Quelle: HBS
Böckler ImpulsZugewanderte Beschäftigte: Arbeit ja, Aufstieg nein
In einigen Sektoren der Arbeitswelt finden Zugewanderte vergleichsweise leicht einen Job. Von dort geht es allerdings oft nicht weiter.
Es gibt sie noch: Arbeitsplätze, die dringend besetzt werden müssen und keine bestimmte formale Qualifikation erfordern. Etwa in Gastronomie, Reinigung oder Pflege. Gerade Menschen, die noch nicht lange in Deutschland leben, verdienen hier ihr Geld. Wie geht es diesen Beschäftigten, welchen Blick haben sie auf die Arbeitswelt hierzulande und welche Perspektiven sehen sie für sich? Das haben Serhat Yalçın, Natalie Hubenthal und Juliane Dieterich von der Universität Kassel mit Förderung der Hans-Böckler-Stiftung untersucht. Ein Ergebnis: Der berufliche Zugang zu qualifizierter Arbeit scheint vielen wenig realistisch.
„In einem westlichen Industrieland wie Deutschland“, schreiben die Forschenden, „mit seiner staatlich gesteuerten Zuwanderungs-, Wohn- und Arbeitspolitik“, könnte man vermuten, dass informelle Strukturen am Arbeitsmarkt keine große Rolle spielen. Tatsächlich finden viele Zugewanderte aber „zunächst keinen Eingang in den berufsförmig organisierten, formalen Arbeitsmarkt“. Über die Hälfte der Zugewanderten findet die erste Arbeitsstelle durch Freunde und Familienangehörige. Formal erworbene und zertifizierte Qualifikationen spielten hier eine untergeordnete Rolle, so die Wissenschaftlerinnen und der Wissenschaftler.
Für ihre Studie haben Yalçın, Hubenthal und Dieterich 46 Interviews mit Beschäftigten in „Ankunftsarbeitsfeldern“ geführt. Die meisten Befragten haben in ihrem Herkunftsland eine Schulausbildung abgeschlossen, einige haben studiert, der Großteil hat bereits Berufserfahrung gesammelt. Eine in Deutschland anerkannte Berufsausbildung haben sie aber in der Regel nicht.
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Die Gastronomie ist eine Branche, die nur wenig dem ähnelt, was sich die Befragten unter Arbeitsverhältnissen in Deutschland vorstellen – hohe Löhne, soziale Sicherheit, geregelte Arbeitsbedingungen, Rechtsansprüche, Aufstieg durch Bildung –, sondern eher den Strukturen, die sie aus ihren Herkunftsländern kennen. Vieles geschieht informell. Die Gastronomie gilt als die Branche mit dem höchsten Anteil Beschäftigter ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Die Löhne der rund 1,5 Millionen Beschäftigten sind meist niedrig, Tarifbindung ist die Ausnahme, Betriebsräte sind extrem selten. Die Personalfluktuation ist hoch. Es gibt wenig Azubis. Wie die Interviews zeigen, besteht allerdings weder bei den Beschäftigten noch bei den Inhaberinnen und Inhabern von Gastro-Betrieben ein erkennbares Bedürfnis nach formalen Qualifikationen. Das Übliche ist Learning by Doing: Auf eine kurze unbezahlte Erprobungsphase folgt die Einarbeitung im Job. Das sei „so etwas wie eine Ausbildung, aber eine private Ausbildung, man kann kein Zertifikat ausstellen“, sagt ein Inhaber. Aber dies sei auch nicht nötig: Wenn jemand sage, er habe bei ihm als Koch gearbeitet, werde er auch anderswo eine Stelle als Koch bekommen.
Typisch für die Arbeitsbeziehungen in der Gastronomie sind eine große persönliche Nähe – der Besitzer kümmert sich um die Angestellten wie ein „großer Bruder“, sagt ein Interviewter –, aber auch eine klare Hierarchie: „Chef ist Chef.“ Raum für eine formale Interessenvertretung wird da meist nicht gelassen. Viele wissen nicht, was eine Gewerkschaft ist. Zudem sind die Betriebe in der Regel klein und familiäre Beziehungen spielen eine große Rolle. Das ist auch der Grund dafür, dass es praktisch keine Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Allenfalls kann man sich informell für bestimmte Tätigkeiten qualifizieren und so etwas wie „Grillmeister“ werden oder „die rechte Hand des Chefs“.
Für den hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in der Gastronomie liefern die Befragten mehrere Erklärungen: Häufig finden Arbeitgebende und Arbeitnehmende zusammen, die ähnliche kulturelle Hintergründe haben – im kurdischen Imbiss arbeiten Kurdinnen und Kurden. Inhaber von Gastronomiebetrieben sagen in den Interviews, dass Deutsche ohnehin nicht bereit seien, die angebotenen Jobs zu übernehmen und den geforderten Einsatz zu zeigen. Auch dass Menschen aus südlichen Ländern grundsätzlich besser für Serviceaufgaben geeignet seien, da sie ein anderes Verständnis von Gastfreundschaft hätten, wird zu Protokoll gegeben. Entscheidend dürfte ein Punkt sein, auf den eher Beschäftigte verweisen als Chefs: Migrantinnen und Migranten sind auf Arbeit oft nicht nur als Einkommensquelle angewiesen, sondern auch, um ihren Aufenthaltsstatus abzusichern. Entsprechend sind sie zu Abstrichen bei Lohn und Arbeitsbedingungen bereit.
Als Traumjob betrachten Zugewanderte ihren „Ankunftsjob“ in der Gastronomie in den seltensten Fällen, vielmehr als „notwendig hinzunehmende, aber vorübergehende Phase in der Erwerbsbiografie“, so die Forschenden. In der Gastronomie gilt: Der Gast hat recht und der Chef sowieso. Schon um nicht ein Leben lang am unteren Ende der Befehlskette zu verharren, streben die meisten Gastro-Beschäftigten langfristig den Ausstieg an. Sie hoffen etwa darauf, früher erworbene Qualifikationen nutzen zu können, wenn sie genug Deutsch gelernt haben und die Anträge auf Anerkennung im Herkunftsland erworbener Abschlüsse erfolgreich sind. Eine andere Aufstiegsmöglichkeit sehen sie darin, sich mit einem eigenen Gastronomiebetrieb selbstständig zu machen.
Die Reinigungsbranche ist anders organisiert als das Gastgewerbe. Eine Handvoll Großunternehmen dominiert den Markt und es gilt ein Branchenmindestlohn. Doch es gibt eine ganze Reihe Parallelen zur Gastronomie. Eine Niedriglohnbranche ist die Reinigungswirtschaft mit ihren knapp zwei Millionen Beschäftigten, von denen die meisten Frauen sind und viele einen Migrationshintergrund haben, ebenfalls. Die Arbeit erfordert keine bestimmte Ausbildung, die körperliche Belastung ist hoch, der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Beschäftigten eher gering. Auch hier betrachten die befragten Beschäftigten die Arbeit meist als Durchgangsstation. Sie identifizieren sich wenig mit dem Job, dem ein niedriges Sozialprestige zugeschrieben wird, oder dem Betrieb. Aufstiege im Betrieb sind kaum möglich; am ehesten kommt es noch vor, dass als besonders zuverlässig eingeschätzte Personen eine informelle Überwachungs- oder Kontrollaufgabe erhalten, statt selbst putzen zu müssen. Über formelle Schulungen wird kaum berichtet. Lernen beschränke sich darauf, zu schauen, was die anderen tun, und es nachzumachen. Die Machtverhältnisse sind ähnlich wie in der Gastronomie: Einerseits suchen die Betriebe zwar ständig Personal, andererseits haben viele Beschäftigte große Angst, ihre Stelle zu verlieren.
Im Arbeitsfeld Pflege sind knapp 800 000 Menschen tätig, die meisten davon sind Frauen. Psychische wie körperliche Belastungen sind hoch; hinzu kommen Arbeitszeiten rund um die Uhr. Der Anteil der Migrantinnen ist hier nicht so hoch wie in den anderen beiden untersuchten Branchen und der Zugang ist, abgesehen von grundlegenden Tätigkeiten, der sogenannten Laienpflege, nur mit einer Ausbildung möglich. Dennoch handelt es sich auch bei der Pflege um eine Branche mit großem Personalbedarf, der teilweise durch Zuwanderung gedeckt wird.
Die Sicht der befragten Migrantinnen und Migranten auf ihren Pflegejob in Deutschland ist nicht einheitlich: Wie die meisten Befragten in Gastronomie und Reinigungsgewerbe betrachten einige die Tätigkeit lediglich als Zwischenstation auf dem Weg in einen höher angesehenen Beruf mit weniger zermürbenden Arbeitsbedingungen. Sie sehen keinen Sinn darin, sich im Pflegebereich weiterzubilden. Andere möchten dauerhaft in der Pflege bleiben und kämpfen darum, gemäß ihrer im Ausland erworbenen Qualifikation eingesetzt zu werden. Und einige möchten in der Branche bleiben, sich aber zum Beispiel durch ein Studium weiterqualifizieren. Von den drei untersuchten Wirtschaftsbereichen ist die Pflege damit derjenige, der aus Sicht der Interviewten am ehesten für eine dauerhafte Beschäftigung infrage kommt.
Insgesamt, schreiben Yalçın, Hubenthal und Dieterich, werde deutlich, „dass Ankunftsarbeit zwar als einfach zugängliche Beschäftigungsmöglichkeit attraktiv ist, die Erwerbsarbeit im Rahmen einer qualifizierten Tätigkeit allerdings als sozial höherwertig und damit als erstrebenswert angesehen wird“. Insofern werde der erste Job von vielen Zugewanderten „als eine Art Sprungbrett und Übergangsphase in die eigentlich und zukünftig angestrebte Form der Erwerbsarbeit betrachtet“. Daher erscheint vielen eine weitere Bildungsinvestition im aktuellen Arbeitsfeld nicht sinnvoll. Grundsätzlich zweifeln viele Befragte am Nutzen von theoretischem Lernen und sehen „formale berufliche Bildung trotz der generellen subjektiven Wertschätzung von Qualifizierung kaum als strategisches Element des Umstiegs oder des Aufstiegs“ an. Berufliche Weiterbildung wird zudem häufig als „Angebot für die Deutschen“ betrachtet. Zumal Migrantinnen und Migranten gemäß ihren Erfahrungen im Herkunftsland häufig im Wesentlichen zwischen praktischen und akademischen Tätigkeiten unterscheiden, aber wenig über das deutsche Konzept der beruflichen Ausbildung wissen. So würden auch „existierende Möglichkeiten der beruflichen Aus- oder Weiterbildung nicht wahrgenommen“, befürchten die Forschenden.
Serhat Yalçın, Natalie Hubenthal, Juliane Dieterich: Arbeitsfelder der Ankunft, Migrantische Perspektiven auf Arbeit in Gastronomie, Reinigung und Pflege, Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 487, Januar 2024