Quelle: HBS
Böckler ImpulsBildung: Arbeiterkinder: Studiengebühren schrecken ab
Allein die Diskussion über Studiengebühren hat 2006 dazu geführt, dass bundesweit ein deutlich geringerer Anteil der Jugendlichen ein Studium angefangen hat als zuvor.
Vor fast sechs Jahren protestierten deutschlandweit junge Erwachsene wochenlang gegen die Einführung von Studiengebühren. Ihre Kritik: Ein kostenpflichtiges Studium werde gerade jene Gruppen vom Studieren abhalten, die ohnehin schon benachteiligt sind. Das Hochschul-Informations-System (HIS) konnte kürzlich erstmals die Längsschnittdaten für die studienberechtigten Schulabgänger des Jahres 2006 auswerten. Sie zeigen: Für bundesweit etwa 11.800 Studienberechtigte sind Studiengebühren ein entscheidender Grund, dauerhaft auf ein Studium zu verzichten.
Die Detailanalyse bestätigt die Befürchtungen von Gebühren-Kritikern: Insbesondere Frauen, Kinder aus nicht-akademischen Familien sowie Absolventen beruflicher Schulen schreckten davor zurück, sich einzuschreiben. Vor allem aber zeigt die von HIS-Forscher Christoph Heine erstellte Analyse: Bei der Entscheidung gegen ein Studium war unerheblich, ob die Schulabgänger aus einem Bundesland mit oder ohne Gebühren kamen. „Offensichtlich hat die erhitzte Debatte um die Einführung von Studiengebühren und ihre Auswirkungen eine länderübergreifende psychologische Wirkung der Verunsicherung auf alle Studienberechtigten gehabt“, schreibt der Forscher. Das Ergebnis stützt sich auf zwei methodische Ansätze:
Umfrage unter Schulabgängern. Das HIS hat 2006 und 2008 junge Erwachsene direkt befragt, ob Gebühren sie davon abhalten, sich einzuschreiben. Mehr als zwei Drittel gaben 2008 aus unterschiedlichen Gründen an, Studiengebühren hätten keinen Einfluss auf ihre Studienpläne. Etwa jeder Zehnte antwortete, sich aufgrund der Gebühren an der Wunschhochschule nun an einer anderen Universität einschreiben zu wollen. Und etwa fünf Prozent erklärten, sie würden wegen der Studiengebühren nun doch nicht anfangen zu studieren. Unter ihnen war der Anteil der Frauen, der Schüler beruflicher Schulen und aus nicht-akademischen Familien überdurchschnittlich hoch.
Die Umfragen hatten 2006 und 2008 aber nur die Aussagequalität einer Momentaufnahme, merkt Heine an. So zeigen die nun erstmals ausgewerteten Längsschnittdaten über das tatsächliche Studierverhalten, dass etwa 6.200 Studienberechtigte, die 2006 wegen der Gebühren zunächst zögerten, später zwar doch noch ein Studium begonnen haben. Letztlich hat die Einführung von Studiengebühren 2006 aber etwa 11.800 Studienberechtigte dauerhaft von einer akademischen Laufbahn abgehalten. Das entspricht „etwa zwei mittleren Fachhochschulen“, schreibt Heine. Der Rückgang in Ländern mit und ohne Studiengebühren war ähnlich stark. Detaillierte Zahlen für 2008 liegen noch nicht vor.
Auswertung statistischer Daten. Neben der Umfrage hat Heine den Einfluss der Studiengebühren auf die Zahl der Studienanfänger mit einer statistischen Auswertung der verfügbaren bildungsbiografischen Daten untersucht. Diese Methode klammert subjektive Begründungen aus und betrachtet allein die Zahlen. Die Untersuchung kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. So sank der Anteil der Studienberechtigten, die tatsächlich ein Studium aufgenommen haben, 2006 und 2008 deutlich. In den Jahren 2002 und 2004, also vor der Gebührendebatte, blieb die so genannte Studierwahrscheinlichkeit dagegen gleich. Einen Unterschied zwischen Ländern mit und ohne Studiengebühren konnte Heine auch bei dieser Untersuchung nicht feststellen.
Er spricht daher von einem „globalen Effekt“. Vermutlich habe die Einführung von Studiengebühren in einigen Bundesländern bundesweit Studienberechtigte verunsichert. So fürchteten anscheinend einige, auch bei ihnen könnte ein Studium künftig teurer werden. Diese Befürchtung hat sich zwar nicht bestätigt: Lediglich Bayern und Niedersachsen halten bis heute an den Gebühren fest. Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Hamburg haben ihre Abschaffung schon wieder beschlossen. Gleichwohl konstatiert Heine, „dass seit Einführung von Studiengebühren ein signifikanter allgemeiner Rückgang der Studierbereitschaft eingetreten ist“. Die Zahl der Studierenden war somit in den vergangenen Jahren geringer als möglich. Ohne die bundesweite Debatte hätten diejenigen, die sich von Gebühren abhalten ließen, ihr Studium mittlerweile womöglich schon abgeschlossen.
Christoph Heine: Auswirkungen der Einführung von Studiengebühren auf die Studierbereitschaft in Deutschland (pdf), Stellungnahme der HIS Hochschul-Informations-Systems GmbH im Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung in Berlin, 25. Januar 2012.