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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: "Amerikaner wünschen sich Mitsprache"

Ausgabe 14/2019

Die US-Wirtschaftskultur und der Gedanke der Unternehmensmitbestimmung galten lange als unvereinbar. Doch der Wind hat sich gedreht, sagt WZB-Wissenschaftler Sigurt Vitols.

Nach gängiger Einschätzung halten die meisten US-Amerikaner die Idee, Arbeitnehmer an Managemententscheidungen zu beteiligen, für sozialistischen Unfug. Wie kommen Sie darauf, dass diese Vermutung falsch oder veraltet sein könnte?

Seit kurzem hat in den USA die Idee der „Workers on the Board“, also der Beteiligung der Arbeitnehmer an Unternehmensentscheidungen, an Aktualität gewonnen. Dem US-Senat wurden zwei Gesetzesinitiativen zur Unternehmensmitbestimmung unterbreitet. Eine davon, der von der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren vorgeschlagene Accountable Capitalism Act, würde der Belegschaft eines Großunternehmens das Recht einräumen, 40 Prozent der Mitglieder des Verwaltungsrates zu wählen. Relevant ist auch Bernie Sanders’ Workplace Democracy Plan, der die kollektive Vertretung der Belegschaft am Arbeitsplatz stärken würde und ein Hauptbestandteil seiner Präsidentschaftskandidatur ist.

Das heißt, die Amerikaner haben ihren Glauben an kompromiss­losen Individualismus und vollkommene Wirtschaftsfreiheit verloren? 

In der Tat bezweifeln immer mehr US-Amerikaner, dass sie und ihre Kinder den „American Dream” unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen realisieren können. Die jahrzehntelange Stagnation der realen Einkommen normaler Arbeitnehmer, die sehr sichtbare Zunahme des Reichtums des obersten Prozents und die zunehmende Prekarität des Arbeitsmarktes fördern die Offenheit für neue Ideen. Eigentlich wollte die Mehrheit der US-Amerikaner schon lange mehr Einfluss am Arbeitsplatz, wie eine Umfrage von Richard Freeman und Joel Rogers Ende der 1990er-Jahre gezeigt hat. Aktuelle Umfragen belegen, dass sich diese Mehrheit vergrößert hat. Zumindest in dieser Hinsicht scheint die These des „amerikanischen Exzeptionalismus“ nicht zu gelten.

Wie würde mehr Mitbestimmung die amerikanische Wirtschaft verändern?

Die Befürworter der Unternehmensmitbestimmung in den USA schauen vor allem auf Deutschland und sehen einen Zusammenhang zwischen starker Mitbestimmung und einem erfolgreichen Industriestandort. Sie argumentieren – zum Teil gestützt durch von der Hans-Böckler-Stiftung ­geförderte Forschung – dass mitbestimmte Unternehmen mehr investieren, zum Beispiel in Ausbildung, weniger Geld an Aktionäre durch Aktienrückkäufe ausschütten und weniger Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Das würde auch in den USA zu höheren Löhnen, mehr Arbeitsplatzsicherheit und weniger Ungleichheit führen. Der „amerikanische Traum“ wäre für die Mehrheit der US-Amerikaner wieder realisierbar. Die Erwartungen an die Mitbestimmung sind hoch.

Halten Sie es für realistisch, dass sich für eine Mitbestimmungsinitiative in den USA politische Mehrheiten finden? Aktuell regiert Donald Trump.
 
Diese Gesetzesvorschläge haben keine Chance, solange Donald Trump US-Präsident ist und die Republikaner die Mehrheit im Senat haben. Aber ich denke, die Demokraten haben mit der Mitbestimmung ein gutes Thema gefunden. Dieses Thema könnte dazu beitragen, dass sich die politische Konstellation in den USA bald verändert. Wenn das Wahlsystem reformiert würde, damit die politischen Wünsche der Mehrheit der Amerikaner nicht so leicht blockiert werden können, hätte die Unternehmensmitbestimmung in den USA tatsächlich eine Chance.

Sigurt Vitols ist Soziologe und forscht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) zu Corporate Governance und Arbeitnehmerbeteiligung. Mit Unterstützung des I.M.U. hat der gebürtige Amerikaner am WZB den Mitbestimmungsindex MB-ix entwickelt.

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