Quelle: HBS
Böckler ImpulsAusbildung: Arbeitsrecht gilt auch für dual Studierende
Wer im Rahmen eines dualen Studiums zwischen Hörsaal und Betrieb pendelt, kann unter anderem an Betriebsratswahlen teilnehmen. Betriebliche Aspekte der Ausbildung wie Vergütung und Urlaubsdauer sind tariflich regelbar.
Das duale Studium, das das Lernen an einer Hochschule mit betrieblicher Praxis verzahnt, erfreut sich zunehmender Beliebtheit: Die Anzahl entsprechender Studiengänge in Deutschland hat sich zwischen 2004 und 2019 von 512 auf 1662 mehr als verdreifacht, die Zahl der Studierenden ist von knapp 41 000 auf über 108 000 gestiegen. Die Juristinnen Victoria Koch-Rust und Gabriele Rosentreter von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin haben sich in einem vom HSI geförderten Gutachten mit den arbeitsrechtlichen Aspekten dieser Ausbildungsform auseinandergesetzt: Welchen Status haben dual Studierende? Welche Gesetze sind anwendbar? Was lässt sich tarifvertraglich regeln? Den Ergebnissen zufolge stehen den Studierenden in den Praxisphasen in vielerlei Hinsicht die gleichen Rechte wie anderen Beschäftigten zu – etwa, wenn es um Mitbestimmung, Arbeitsschutz oder Elternzeit geht. Die Arbeitsbedingungen im Ausbildungsbetrieb können zudem Gegenstand von Tarifverträgen sein.
Die beiden Sphären, in denen das duale Studium stattfindet, also die akademische und die betriebliche, fallen dem Gutachten zufolge in unterschiedliche Rechtsgebiete. Teilweise werde aber die Ansicht vertreten, dass es sich juristisch „nur“ um ein Studium handelt, auf das ausschließlich Hochschulrecht und kein Arbeitsrecht anwendbar ist. Koch-Rust und Rosentreter halten das lediglich in Ausnahmefällen für plausibel, nämlich dann, wenn es sich bei den Praxisphasen um „in den Betrieb verlagerte Lehrveranstaltungen“ handelt, für deren Durchführung sich die Hochschule der Unternehmen nur bedient. Sofern diese dagegen verantwortlich für die praktische Ausbildung sind und zu diesem Zweck einen Ausbildungsvertrag schließen, liegen zwei Rechtsverhältnisse vor, die die Studierenden eingehen: ein öffentlich-rechtliches zur Hochschule und ein privatrechtliches zum Betrieb.
Welche Gesetze das Verhältnis zum Ausbildungsbetrieb regeln, hänge von der Art des Studiums ab, so die Juristinnen. Bei „ausbildungsintegrierten Studiengängen“, die sowohl auf einen akademischen als auch auf einen Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf hinauslaufen, sei bis zum Ablegen der Kammerprüfung das Berufsbildungsgesetz (BBiG) einschlägig. Bei den sogenannten praxisintegrierten Studiengängen, die zwar Praxisphasen in einem Unternehmen, aber keinen Berufsausbildungsabschluss vorsehen, sei das BBiG dagegen nicht anwendbar, wenn die praktische Tätigkeit Teil des Studiums und in einer staatlich anerkannten Prüfungsordnung geregelt ist.
Wenn das BBiG, das Mindestnormen für die berufliche Ausbildung festschreibt, nicht greift, sind laut den Gutachterinnen „die für den Arbeitsvertrag geltenden Vorschriften und Grundsätze anwendbar, soweit sich dies aus dem Wesen und Zweck des Vertrages, der Rechtsmaterie und der jeweiligen Norm ergibt“. Die Begründung: Wenn die Studierenden einem Weisungsrecht unterworfen sind, seien sie genauso schutzbedürftig wie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Was das konkret heißt, deklinieren Koch-Rust und Rosentreter für eine Reihe von Vorschriften durch. Demnach können sich dual Studierende, wenn es um ihre betriebliche Tätigkeit geht, sowohl auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz als auch auf das Bundesurlaubsgesetz berufen. Sie haben so wie alle Beschäftigten Anspruch auf Entgeltfortzahlung, Mutterschutz, Elterngeld und Pflegezeit. Auch das Arbeitszeit- und das Arbeitsschutzgesetz sind anwendbar, das Mindestlohngesetz dagegen nicht, beim Teilzeit- und Befristungsgesetz ist das zweifelhaft. In Sachen Kündigungsschutz gelten bei ausbildungsintegriertem Studium bis zur Kammerprüfung die Regelungen des BBiG, ansonsten diejenigen des Kündigungsschutzgesetzes.
Wenn die Studierenden in vergleichbarer Weise wie andere Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sind, seien sie im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes zur Berufsausbildung Beschäftigte, erklären die Rechtswissenschaftlerinnen. Das heißt: Der Betriebsrat hat bei Einstellung, Eingruppierung oder Versetzung ein Informations- und Zustimmungsverweigerungsrecht. Zudem haben die Studierenden aktives und passives Wahlrecht im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung.
Ob das Verhältnis zwischen Ausbildungsunternehmen und dual Studierenden Gegenstand von Tarifverträgen sein kann, wird dem Gutachten zufolge bisweilen grundsätzlich infrage gestellt, weil die Ausbildung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage beruhe. Koch-Rust und Rosentreter halten dem entgegen, dass die Praxisphase lediglich im Hinblick auf Inhalte durch Hochschulgesetze sowie Studien- und Prüfungsordnungen geregelt ist. Zentrale Fragen wie Arbeitszeit, Vergütung oder Urlaub seien dagegen nicht von der Hochschule vorgegeben, sondern zwischen Unternehmen und Studierenden vereinbart – und damit durchaus tariflich regelbar.
Auch das Argument, dass dem Bund die Kompetenz zur Erstreckung des Tarifvertragsgesetzes (TVG) fehle, weil für das duale Studium die Länder zuständig sind, überzeugt die Autorinnen nicht. Eine „absolute Regelungssperre“ liegt nach ihrer Einschätzung hier nicht vor. Ebenfalls für unbegründet halten sie Zweifel, ob ein Ausbildungsverhältnis überhaupt als Arbeitsverhältnis im Sinne des TVG betrachtet werden kann. Denn die Tarifvertragsparteien hätten die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wie weit sie den Arbeitnehmerbegriff im TVG auslegen. Es stehe ihnen also frei, diesen Begriff auf dual Studierende auszuweiten – solange sich die Regelungen auf betriebliche Aspekte wie Vergütung oder Wochenausbildungszeit beschränken.
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Victoria Koch-Rust, Gabriele Rosentreter: Rechtsstellung dual Studierender, HSI-Schriftenreihe Band 45, November 2022