Quelle: HBS
Böckler ImpulsWirtschaftskrise: Arbeitsrecht bremst Entlassungswellen - besonders mit Betriebsrat
In wirtschaftlich schwierigen Zeiten zeigt das deutsche Arbeitsrecht seine Stärke als Schutzschirm für Arbeitnehmer. Wenn Entlassungen drohen, sind Beschäftigte im Vorteil, die in Betrieben mit Betriebsrat arbeiten.
Noch hat die Wirtschaftskrise nicht voll auf den deutschen Arbeitsmarkt durchgeschlagen - offenbar verhindern Flexibilitätspuffer wie die Kurzarbeit vorläufig einen sprunghaften Anstieg der Arbeitslosigkeit. Wenn die schwere Rezession noch lange anhält, dürfte der Druck auf die Beschäftigten jedoch weiter steigen. Um so wichtiger: Das geltende Arbeitsrecht bietet ein wirkungsvolles Instrumentarium, um die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern auszubalancieren. Das macht eine neue Analyse von Marlene Schmidt deutlich. Die Rechtsanwältin und Privatdozentin an der Universität Frankfurt am Main hat diese im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung ausgearbeitet.
Kündigungsschutz und Co. sorgen dafür, dass Beschäftigte auch in Zeiten der Wirtschaftskrise von ihren Arbeitgebern nicht einfach vor vollendete Tatsachen gestellt werden können. Denn Kündigungsentscheidungen müssen transparent und überprüfbar ablaufen. Bei geplanten Massenentlassungen bremsen Sperrfristen die Kündigungsdynamik. Sozialauswahl und Sozialpläne können die Härte des Jobverlusts zumindest etwas mildern.
Die Arbeitsrechtlerin Schmidt fasst zusammen, wie die wichtigsten Regelungen wirken - von Arbeitszeitkonten bis Interessenausgleich:
Arbeitszeitkonten
Gleitzeit- und Überstundenkonten sind in vielen Unternehmen verbreitet. Bei Auftragsmangel wirken sie für beide Seiten als Puffer - für den Arbeitgeber, weil er so Personalkosten sparen kann. Für den Arbeitnehmer ist diese Lösung sozial verträglich, denn er verliert nicht seinen Job, so Rechtsanwältin Schmidt. Aber: Ist ein Beschäftigter für mehr als einen Monat von der Arbeit freigestellt, so entfällt für ihn die Sozialversicherungspflicht. Und gerade die kurzfristig angelegten Arbeitszeitkonten, die Auftragsschwankungen abfedern können, sind im Falle einer Pleite des Betriebs nicht sicher. Immerhin: Der Betriebsrat redet mit. Sollen
alle oder einige Mitarbeiter einer Abteilung oder eines Betriebs für eine Weile zu Hause bleiben, müssen die Arbeitnehmervertreter zustimmen.
Kurzarbeit
Wenn alle anderen Puffer aufgebraucht sind und weiterhin erheblich weniger zu tun ist, kann ein Unternehmen Kurzarbeit beantragen. Diese gilt für einen Betrieb oder bestimmte, organisatorisch abgrenzbare Teile. Hier fängt der Staat über die Arbeitsagenturen die Gehaltseinbußen der Beschäftigten ein Stück weit ab. In dem Ausmaß, in dem die Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit reduzieren müssen, darf ihnen ihr Arbeitgeber das Gehalt kürzen. Möglich ist sogar die "Kurzarbeit Null" - dann stellen die Beschäftigten die Arbeit für eine Weile ganz ein. Zum Ausgleich für die Gehaltskürzung erhalten sie von der Arbeitsagentur Kurzarbeitergeld. Das sind zwischen 60 und 67 Prozent des Betrags, den sie ohne Arbeitsausfall zusätzlich verdient hätten.
Mitbestimmung spielt auch hier eine Rolle: Arbeitgeber dürfen Kurzarbeit nicht einfach so einführen. Sie brauchen eine rechtliche Grundlage, also
- einen für sie geltenden Tarifvertrag,
- eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat,
- eine entsprechende Vereinbarung im Arbeitsvertrag
- oder sie müssen sich mit den Beschäftigten einzeln einigen.
In jedem Fall muss der Betriebsrat der Kurzarbeit zustimmen. Er kann auch von sich aus deren Einführung verlangen.
Während der Zeit der Kurzarbeit führen Arbeitgeber und Arbeitnehmer weiterhin Sozialbeiträge ab - Arbeitnehmer jedoch nur für den Teil des Arbeitsentgelts, den sie noch für tatsächlich geleistete Arbeit erhalten. Für das Kurzarbeitergeld führt der Arbeitgeber allein die Beiträge ab. Nun versucht der Staat die kommende Arbeitsmarktkrise zusätzlich abzufedern: Durch die Neuregelungen des Konjunkturpakets II können sich Arbeitgeber die Hälfte der von ihnen zu zahlenden Beiträge erstatten lassen. Wer sich während der Kurzarbeit weiterbildet, für den übernimmt die Arbeitsagentur die Sozialversicherungsbeiträge ganz. Außerdem können Beschäftigte bis Ende des Jahres nicht mehr nur für maximal 6, sondern für 18 Monate in Kurzarbeit gehen. Das gilt auch für Leiharbeitnehmer.
Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen
Nur im Falle von "dringenden betrieblichen Erfordernissen" können Arbeitgeber ihre Beschäftigten betriebsbedingt kündigen. Ob diese Bedingungen vorliegen, muss sorgfältig geprüft werden. Gibt es einen anderen freien, vergleichbaren, gleichwertigen Arbeitsplatz im Unternehmen, ist eine solche Kündigung unwirksam. Bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers greift die so genannte Sozialauswahl. Das heißt, der Arbeitgeber muss berücksichtigen, wie lange dieser bereits im Betrieb beschäftigt war, wie alt er ist und ob er Unterhaltspflichten oder eine Schwerbehinderung hat. So lassen sich schwer wiegende soziale Härten vermeiden. Ausnahmen gelten für Beschäftigte, die wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur unbedingt im Betrieb verbleiben sollen.
Und wieder spielt die Mitbestimmung eine Rolle: Vor einer betriebsbedingten Kündigung muss unbedingt der Betriebsrat angehört werden. Widerspricht er der Kündigung, wird diese zwar nicht unwirksam. Doch in einem eventuellen Prozess vor dem Arbeitsgericht verbessern sich so die Erfolgsaussichten des Gekündigten.
Anzeigepflichten bei Massenentlassungen
Bei Massenentlassungen müssen Arbeitgeber nicht nur den Betriebsrat, sondern auch die Arbeitsagentur vorab informieren. So ist die Agentur frühzeitig gewarnt und kann sich schon einmal Gedanken machen, welche anderen Jobs sich für die zu Entlassenden anbieten. Wann eine Anzeige bei der Agentur für Arbeit nötig ist, entscheidet sich nach der Betriebsgröße und der Zahl der zu Entlassenden. Zwei Wochen vor der Anzeige sollen die Arbeitnehmervertreter schriftlich alle wichtigen Details erfahren. Während des ersten Monats nach der Anzeige sind Kündigungen nur mit Zustimmung der Arbeitsagentur möglich. Auch kann die Agentur die einmonatige Entlassungssperre um einen weiteren Monat verlängern.
Interessenausgleich und Sozialplan bei Betriebsänderung
Werden Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten stillgelegt, verlegt oder abgespalten, muss der Arbeitgeber sich umfassend mit dem Betriebsrat beraten. Die beiden Verhandlungsparteien können über das Ob, Wann und Wie der geplanten Betriebsänderung eine schriftliche Vereinbarung treffen, den so genannten Interessenausgleich.
Sollen jedoch die Nachteile für die Arbeitnehmer aufgrund der Betriebsänderung gemildert oder ausgeglichen werden, müssen sich die Verhandlungspartner auf einen Sozialplan einigen. Dieser sieht üblicherweise Abfindungszahlungen für die ausscheidenden Arbeitnehmer vor. Möglich sind auch Beschäftigungsgesellschaften, die den Entlassenen die Möglichkeit geben sollen, sich für neue Aufgaben zu qualifizieren.
Hier geht ohne den Betriebsrat gar nichts: Anders als der Interessenausgleich kann der Sozialplan von den Arbeitnehmervertretern erzwungen werden. Ausgenommen sind junge Unternehmen im Alter von bis zu vier Jahren.
Kündigungen bei Insolvenz des Arbeitgebers
Auch der bei einer Firmenpleite eingesetzte Insolvenzverwalter muss die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beachten. Der arbeitsrechtliche Schutz gilt weiter, allerdings mit einigen Einschränkungen. Zum Beispiel sind Kündigungen mit einer Sonderkündigungsfrist von drei Monaten möglich - egal, was anderweitig vereinbart wurde.
Entlassungen, zu denen der Arbeitgeber entschlossen ist, können zwar nur in den seltensten Fällen tatsächlich verhindert werden, fasst die Rechtsanwältin ihr Gutachten zusammen. Die Bestimmungen des Arbeitsrechts sorgen jedoch dafür, dass einmal ausgesprochene Kündigungen möglichst sozial verträglich ausfallen.
Die Analyse des deutschen Arbeitsrechts zeigt: Ein Großteil der Mechanismen, die den Arbeitnehmern in der wirtschaftlichen Krise ihres Arbeitgebers helfen können, setzt die Existenz eines Betriebsrats zwingend voraus. In Betrieben ohne Arbeitnehmervertretung laufen deshalb Mitbestimmungsrechte bei Kurzarbeit, Kündigungen, Massenentlassungen und Sozialplänen schlicht ins Leere. "Auf die Einrichtung einer betrieblichen Interessenvertretung sollte daher gerade in der gegenwärtigen Situation nicht ohne Not verzichtet werden", so Schmidt.
Marlene Schmidt: Schutzschirm für Arbeitnehmer - Eine Übersicht über das arbeitsrechtliche Instrumentarium zum Schutz der Arbeitnehmer in der Unternehmenskrise (pdf), Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung, März 2009