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HBS Böckler Impuls

EU-Dienstleistungsrichtlinie: Arbeitnehmerrechte gefährdet

Ausgabe 18/2009

Zum Jahresende läuft die Frist für die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in nationales Recht aus. Arbeitnehmern entstehen soziale Risiken, zeigt eine Studie.

Die Dienstleistungsrichtlinie soll den Handel mit grenzüberschreitenden Dienstleistungen erleichtern. Bis zum Jahresende haben die EU-Mitgliedstaaten Zeit, sie in nationales Recht zu gießen. Weitaus mehr als ein rein technisch-administrativer Vorgang, so Frank Lorenz und Manfred Wannöffel. Die beiden haben die vielen offenen Fragen bei der Umsetzung der Richtlinie eingehend untersucht.

Zwei Hauptaktivitäten prägen den Umsetzungsprozess, zeigen der Düsseldorfer Arbeitsrechtler und der Soziologe an der Ruhr-Universität Bochum:

1. Normenscreening. Deutschland muss überprüfen, ob sein dienstleistungsrelevantes Recht mit den Bestimmungen der Richtlinie vereinbar ist. Jede Institution ist für die Prüfung der von ihr erlassenen Normen verantwortlich - vom Bund über Länder und Kommunen bis hin zu Berufskammern, Universitäten und Kirchen. Die gesammelten Ergebnisse gehen bis zum 28. Dezember an die EU-Kommission.

Eine grundsätzliche Gefahr: Das Normenscreening könnte dazu genutzt werden, um unter dem Vorwand, das sei europarechtlich geboten, "sozialpolitischen Ballast" abzuwerfen, so die Autoren. Etwa die bevorzugte Vergabe von Aufträgen an Behindertenwerkstätten oder zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen.

"Einer derartigen missbräuchlichen Überschreitung notwendiger Umsetzungserfordernisse lässt sich nur begegnen, wenn der Prozess des Normenscreenings und die Diskussion seiner Auswirkungen in der politischen Öffentlichkeit stattfindet", schreiben die Experten. Gewerkschaften, Verbraucherschutzorganisationen sowie Wirtschafts- und Sozialverbände seien jedoch nicht ausreichend beteiligt worden.

2. Einrichtung von Einheitlichen Ansprechpartnern für die Anbieter von Dienstleistungen. In Deutschland ist dies Ländersache; theoretisch sind also 16 verschiedene Lösungen möglich. So werden denn auch in jedem Bundesland unterschiedliche Umsetzungsmodelle erwogen beziehungsweise sind bereits verabschiedet worden. Sie reichen von der Ansiedlung bei einem Ministerium oder einer Behörde über kommunale Lösungen bis hin zu Kooperationen zwischen Kammern und Gemeinden. Einige Länder wollen die Zuständigkeit sogar ausschließlich Industrie- und Handels- oder Handwerkskammern übertragen.

Letzteres wirft jedoch Probleme des Datenschutzes auf, so Lorenz und Wannöffel. Denn der Einheitliche Ansprechpartner müsse mit vertraulichen Informationen von Dienstleistern und deren Beschäftigten umgehen. Für nicht-öffentliche Institutionen wie zum Beispiel eine Handwerkskammer gebe es dafür jedoch keine datenschutzrechtlichen Vorgaben.

Auch sollte ein solcher Ansprechpartner die ausländischen Dienstleister in jedem Fall über alle Aspekte einer Arbeit in Deutschland informieren. Dazu zählen auch bestehende Mindestlöhne, Sozialversicherungspflichten oder die Anmeldung bei Sozialversicherungsträgern und Berufsgenossenschaften. Anderenfalls könnte ein Dienstleister behaupten, von diesen Regelungen des Arbeits- und Sozialrechts nichts gewusst zu haben. Doch ebenso wie das Thema Normen­screening werde die Einrichtung eines Einheitlichen Ansprechpartners unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutiert, kritisieren die Autoren.

Unter dem Strich zeigt sich: Die Richtlinie gefährdet die Rechte nach Deutschland entsandter Arbeitnehmer. Denn das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, das diese Beschäftigten vor Lohn- und Sozialdumping schützen soll, greift nur in einigen Branchen wie dem Baugewerbe oder bei Wäschereidienstleistungen. Der einzig wirksame Schutz für alle Arbeitnehmer wäre ein gesetzlicher Mindestlohn, so die Analyse.

Für zusätzliche Unsicherheit sorgt, dass der Geltungsbereich der Richtlinie in weiten Teilen unklar bleibt. Zwar sind einige Branchen wie zum Beispiel Gesundheits- oder soziale Dienstleistungen ausgenommen worden. Doch deren Abgrenzung ist schwierig. Auch das Arbeitskampf- und Tarifvertragsrecht sollen von der Dienstleistungsrichtlinie nicht berührt werden - allerdings unter Vorbehalt der Wahrung des Gemeinschaftsrechts. Eine problematische Regelung, wenn der Europäische Gerichtshof die Dienstleistungsfreiheit über die sozialen Grundrechte der Bürger stellt, wie jüngst in einigen Urteilen geschehen. Um eine weitere Gefährdung dieser Rechte zu verhindern, muss die Klarstellung, dass das Recht auf Tarifverhandlungen und Streikmaßnahmen nach innerstaatlichem Recht und Gepflogenheit unberührt bleibt, unmittelbarer Bestandteil des EU-Vertragstextes werden, empfehlen die Autoren.


Von der Richtlinie ausgenommen

Das Recht des Ziellandes gilt für ...

  • Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (z.B. Energie- und Wasserversorgung)
  • Finanz- und Versicherungsdienstleistungen
  • Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs
  • Zeitarbeitsagenturen
  • Gesundheitsdienstleistungen
  • Soziale Dienstleistungen
  • Dienstleistungen mit sozialpolitischen Zielen
  • Rechts- und Steuerberatung sowie Tätigkeiten, die mit der Ausübung von Amtsgewalt verbunden sind
  • Sicherheitsdienste
  • Dienstleistungen für elekronische Kommunikation
  • Fernsehdienste
  • Gewinnspiele, einschließlich Lotterien, Wetten

Quelle: Amtsblatt der Europäischen Union 2006

Frank Lorenz, Manfred Wannöffel: Unter Ausschluss der Öffentlichkeit? (pdf). Die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie in nationales Recht: Eine Herausforderung für Politik und Gewerkschaften, Expertise im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, Mai 2009

weitere Infos über das Projekt "Anforderungen zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie" der Hans-Böckler-Stiftung

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