, Instandhaltung von technischen Geräten – sind außerdem von der Arbeitgeberin zu tragen. Die portugiesischen Bestimmungen müssten nicht zwangsläufig imitiert werden, schreiben die Forscher, die Regelungen zeigten aber, was möglich sei.

Philipp Donath, Andreas Engelmann: Arbeitsschutz und Mitbestimmung für die digitale Arbeitswelt, WSI-Mitteilungen 1/2023

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